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Horst Stowasser - Gedenkseite

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Version vom 9. Oktober 2009, 18:20 Uhr von WikiSysop (Diskussion | Beiträge) (Die Beerdigung von Horst Stowasser am 7. September 2009. Von Stephan Krall)
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Horst Stowasser ist tot - Die Erinnerung an ihn lebt!

Am 30. August 2009 ist der anarchistische Schriftsteller Horst Stowasser (geb. 7. Januar 1951 in Wilhelmshaven) im Alter von 58 Jahren in einem Krankenhaus in Ludwigshafen an einer Blutvergiftung gestorben. Wer seine Erinnerungen an Horst mit uns teilen möchte, kann sie auf der Diskussions-Seite veröffentlichen. Wir übernehmen dann die Texte hier auf die Horst-Stowasser-Gedenkseite.

Horst Stowasser (1951-2009)

Inhaltsverzeichnis


Die ersten Reaktionen: Wir sind erschüttert

Wir hier in Neustadt sind alle tief erschüttert, können es nicht fassen, dass Horst nicht mehr bei uns ist. Wir hatten noch so viele Pläne zusammen.

Möge die Erde dir leicht sein!

Vollkommen fassungslos, Petra und Klaus


Am Sonntag, den 30.8.2009 um 8 Uhr morgens ist der Genosse Horst Stowasser für uns alle überraschend gestorben.

Wir sind tief erschüttert.

Knobi
Berlin, den 30.8.09


Kann mich Knobi nur anschließen.

Jochen,
Potsdam, 31. August 2009


Ich kann es noch garnicht glauben: Es ist schon so, dass ein Stück politischer Geschichte des Landes mit Horst verbunden war und ist. Leider aber keine Lebendige mehr. Es gibt Verluste, die nicht ersetzbar sind.

Rolf
Berlin, den 01.09.09



Die Beerdigung und die Trauerreden

Horst Stowasser wurde am 7. September 2009 in Neustadt an der Weinstraße beerdigt. Knapp 300 Menschen nahmen an der bewegenden Trauerfeier teil. Trauerreden wurden gehalten von Bernd Drücke (Graswurzelrevolution-Koordinationsredakteur), Bernd Elsner (Projekt A) , Lutz Schulenburg (Edition Nautilus), Andreas Hohmann (FAU/Verlag Edition AV) und Dieter Martischius vom Eilhardshof. Mit Ausnahme der Rede von Dieter Martischius wurden ihre Reden in der Graswurzelrevolution (Nr. 342, Oktober 2009) veröffentlicht. Wir bemühen uns, alle Trauerreden auch hier auf der Horst-Stowasser-Gedenkseite zu veröffentlichen. Im folgenden finden sich die Trauerreden von Bernd Drücke, Andreas W. Hohmann, Dieter Martischius und Lutz Schulenburg, die uns freundlicherweise ihre Zustimmung zur Veröffentlichung gegeben haben:



Die Beerdigung von Horst Stowasser am 7. September 2009. Von Stephan Krall

Die Beerdigung fand am 7.9.2009 um 10 Uhr in Neustadt an der Weinstraße auf dem zentralen Friedhof statt.

Beerdigung von Horst Stowasser am 7.9.2009 um 10 Uhr in Neustadt an der Weinstraße.

Natürlich fahre ich zu Horsts Beerdigung, das ist keine Frage…wir haben doch immer Kontakt gehalten, das war meine erste Reaktion. All die Jahrzehnte. Nur ist das mit dem Kontakt jetzt etwas anders: aus Schluss vorbei, ziemlich einseitig wird der Kontakt heute. Aber wer weiß, wir glauben zwar nicht ans Jenseits, aber für alle Fälle nehme ich ihm mal eine Havanna mit. Irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er bereits das Projekt-H gestartet hat, die Umorganisation der Hölle. Und da kann eine Zigarre nicht schaden.

Solche Gedanken gingen mir bei der Fahrt nach Neustadt durch den Kopf. Was würde mich da erwarten? Ich habe vor vielen Jahren mal eine Broschüre erstanden über die Beerdigung von Kropotkin, mit vielen Bildern. Wird es so sein? Wird so der „Bakunin-Deutschlands“ beerdigt, mit einem Meer aus Fahnen? Ja, wie Bakunin kam er mir immer vor. Theorie stand nicht im Mittelpunkt, immer in Aktion, und vor allem den leiblichen Genüssen sehr zugeneigt. Deswegen hat es mit ihm ja auch immer Spaß gemacht, und das hätte es auch, wenn er kein Anarchist gewesen wäre. Aber so war es noch besser.

Angekommen in Neustadt sah ich schon viele Autos auf den Friedhofsparkplatz einbiegen. Also sehr intim wird es nicht. Es waren dann so um die 200-250 Frauen und Männer, die sich in und vor der Trauerhallte zusammen gefunden haben. Schwarz als dominante Farbe, wie es sich für Trauernde und Anarchisten gehört. Hier kam Neigung mit Anlass zusammen. Fahnen waren auch dabei, schwarz-rote. Aber nicht viele, also keine Kropotkin-Beerdigung.

Neben der Familie, seinem Bruder Klaus, seiner Lebenspartnerin Ute mit den beiden Kindern, und Louisa, seiner erste Frau, mit Sohn Till, war es vor allem die ältere Generation, die sich um den Sarg scharte. Obwohl der Leichnam verbrannt wird, wie es der Wunsch von Horst ist, war sein Sarg aufgebahrt, geschmückt mit roten Rosen. Daneben Kränze mit Schleifen von der FAU und anderen anarchistischen Gruppierungen. An der Wand eine Fahne aus Horsts Bestand mit der Jakobinermütze und der Aufschrift „Ni dieu ni maître – vive l’Anarchie“, nicht Gott noch Herr, es lebe die Anarchie.

Zum Auftakt gab es revolutionäre Klänge von der CD, später dann auch ein Stück auf der Gitarre, die Horst selber auch gerne und gut gespielt hat. Vier Redner, alles Männer, obwohl doch Horst den Frauen sehr zugeneigt war, sprachen über sein Leben, sein Wirken, ihn als Mensch und auch über philosophische Gedanken. Lutz Schulenburg vom Nautilus Verlag aus Hamburg brachte es auf seine norddeutsche Weise auf den Punkt: Anarchismus, das war für die Leute, die ihn kannten, Horst, und nicht irgendwelche Theorie. Wenn er und sein Bruder Klaus in den frühen Jahren in Wilhelmshaven auf die Straße zum Agitieren gingen, dann hatten sie damit vor allem deshalb Erfolg, weil sie authentisch waren.

Am Ende der einstündigen Trauerveranstaltung wurde der Sarg ins Freie gefahren, wo herrlich die Sonne schien, in diesem Sommer ja auch nicht ganz alltäglich, und die Gemeinde der Trauernden versammelte sich noch einmal um den Sarg. Ein Geiger spielte und sang „A las Barricadas“ und einige, des Spanisch mächtigen, intonierten mit.

Die Urnenbeisetzung findet im engsten Familienkreise statt.

Nachdem wir im Anschluss bei einer kleinen Nachlese über die ewig zerstrittenen Anarchisten sprachen, fiel mir auf, wie friedlich diese sind, wenn einer der Ihren zu Grabe getragen wird. So würde man sie sich immer wünschen. Tolerant und zu Gemeinschaft fähig. So hat es Horst immer gewollt…und nun im Tode gefunden. Vielleicht hat er ja doch noch ein wenig davon mitbekommen. Zu wünschen wäre es ihm, der zwar kein Kropotkin-Begräbnis erhielt, aber ein sehr würdiges. Dennoch hätte ich ihn viel lieber noch jahrelang bei uns behalten und den einen oder anderen Wein mit ihm getrunken.

Stephan Krall, Kronberg



Trauerrede für unseren langjährigen Freund und Genossen Horst Stowasser. Von Bernd Elsner

Vorwort zur Trauerrede

Der Abdruck meiner Trauerrede ist nur mit diesem Vor- und Nachwort möglich.

Als mich Bernd Drücke fragte, ob er meine Trauerrede für Horst haben und abdrucken könne, habe ich zuerst einmal abgelehnt. Das hat seine Gründe, die ich in diesem Vorwort gerne erklären möchte.

Zuerst mal ist es nicht üblich, dass eine Trauerrede weitergegeben und veröffentlicht wird. Denn sie ist geistiges Eigentum des Verfassers und wenn dieser, wie ich, auch noch freiberuflich Geld damit verdient, stelle ich mein geistiges Eigentum einer Allgemeinheit zur Verfügung, von der ich nicht weiß, ob und wie sie das Niedergeschriebene gebraucht. Dann gilt in jedem Fall nur das gesprochene Wort, egal was hier steht, denn eine Rede, auch eine Trauerrede, lebt erst durch die Mimik, durch die Gestik, also durch den Vortragenden.

Die Veröffentlichung einer Trauerrede ist natürlich, insbesondere in diesem Fall, auch ein Nachruf. Den wollte ich eigentlich nicht schreiben. Die Erklärung dafür findet ihr in einem Beitrag, ich meine von Lutz Schulenburg zur Ermordung von John Lennon im Dezember 1980.

Nun, da ich aber dennoch, nach Rücksprache mit meinen Töchtern zugesagt habe, ist dies gleichzeitig ein Nachruf der Mitglieder der ehemaligen Anarchistischen Badischen Föderation (abf), der Gruppe freie Sozialisten, des Bundes Karlsruher Anarchisten (BKA), der ehemaligen Organisation freiheitlicher Arbeiter (ofa), der Mitglieder der ehemaligen Redaktion der „Freien Presse“ und Mitglieder der ehemaligen Redaktion der anarchistischen Zeitung „Der schwarze Gockler der im Dunklen kräht“ - mit lAubfrosch-vertrieb für freiheitliche Literatur, sowie dem Anarchistischen Bund Pfälzer Wald um das Erich-Mühsam-Zentrum Elmstein.



Eingangsmusik:

  • Vivaldi: Die vier Jahreszeiten. Das Largo
  • Viva la Anarchia aus CD der FAI
  • A las Barriccadas Hymne der CNT katalanisches Nationalorchester Barcelona''

Liebe Angehörige, werte Genossinnen und Genossen, Freunde und Bekannte des Verstorbenen, verehrte Trauergäste,

wir sind heute am Montag, den 7. September im Jahre 2009 hier auf dem Friedhof in Neustadt zusammengekommen, um Abschied zu nehmen von Horst Stowasser.

Bitte erhebt Euch zu Ehren des Verstorbenen von Euren Plätzen und senkt für einen Moment die Fahnen.

Jeden Abend werfe ich
Eine Zukunft hinter mich
Die sich niemals mehr erhebt
Denn sie hat im Geiste nur gelebt.
Neue Bilder werden wachsen
Welten drehn um neue Achsen
werden, sterben, lieben, schaffen
die Vergangenheiten klaffen.
Tobend, wirbelnd stürzt die Zeit
In die Gruft das Leben schreit.

Nun ja, ob die Zeit wirbelnd, ja sogar tobend in die Gruft stürzt, wie dies der Genosse Erich Mühsam einmal formulierte, ich glaub das eigentlich nicht.

Denn Zeit ist etwas, das die meisten, so sagen sie zumindest, gar nicht haben.

Aber wenn Menschen sagen, ich habe keine Zeit, dann macht das keinen Sinn, denn natürlich haben wir Zeit.

Denn die Zeit ist, wie die vier anderen Ur-Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft immer um uns herum, die Zeit ist immer da.

Wir bekommen Zeit allerdings nicht geschenkt, nein, wir müssen sie uns nehmen.

Wir müssen uns die Zeit nehmen, um die für uns wichtigen Dinge im Leben zu tun.

Es ist deshalb gut so und es ist richtig, dass wir uns heute die Zeit nehmen, um gemeinsam an diesem Ort Abschied zu nehmen von Horst Stowasser, der allen Anwesenden auf seine ganz eigene Weise nahe stand.

Ich danke auch Euch Genossinnen und Genossen, die Ihr Euch heute die Zeit genommen habt, dem Verstorbenen hier die letzte Ehre zu erweisen.

Denn wie Willy Huppertz, der langjährige Herausgeber der anarchistischen Zeitung Befreiung einmal zu mir sagte: „Wir müssen wie die Hunde leben und danach werden wir verscharrt.“

Und er, genauso wie Otto Reimers oder Augustin Souchy aus der alten, traditionellen anarchistischen Bewegung, wurde in kleinem Kreis beigesetzt, und nur wenige von uns hatten die Möglichkeit, öffentlich Abschied von unseren Genossinnen oder Genossen zu nehmen. Dies ist heute anders. Und das ist auch ein Verdienst von Horst Stowasser.

Hier ist nun der scheinbar zeitlose Ort, an welchem wir gemeinsam und doch jede und jeder für sich über Trauer, über Leben, über Tod und über die Zeit, über unsere gemeinsame Zeit, nachdenken können und auch nachdenken sollen. Hier wird allen bewusst, dass am Ende unserer Zeit, unserer Lebenszeit, also am Ende unseres Daseins, der Tod steht und mit dem Tod die Trauer der Lebenden.

Was sagt nun ein Anarchist am Grabe eines Anarchisten zu der Trauergemeinde?

Denn es wäre doch etwas frivol in unserem Kulturkreis an einem Sarg mit den sterblichen Überresten dem langjährigen Freund ein Lebewohl zu zu rufen.

Und schon bemerke ich, dass diese Trauerrede doch persönlicher wird.

Wir haben in unserer abendländischen Kultur bekannterweise eine christliche Dominanz und die Christen glauben an eine Auferstehung, die Katholiken insbesondere sogar an eine fleischliche Wiedergeburt, daher wäre vielleicht auch Aufwiedersehen angebracht.

Aber selbst eingefleischte Christen wären ob dieses Grußes sicherlich sehr verwundert, ja würden mich sogar der Blasphemie bezichtigen, insbesondere wenn sie meine, ja wie soll ich denn die Schublade nennen, in die wir so gerne andere Menschen stecken, Freie Religion, Humanismus, universelle Religion oder kosmisches Bewusstsein, also, wenn sie meine religiöse Einstellung kennen.

Dann doch vielleicht Abschied vom Verstorbenen? Obwohl ich ziemlich sicher bin, dass meine Abschiedsworte von dem Verstorbenen nicht mehr gehört werden können. Also dann doch Worte an Euch, die Hinterbliebenen, die Lebenden. Der Tod selbst ist für uns ein Nichts, sagte Epikur, der griechische Denker aus vorchristlicher Zeit, denn was der Auflösung verfiel, besitzt keine Empfindungen mehr.

Was aber keine Empfindungen mehr besitzt, kümmert uns nicht. Und weiter: Doch oftmals werden wir die Furcht, die uns beim Fragen nach den letzten Dingen beschleicht, unmöglich los, wenn wir über die Beschaffung des Universums nicht richtig unterrichtet sind, und daher argwöhnen müssen, es könne an dem, was die Göttermythen darüber berichten, doch etwas Wahres sein. Ohne Erkenntnis der Natur können wir also keine Freude vollkommen genießen und unsere Trauer ist von Furcht überlagert.

Nur einmal werden wir geboren, ein zweites Mal ist nicht möglich, und wir werden dann in Ewigkeit nicht mehr sein. Trotzdem schiebst Du, oh Mensch, den rechten Augenblick immer wieder hinaus und bist doch nicht einmal Herr über den morgigen Tag. Überm Zaudern schwindet aber das Leben dahin und manche sterben, ohne sich im Leben jemals recht Zeit genommen zu haben. So Epikur vor über 2300 Jahren.

Es wird immer Menschen geben, die sagen, der Tod kam viel zu früh. Andere werden sagen viel zu früh nur dann, wenn wir die Zeit, die uns zur Verfügung stand, nicht genutzt haben.

Denn ein Tag kann so lang wie tausend Jahre sein, wenn wir unsere Zeit nutzen, aber tausend Jahre können sein wie ein Tag, und er vergeht, ohne dass wir ihn bemerken, ohne dass wir ihn leben oder erleben.

Ich denke, es ist gut so, dass niemand weiß, wann sein Tag kommt. Und ich denke, es ist besser, dass wir, wie der griechische Denker Epikur sagte, nicht einmal über den morgigen Tag bestimmen können.

Was würden wir anders machen, wenn wir wüssten, dass morgen unser Tag kommt?

Oder würden wir, wenn es in unserer Macht läge, überhaupt etwas anders machen?

Der einzige Trost, der uns bleibt, ist die einzig richtige Aufforderung an uns, jeden Tag so zu leben und zu erleben, als wäre es der letzte Tag im eigenen Leben oder im Leben der anderen.

Dann haben wir uns im Leben recht Zeit genommen, um die wichtigen Dinge zu erledigen. Wenn ein Mitmensch stirbt, also nicht mehr da ist, so liegt es bei der Nachwelt, bei uns, den Hinterbliebenen, ob mit dem Tod und der empfundenen Trauer auch das langsame Vergessen kommt.

Doch solange sich nur ein Mensch erinnert, sind die Toten nicht vergessen. Denn nur durch unsere Erinnerung leben sie weiter, was anderes wissen wir Menschen nicht.

Wir wollen uns nun erinnern:

Horst Stowasser wurde am 7. Januar 1951 als zweiter Sohn der Eheleute Sigbert und Gertrud Stowasser geboren. Nicht, wie immer wieder gehört, in Wilhelmshaven, sondern auf einer kleinen, künstlich angelegten, ehemaligen Fliegerabwehrstation, der sogenannten Genius-Bank, welche Horsts Kölner Großvater gepachtet hatte, um dort 6 Jahre nach Kriegsende einen Segel- und Jachthafen anzulegen.

Es muss dort gewesen sein, wo der Niedersachsendamm die Jade vom Jadebusen trennt, also in der rauen Nordsee vor Wilhelmshaven.

Im Alter von 1 1/2 Jahren erkrankte Horst an der sogenannten Kinderlähmung, welche ihn für sein ganzes weiteres Leben prägen und begleiten sollte. Und bis zu Beginn der Volksschule 1957 musste er als kleiner Junge ständig Leder-Schienen tragen, welche sein Bein stützten, Gehgipse ertragen und Operationen über sich ergehen lassen. Ab 1961 ging Horst auf die Realschule, genauer gesagt auf die Agnes-Miegel-Schule in der Wartehstrasse in Voslapp. An der dortigen Schülerzeitung bekam Horst zum erstenmal die Gelegenheit, Artikel zu schreiben, was ihn auch für sein ganzes weiteres Leben prägen und begleiten sollte.

Als sein Vater bei der Firma Hoch und Tiefbau die Möglichkeit bekam, an einer großen Baustelle mitzuarbeiten, zogen die Eltern mit dem jüngsten Sohn nach Argentinien. Dort lernte Horst Spanisch und machte in dieser Sprache sein Abitur. Durch seine weltoffene Art, über seine kosmopolitische Einstellung bekam Horst schnell Kontakte mit argentinischen Anarchisten, die ihn mit der umfangreichen spanischsprachigen anarchistischen Literatur vertraut machten. Und er gründete mit anderen eine kleine Zeitung namens Impulso.

Ausgaben dieser Zeitung wurden unter der damaligen rechtskonservativen Militärdiktatur des Generals Ongania beschlagnahmt und Horst machte zum erstenmal Bekanntschaft mit einer Gefängniszelle.

1968 siedelte Horst zurück nach Wilhelmshaven, musste jedoch, um studieren zu können, das deutsche Abitur machen, da sein argentinisches in der damaligen BRD nicht anerkannt wurde.

Als politischer Mensch bekam er Kontakt mit Reinold Purmann, welcher ihm den Weg in die deutschsprachige anarchistische Literatur und Bewegung wies. Neben seinem Landwirtschaftsstudium begann Horst im anarchistischen Syndikat Wilhelmshaven, welches ich als libertär und che guevaristisch einstufe, sich auch zusammen mit Hans-Werner Kruse öffentlich zu äußern. Ab 1970 begann er, bedrucktes Papier für ein geplantes Anarcho-Archiv zu sammeln. Diese Grundlagen nahm er mit, als er nach Wetzlar zog, um einen Buchladen mitaufzubauen, und wo Du, Klaus, eine langjährige Druckerei gegründet hast. Es entstand unser legendäres Anarcho-Info und unser gemeinsamer Versuch, eine Zeitschrift zu machen, welche auch für unsere Tante, wie Horst immer wieder betonte, interessante Inhalte anbieten wollte, die „Freie Presse“. Im Anarchia-Verlag Wetzlar wurden Bücher, Broschüren und Zeitschriften herausgegeben. Diese alle hier aufzuzählen wäre mühselig.

Aber es war die Zeit, als wir begannen, Gespräche darüber zu führen, welchen Sinn selbstverwaltete Projekte für die anarchistische Bewegung haben können.

Weitere Stationen für Horst waren dann die Kommune in Oberbiehl, die landwirtschaftliche WG in Duttenhofen, bis er 1975, genauer am 16. Juni 75, mit Dir, Luisa, die Ehe schloss. Es war die Zeit des Umzugs in die Turmstraße in Wetzlar und der Versuch, mit viel Enthusiasmus, wenig Finanzen und in räumlicher Enge, noch dazu mit einer anarchistischen Schäferhund-Colli-Mischung namens Hasso, den Alltag zu organisieren. Uns ging es nicht darum, Träume zu befriedigen, sondern unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Denn wir wussten, ein anderes Leben ist möglich.

Stationen waren dabei unter vielen anderen

1974 unsere Demonstration in Frankfurt, die Horst mit der ihm eigenen Euphorie mit spanischen Exilantinnen und Exilanten gegen das Francoregime in Spanien, welches Puig Antich durch Erdrosseln zu Tode brachte, organisiert hatte. Wo ich auch mit Staunen feststellte, dass Horst bekanntes Mitglied der CNT und der Internationalen Arbeiter Assoziation ist. Er scheute sich auch nicht davor, trotz seiner körperlichen Behinderung im Demonstrationszug kilometerweit mit zu laufen. Denn er war damals schon stolz darauf, mehrmals 2. deutscher Meister im Behindertenschwimmen gewesen zu sein. 1976 der internationale Bakuninkongress in Zürich, wo ich zum erstenmal den hervorragenden Simultan-Übersetzer Stowasser erlebte, denn er beherrschte schon zu dieser Zeit übergangslos 6 Sprachen fließend. Er war damals auch für die Stadt Wetzlar als Simultanübersetzer tätig, aber seine bekannte Weltoffenheit, sein engagiertes Eintreten gegen offensichtliche Ungerechtigkeiten, kurz seine politische, das heißt, seine öffentliche Einstellung, kostete ihn diesen gut bezahlten Job. Im März 1978, also zwei Monate nach Deiner Geburt, Till, holte mich Horst in Karlsruhe ab und wir fuhren gemeinsam zum Kongress der Internationalen der anarchistischen Föderationen nach Carrara. Und ich spüre noch heute seine mitreißende Begeisterung in diesem altehrwürdigen Zentrum anarchistischer Geschichte.

Es war auch die Zeit, als aus dem ehemaligen Anarcho-Archiv das Anarchistische Dokumentationszentrum, das adz, entstand, welches zumindest später auf dem Papier das Anarchiv im Max Nettlau-Institut wurde. Max Nettlau war für Horst, was die wissenschaftliche Arbeit betraf, schon immer ein großes Vorbild gewesen.

Doch für Horst war die wissenschaftliche Arbeit nicht die Erfüllung seines Lebens.

Und Horst begann, in der ihm eigenen Systematik, die zunächst mal gedankliche Vorstellung, das Netzwerk zwischen Arbeit, Politik und Privatleben als großangelegtes Projekt auszuarbeiten, um die darin enthaltenen Widersprüche zumindest tendenziell aufzuheben.

Nun wird Lutz Schulenburg vom Nautilus-Verlag (früher MAD Verlag) Hamburg einige Worte zu Euch sprechen. Andreas spricht für die FAU und Anares-Medien.

Ede spielt nun „Mr. Tambourin-Man“, das er oft mit Horst gesungen hatte, welcher ja auch ein exzellenter Gitarrenspieler und Sänger, also Musikus war.

Bernd Drücke von der anarchistisch-pazifistischen Zeitung Graswurzelrevolution wird nun zu dieser Trauergemeinde sprechen.

Für uns Menschen dieser Erde, ist das uns umgebende Universum wie ein unendlicher Ozean.

Und so wie die unterschiedlichsten Steine am weiten Strand liegen, so sind auch wir Menschen allein in dieser Unendlichkeit. Und jede Einzelne und jeder Einzelne von uns kann plötzlich und ohne vorherige Warnung durch die nächste Welle, und sei sie noch so klein, hinab gezogen werden in dieses unendliche Meer des ewigen Vergessens.

Obgleich wir wie die unterschiedlichsten Steine am weiten Strand eines unendlichen Ozeans sind, ist doch jede und jeder von uns wesentlich mehr als nur ein wahlloser, austauschbarer Stein in der Unendlichkeit. Unser Leben, unsere Taten, bleiben als Erinnerung wie Leuchttürme im dunklen Universum des zeitlosen Vergessens. Sie können uns Trauernden Mut und Trost geben.

Mut, um schwierige Situationen des Lebens durchzustehen, wo wir glauben verzweifeln zu müssen. Aber auch Mut, um in einer solchen Trauerstunde zusammenzukommen. Trost, weil wir oftmals in unserem Leben, und sicherlich nicht nur in Zeiten der Trauer, Trost benötigen.

Wir brauchen jemand, der uns tröstet, wenn wir etwas verlieren, und wir brauchen jemand, der uns tröstet, wenn wir Schmerzen erleiden. Wir brauchen jemand, und nicht nur als Kinder, der einfach nur da ist, uns mal in den Arm nimmt, uns die lebensnotwendige Wärme und den sozialen Trost gibt, damit wir spüren, wir sind in diesem Universum nicht allein. Im Mai 1980 trafen Horst und ich uns wieder auf der internationalen anarchistischen Studientagung in Venedig, und zu dieser Zeit war es wohl, als Du, Ute, über das JUZ Wetzlar in der Redaktion des Lahn-Dill-Boten Horst kennengelernt hast. Und mit ihm eine neue, eine andere Sicht der Welt. Neue Lebens-Perspektiven hatten sich dir eröffnet. Horst lebte direkt, unmittelbar und ehrlich sein Leben und war allen Genüssen zugetan.

Und dieser liebenswerte, harmoniesüchtige Dickkopf war mitten drin in einer Findungsphase, was das Zusammenleben nicht gerade einfach machte. Das Resultat dieser Phase kennen wir alle:

1985 erschien im AnArchia-Verlag ein Buch, welches Horst seinem Großvater widmete, in welchem Horst seine Projektideen ziemlich ausführlich und verständlich einem zuerst kleinen Kreis vermittelte.

Er hatte sich zu einem belesenen Redner herangebildet, welcher seine immer zahlreicheren Zuhörerinnen und Zuhörer auf unglaublich vielen Veranstaltungen mit fundiertem Wissen und Charisma zu überzeugen vermochte. Er ging konsequent seinen einmal eingeschlagenen Weg und machte dies auch immer wieder öffentlich allen Interessierten zugänglich.

So hätten die Anwesenden, so Horst im Aha Nr. 4, dem internen Bulletin des Projektes A, nach dem ersten Bundestreffen im März 86 in Wetzlar festgestellt, dass Kinder absolut selten sind in unseren Kreisen. Du, Ute, und Horst wolltet nun dazu beitragen, dass dies nicht so bleibt und habt den Geburtstermin eures ersten Kindes ziemlich genau festgelegt. Einen Monat vor dem 3. Bundestreffen in Prinzhöfte wurdest Du, Moritz, als gemeinsamer Sohn am 25. November 1986 geboren.

Trotz vieler Widrigkeiten, wie sie unter Menschen immer wieder vorkommen, Anarchistinnen und Anarchisten sind ja davon, wie wir alle wissen, nicht ausgenommen, entwickelte sich das Projekt A zusehends, sowohl mengenmäßig als auch in der inhaltlichen Klärung.

Gisela und ich hatten immer dafür geworben, das Projekt A in Neustadt anzusiedeln, und so fanden auch die Bundestreffen 8 und 10 bei uns in Elmstein statt. Doch die Mehrheit, und mit ihr auch Horst, entschied sich als Haupt-Standort für das Projekt A wie Alsfeld. So zog Horst mit dem Anarchiv im Juni 1989 nach Alsfeld.

Du, Ute, wolltest mit Deinem kleinen Sohn Moritz nicht nach Alsfeld und hast das beginnende Projekt hier mit aufgebaut, welches sich explizit nicht als Projekt A verstand.

Horst bemerkte sehr bald, dass Alsfeld keine große Zukunft beschieden sein wird und wandte sich nun Neustadt zu. So organisierten wir das 15. Bundestreffen im Dezember 1989 in Neustadt.

Und schon im Frühjahr 1990 zog Horst dann mit dem Anarchiv, seinen Ideen, seinem Enthusiasmus in der Hauptstraße 118 ein, und die WG Malatesta wurde gegründet. Es folgten wieder turbulente Zeiten.

Neben dem täglichen Broterwerb als selbständiger Werbeunternehmer und hervorragender Grafikdesigner, baute Horst das Anarchiv aus und stolz zeigte er den vielen Besucherinnen und Besuchern die Ergebnisse seiner jahrelangen Bemühungen. Sein Buch „Freiheit pur“ brachte ihm 1995 zwar keine Verbesserung der Finanzen, aber Beachtung im deutschsprachigen Raum. Zwei Jahre später, am 24. Juni 1997, wurdest Du, Nora, als zweites Kind von Ute und Horst geboren und wir konnten danach seine schriftstellerischen Fähigkeiten in „Leben ohne Chef und Staat“, „Anti-Aging für die Anarchie“ und dem vielbeachteten Sachbuch „Anarchie“ nachprüfen.

Der Tod seiner Mutter im Jahr 2003 und der Tod seines Vaters schon ein Jahr später waren für Horst schmerzliche Verluste. Denn er hatte noch so viele Pläne, so viele Ideen, deren Verwirklichung er seinen Eltern zeigen wollte. Als er uns Ende 2004 von einer Post-Polio-Diagnose erzählte, bemerkten wir zum erstenmal ein leichtes Verzagen, einen unsicheren Blick in die Zukunft.

Doch auch diese Herausforderung löste Horst mit vielen anderen Menschen, indem der Verein Neuland gegründet und die alte, geschichtsträchtige Talgrafen-Villa der Oehlert Familie im Schönthal (Stadtteil von Neustadt) gekauft werden konnte. In dieser Zeit erinnerte sich Horst auch daran, dass er in seiner Jugend mit Portraitmalen und dem Verkauf kleiner Bilder sein Taschengeld aufgebessert hatte. Er wollte sich eine Staffelei und Farben kaufen, um der künstlerischen Seite der Stowassers mehr Raum zu geben, immerhin war er mit Friedrich Stowasser, der sich seit 1949 Friedensreich Hundertwasser nannte, verwandt.

Bis zum Einzug nach den Umbauarbeiten wollte Horst für kurze Zeit im Mandelring unterkommen, das Anarchiv war eingelagert und die nahe Zukunft war eigentlich klar umrissen.

Aber durch einen tragischen Sturz mit einer Kopfverletzung und einer sich anschließenden Blutvergiftung starb unser Freund und Genosse Horst Stowasser am 30. August im Klinikum Ludwigshafen.

Wenn wir heute als Trauergemeinde zusammenkommen, um eines verstorbenen Menschen zu gedenken und um ihm die letzte Ehre zu erweisen, so schließt sich durch das vergangene Leben und auch durch diesen Tod der ewige Kreis des Lebens selbst und die Zeit löst sich für einen Moment auf. Das Vergangene ist genauso gegenwärtig wie das Zukünftige schon gegenwärtig ist. Ich möchte Euch noch dafür ein kleines Beispiel mit auf den Weg geben.

Stellt Euch vor, wir alle sitzen in einem Fahrzeug und vor uns, ein ganz wenig erkennbar am Horizont, ist das Neue, die Zukunft, unsere Zukunft. Nun, schaut mit mir in den Rückspiegel des sich nach vorne bewegenden Fahrzeuges, und was werden wir sehen, das hinter uns Liegende, das Zurückgebliebene, unsere Vergangenheit.

Jede und jeder von uns hat aber andere Bilder, andere Erinnerungen an diese, unsere Vergangenheit. Nur in dieser Trauerstunde hatten wir ein gemeinsames Bild, eine gemeinsame Erinnerung durch Horst Stowasser. Er hat durch sein Leben und unsere Erinnerung daran, aber auch durch seinen Tod das Gefüge der Zeit kurz verändert, so dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einen Moment lang eins waren.

Dies ist ein kleiner Blick hinter den Schleier einer größeren Wahrheit, einer anderen Ordnung in diesem scheinbaren Chaos und ich bin mir sehr sicher, auch Horst wusste um dieses Geheimnis.

Nun möchte Dieter für die Menschen um das Projekt Eilhardshof noch einige Worte an Euch richten.

Bitte erhebt Euch von Euren Plätzen und senkt die Fahnen.

Von Geburt an beginnt das Erlebnis
wenn wir uns zur Sonne drehn
es gibt mehr zu sehn als wir je sehen können
mehr zu tun; -soviel mehr zu verstehn
Das Leben hier ist ein Wunder
alles immer wieder neu, -so endlos und weit
und die Sonne zieht leicht ihren goldenen Kreis
für groß und klein bis in die Ewigkeit
um den ewigen Kreis, -dreht sich unser Leben
dem Gesetz der Natur sind wir geweiht,
wir sind alle Teil dieses Universums
und das Leben ist ein ewiger Kreis

Sein Körper wird in den Flammen aufgehen, aber sein Andenken wollen wir mit uns nehmen, dass es kraft der lebendigen Erinnerung in uns wohne. Wir wollen sein Andenken bewahren und schützen.

Die Urnenbeisetzung findet dann im engsten Kreis statt.

Ich danke Euch im Namen der Angehörigen für die erwiesene Anteilnahme.

Während nun „Der Gondelfahrer“ von Schubert erklingt, wollen wir den Sarg nach draußen bringen, damit alle Anwesenden von Horst endgültig Abschied nehmen können.

Pavol wird danach mit seiner Geige „a las barricadas“ anstimmen, der Text ist verteilt und wer möchte, kann mitsingen. Es wird eine Anfahrtsskizze verteilt und wir treffen uns auf dem Ludwigsbrunnenhof im Stadtteil Haardt.

Ausklang: CD von Ute Schön mit Joan Baez „Dona, Dona, Dona, Dona“ (eigentlich Adonaj, „mein Herr“, hebräische Anrufung von Jahweh)

Bernd Elsner, 7. September 2009, Friedhof Neustadt an der Weinstraße



Nachwort

Ich würde mich freuen, wenn sich Genossinnen oder Genossen durch diese Rede angesprochen fühlen, in ihrem Heimatort, in ihrer Region beim Tod eines Menschen ebenfalls eine Rede zu halten. Gerne würde ich mich mit anderen austauschen, damit wir der kirchlichen/christlichen/mosaischen/islamischen, kurz der bigott-bürgerlichen Dominanz unsere anarchistische Ethik und Moral entgegensetzen können.

Vielleicht wäre es sogar möglich, einen Kreis von Gleichgesinnten zu bilden, damit verstorbene Genossinnen und Genossen durch Freie Rednerinnen und Redner eine ansprechende Trauerfeier erhalten, die auch ihr gesellschaftliches Wirken würdigt. Bernd Elsner

Kontakte: Bernd Elsner / Region Wilder Süden
E-Mail: bee@bernd-elsner.de
Leila Haas / Region Rhein-Main: leila.membran@gmx.de

Quelle: Graswurzelrevolution, Nr. 342, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 38. Jahrgang, Oktober 2009.



Trauerrede von Bernd Drücke: "Ein beharrlicher Säer anarchistischer Ideen"

Liebe Familie Stowasser, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, wir haben uns heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen von einem lieben und geliebtem Menschen, dem großartigen Schriftsteller und Anarchisten Horst Stowasser.

Klaus von der FAU Neustadt hat mich gebeten hier über Horst zu sprechen, als Freund, als jemand, der in den letzten Jahren viel mit Horst zu tun hatte, und auch als Redakteur der Monatszeitung Graswurzelrevolution.

Ich erinnere mich gerne an Horst. Seit ich vor acht Tagen die Nachricht von seinem Tod erhalten habe, bin ich erschüttert und schlafe schlecht. Sein Tod macht mich traurig. Es ist unfassbar, dass er zu plötzlich und für uns alle unerwartet gestorben ist.

Er stand mitten im Leben. Vor wenigen Tagen haben wir noch ausgiebig telefoniert: Horst wollte eine Rezension für die Libertären Buchseiten und einen weiteren Artikel für die November-Ausgabe der Graswurzelrevolution schreiben, über das generationsübergreifende Wohnprojekt „Eilhardshof“, das er hier in Neustadt mit vielen Freundinnen und Freunden ins Leben gerufen hat.

Gemeinsam wollten wir auch das etwas angestaubte Layout der Graswurzelrevolution überarbeiten. Er steckte voller Lebenskraft und Tatendrang – seiner Kinderlähmung zum Trotz. Seine große Menschenfreundlichkeit und sein Optimismus waren mitreißend. Er war ein unermüdlicher Säer libertärer Utopien. Ein toleranter, genießender und großherziger Mensch. Sektierertum und Dogmatismus waren ihm fremd. Stattdessen begegnete er allen Menschen mit einer großen Offenheit, unabhängig von ihrer Weltanschauung. Er konnte gut zuhören, reden, diskutieren, Menschen integrieren und begeistern. Ganz im Sinne Gustav Landauers war Anarchie für ihn keine Sache der Forderungen, sondern des Lebens.

Horst wird uns fehlen

Ilka, Bernd Drücke und Horst Stowasser beim „35 Jahre Graswurzelrevolution“-Kongress (31.8. -2.9.2007) in Könnern. Foto: ChD (GWR-Archiv)

Er war seit den 70er Jahren durch die von ihm mitgeprägten Bewegungszeitungen, durch seine Vorträge und Bücher der wohl einflussreichste Anarchist in Deutschland.

Auch bei meiner persönlichen Politisierung spielte er eine große Rolle. Als Jugendlicher, Anfang der 80er Jahre, habe ich das vor allem von ihm verfasste „Was ist eigentlich Anarchie?“ aus dem Karin Kramer Verlag gelesen. Seitdem verstehe ich mich als Anarchist. Als ich sein Standardwerk „Leben ohne Chef Staat“ zum ersten Mal gelesen habe, war ich 20 und begeistert. So lebendig und klar, ohne verschwurbelte Fachtermini, ohne soziologenchinesische Tendenzen – so wie Horst schreiben leider nur wenige AnarchistInnen.

Sein „Projekt-A-Buch“ wurde konspirativ verbreitet. Es hatte aber dennoch einschlagende Wirkungen. Auch in meiner Wahlheimatstadt Münster spielte es z.B. bei der Gründung libertärer Zentren und Projekte eine große Rolle.

Die bundesweiten, szeneinternen Konflikte um das Projekt A führten allerdings dazu, dass sich Horst ab 1995, nach Erscheinen seines „Freiheit pur“-Wälzers, 10 Jahre lang enttäuscht aus der libertären Szene zurückzog. Er arbeitete viel und verdiente zeitweise gutes Geld. Aber er verfasste 10 Jahre lang keine Artikel für anarchistische Zeitungen und er schrieb keine Bücher mehr.

Als ich in den 90er Jahren meine Doktorarbeit über Anarchistische Presse geschrieben habe, konnte ich zig Bewegungs-Archive in Europa besuchen und dort libertäre Schätze auftun. Natürlich habe ich zu jener Zeit auch mehrfach Horst Stowasser angeschrieben, um das von ihm 1971 gegründete, legendäre „AnArchiv“ zu besuchen. Ich bekam damals keine Antwort. Es war die Zeit, in der Horst die Schnauze voll hatte von der anarchistischen Szene.

Trotzdem habe ich in den anderen Bewegungsbibliotheken 500 verschiedene Periodika gefunden und auswerten können, darunter auch viele, an denen Horst in den 70er und 80er Jahren beteiligt war – z.B. die anarchosyndikalistische „direkte aktion“, die 1977 ins Leben gerufen worden war und heute immer noch alle zwei Monate als bundesweites Sprachrohr der Freien ArbeiterInnen Union (FAU) erscheint. „Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht?“, der als Frage formulierte Titel der 1998 veröffentlichten Buchfassung meiner Dissertation, bezieht sich auf eine These von Horst. In „Freiheit pur“ hatte er geschrieben, der Anarchismus in Deutschland bewege sich „seit 20 Jahren im Wesentlichen nur zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht“. Diese These habe ich in meiner Studie verworfen. Und letztlich tat das auch Horst. Nicht zuletzt inspiriert auch durch seine Werke, entstanden nämlich viele Projekte, darunter Kommunen, libertäre Zentren und Wohnprojekte, wie der generationsübergreifende Eilhardshof hier in Neustadt.

Im November 2005 habe ich ein einstündiges Radiointerview mit Horst geführt. Es wurde im Bürgerfunk auf Antenne Münster ausgestrahlt, erschien gekürzt in der Graswurzelrevolution und 2006 in einer überarbeiteten, längeren Version in dem Interviewband „ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert“. In vielen Gesprächen und bei gemeinsamen Veranstaltungen entwickelte sich eine tiefe Freundschaft.

Ich bin stolz darauf, dass ich Horst dazu motivieren konnte Artikel für die Graswurzelrevolution zu schreiben und sein Standardwerk „Freiheit pur“ zu aktualisieren und um weitere Kapitel zu ergänzen. „Freiheit pur“ heißt jetzt „Anarchie!“. Es ist das wohl beste Buch zum Anarchismus, das im Deutschland des 21. Jahrhunderts bisher erschienen ist. Während „Der kleine Stowasser“ ein Buch ist, mit dem seit Generationen Latein-Schülerinnen und Schüler gequält werden, ist „Der große Stowasser“ ein Werk, das Generationen von Anarchie-Begeisterten hervorbringen wird.

Horst ist gestorben. Aber sein Traum von einer herrschaftslosen Gesellschaft, von einem Leben ohne Chef und Staat, ist lebendig.

Wir sollten alles tun, damit dieser Traum Wirklichkeit wird.

Ich schließe mit einem Zitat des 1934 von den Nazis ermordeten Anarchisten Erich Mühsam: „Wollt ihr denen Gutes tun, die der Tod getroffen, Menschen, lasst die Toten ruhn und erfüllt ihr Hoffen.“

Bernd Drücke, 7. September 2009



Erinnerungen an einen Freund. Trauerrede von Lutz Schulenburg (Edition Nautilus)

Besonders beeindruckte mich damals (und in der Erinnerung heute noch) eine Sammlung von Stempeln ...

Die ausgedruckte Meldung der anarchosyndikalistischen Ortsgruppe aus Neustadt a.W. war nüchtern überschrieben: „Horst Stowasser ist tot!“. Die Mail lag als giftiger Morgengruß auf meinem Schreibtisch und ernsthaft dachte ich, wenn ich jetzt die Augen für einen Moment schließe, wird diese bittere Nachricht wie ein Trug verschwinden. Der Tod, so gewiss er auch ist, bleibt dennoch eine Schweinerei.

Es dürfte um 1972 gewesen sein, als wir steifgefroren aus dem unbeheizbaren und ziemlich lecken 2CV, in dem der Schneesturm, der Friesland an diesem Tag durchzog, weitertobte, herausfielen und Horst, Klaus, Réne und die anderen Genossinnen und Genossen uns mit einer Kanne „Eisbrecher“, jenen in Hafenstädten nur aus Alkohol zusammengebrauten „Grog“, wieder auftauten.

Es muss dann noch ein ziemlich langer Abend im Anarchosyndikat Wilhelmshaven geworden sein, und wenn die Erinnerung nicht trügt, wachte ich am nächsten Morgen gut verpackt unter einem Tisch wieder auf. Horst Stowasser musste in seiner freundlichen Art erneut dafür sorgen, dass die angereisten Genossinnen und Genossen auch wieder auf die Beine kamen. Danach zogen wir, Agitation betreibend, mit unseren „Volkspreisheften“ und Zeitungen durch die Stadt.

Stolz zeigte Horst uns die „Errungenschaften“ des ASY, die Räume in dem Kasernenbau, wo 1918 die Matrosen gemeutert hatten, zählte die Aktivitäten der anarchistischen Gruppe auf und zeigte uns die Plakat- und Broschürenproduktion und ihren Buchladen. Besonders beeindruckte mich damals (und in der Erinnerung heute noch) eine Sammlung von Stempeln, die mich, als mögliche Insignien bürokratischer Autorität, zunächst irritierte. Aber es ist diese Liebe zum Zauber des Unnützen, die einen Menschen in meinen Augen auszeichnet. So wurden wir Freunde, wie man es vielleicht nur in einer Zeit großer Erwartungen werden kann, in der wir uns wenig Sorgen um die Zukunft machten. Denn wie vielen Rebellen damals galt auch für uns als fraglos, dass es mit der alten Welt des Kapitalismus in kürzester Zeit zu Ende sein würde. Wir lebten im Bewusstsein einer Gegenwart, frei von den Fesseln der Vergangenheit und dem lähmenden Gift der Zukunftsängste.

Um die Verdienste von Horst Stowasser für die neue anarchistische Bewegung nach 1968 aufzuzählen, reicht der Platz nicht aus. Er gründete Zeitschriften, Kollektivprojekte, schrieb Artikel, studierte Landwirtschaft, war Drucker, Vortragsreisender, Verleger, Archivar, Organisator und Buchautor. Das wichtigste an seinem Wirken war: Verbindungen herzustellen, Verknüpfungen und Verknotungen, auf lokaler wie internationaler Ebene. Am Lernfeld Praxis lag ihm mehr als am Säurebad der Theorie. Er war eher Vermittler denn Theoretiker, und seine Fähigkeit Zusammenhänge zu vermitteln, macht auch die Stärke seiner Bücher (wie „Leben ohne Chef und Staat“ und sein dickes Grundlagenwerk „Anarchie!“) aus. An einer lebendigen Verbindung des Alltagslebens mit den emanzipatorischen Ideen der freiheitlichen Bewegung war ihm mehr gelegen als an einem ideologischen Arkadien in der Studierstube. So lag ihm stets daran, die Unmittelbarkeit kollektiver Entstaatlichung heute schon voranzubringen: Lebens- und Arbeitskollek¬tive, Genossenschaft und gegenseitige Hilfe. Der einzelne Mensch muss seine Bedürfnisse ernst nehmen und lernen, ohne Chef und Bürokraten auszukommen, lernen, sich mit anderen zu verbünden, um solidarisch zu handeln.

In der letzten Zeit war Horst in Neustadt mit einem generationsübergreifenden Wohn- und Lebensprojekt beschäftigt, wie immer begeistert – genauso wie für den „Tante-Emma-Laden“, einen libertären Infoladen in der sonst wie üblich warenförmigen Eintönigkeit der Fußgängerzone, für den Emma Goldmann Namenspatin ist. Für alles Weitere fehlt er jetzt.

Lutz Schulenburg, 7. September 2009

Quelle: Graswurzelrevolution Nr. 342, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 38. Jahrgang, Oktober 2009.




Trauerrede von Andreas W. Hohmann (FAU / Edition AV Verlag)

Liebe Ute, Klaus, liebe Angehörigen!

Euch gilt erst einmal unser Mitgefühl.

Ich möchte hier im Namen der FAU, und persönlich ein paar Worte sagen.

„Horst Stowasser ist tot!“, diese Nachricht traf mich, kalt und unvorbereitet – wie viele andere auch. Und nach einem ersten „Das kann nicht sein“, machte sich Sprachlosigkeit breit – und diese hält sich eigentlich bis jetzt. Mit Horst hat uns ein Weggefährte und Genosse verlassen, der gleichzeitig der wohl bekannteste Anarchist in Deutschland war. Sein Wirken hat bleibende, unauslöschliche Spuren hinterlassen.

Für viele Menschen waren die Bücher von Horst Stowasser die erste Begegnung mit der anarchistischen Strömung und für viele FAUler-Innen waren seine Bücher der Eintritt in die Bewegung. Veranschaulicht er doch im besten Stil verfasst Tradition, Geschichte und Wirken unserer Ideale. Auch mich hat Horst mit seinen Ideen und Idealen beeinflusst – letztendlich gehört er auch zu den Menschen, die die Richtung meines Lebens maßgeblich bestimmten.

Vor wenigen Jahren führte ihn sein Weg auch wieder in die FAU, in deren lokaler Gruppe in Neustadt er aktiv wurde und auch hier engagierte er sich für eine bessere humanere Welt. Bei einem Süd-Treffen begegnete ich ihn auch zum ersten Mal persönlich und während wir gemeinsam auf einem kleinen Spielplatz auf die Kinder aufpassten, gebaren wir gleich neue Ideen.

Aus vielen Telefonaten und Gesprächen weiß ich, dass viele FAUler-Innen Horst nicht das letzte Geleit geben können. Entweder erlaubt es die finanzielle Situation oder die prekäre Jobsituation nicht. Und eine Gesellschaft, die so etwas zulässt, ist nicht unsere und war auch nicht seine Gesellschaft. Horst trat ein für eine menschliche Welt ein – wir werden weiter machen.

Ein paar persönliche Worte noch!

Bekanntlich ist Religion nicht unsere Sache. Wir können uns also nicht damit trösten, dass Horst jetzt in irgendeinen Utopia lebt, auch wenn dieser Gedanke für uns schön wäre. Horst hat so viele Menschen mit seinen Ideen beeinflusst, er hat so viele Projekte angestoßen und eine Menge realisiert. Wir mögen vielleicht heute seinen Körper beerdigen – nicht aber seine Ideen.

Diese werden in vielen Menschen weiterleben und vielleicht kann euch dies ein kleiner Trost sein.

Als ich bzw. der Verlag Horst gebraucht haben, war er sofort für uns da.

Liebe Familie – wir stehen an eurer Seite und wenn ihr unsere Hilfe braucht, helfen wir.

Im Namen der FAU und persönlich möchte ich hier noch einmal unsere tiefste Anteilnahme ausdrücken.

Andreas W. Hohmann, 7. September 2009



Trauerrede von Dieter Martischius (Eilhardshof)

Liebe Angehörige, Freunde und Weggefährten von Horst,

mit Euch allen haben sich auch die zukünftigen Bewohner des Eilhardshofes hier versammelt, um von Horst Abschied zu nehmen. Manche von uns kannten ihn schon seit vielen Jahren, andere haben erst im Umfeld unseres generationenübergreifenden Wohnprojektes Zugang zu ihm gefunden.

Auch unsere Wege kreuzten sich erst spät, im Mai 2007 in der Volkshochschule in Neustadt. Damals hat uns Horst seine Vision vom Eilhardshof vorgestellt, einem Wohnprojekt, in dem Antworten auf die demografischen Herausforderungen unserer Zeit gesucht und gefunden werden. Oder aber, so wie Horst es immer viel treffender ausgedrückt hast: „Ein Ort, an dem Menschen jeden Alters zusammen leben, sich gegenseitig unterstützen und mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten beschenken werden“

Damals in den Räumen der Volkshochschule hat Horst seine Ideen von einer „freiwilligen Wahlverwandtschaft“ entwickelt, von einem offenen Haus für kulturelle Veranstaltungen, soziale Begegnung und politische Initiativen. Am meisten hat mich dabei beeindruckt, mit welcher Offenheit und ansteckenden Begeisterung Horst auf alle Menschen zugegangen ist: Nicht nur seine langjährigen Weggefährten, nicht nur die Veteranen des WESPE-Umfeldes, auch Menschen, die bisher vergleichsweise eher unpolitisch durch ihr Leben gegangen sind, durften sich willkommen und angenommen fühlen. Dafür möchte ich Horst ganz besonders danken.

Dieses Offensein für Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Anschauungen, dieses Suchen nach Verbindendem, dieses Überbrücken von Trennendem, dieses Setzen auf absolute Freiwilligkeit, das alles hat den Eilhardshof in seiner heutigen Struktur geprägt. Ich zitiere wieder:

Horst Stowasser vor dem Eilhardshof in Neustadt a.d. Weinstraße.

„Der Eilhardshof ist keine Kommune, jeder Mieter hat seine eigene Wohnung, aber wir bieten ganz bewusst viele Möglichkeiten zur Gemeinschaftlichkeit an: gemeinsame Küche, Wohnzimmer, Kultur- und Hobbyräume, Büros, Werkstätten usw. Auf diese Weise wollen wir viele Angebote schaffen, die ein Höchstmaß an Gemeinschaftlichkeit bieten und so viel Raum für Individualität lassen, wie jeder Einzelne für sich braucht.“

Manchem mag dieser Ansatz nicht weitreichend genug gewesen sein, oder er mag eine radikale politische Aussage vermissen. Aber – und jetzt folgt wieder ein Zitat-: „Ist es nicht auch in einem gewissen Sinne politisch, wenn wir eine Antwort auf die Frage nach einem würdigen Leben im Alter geben wollen? Und zwar selbstorganisiert, basisdemokratisch und solidarisch – und das nicht nur für reiche Menschen.“ Jeder mag sich diese Frage selbst beantworten.

Mit Horsts Vision eines generationenübergreifenden Wohnprojektes stehen wir nicht alleine: dafür sorgt schon die demografische Entwicklung. Denn einerseits werden wir immer älter und müssen im Alter Vereinsamung, Entwürdigung und Entmündigung befürchten. Andererseits leiden junge Familien zunehmend unter sozialer Isolation und beruflichem Dauerstress. Dass sich beide Gruppen helfen können, liegt klar auf der Hand.

Mittlerweile entwickeln auch Investmentgesellschaften, Kommunalverbände, Versicherungen, Kirchen und nicht zuletzt die großen karitativen Sozialverbände generationsübergreifende Wohnformen. Sie bieten alle mehr oder weniger attraktive Fertiglösungen an, die sich andere Menschen ausgedacht haben. Modelle, in die man sich in aller Regel für viel Geld einkaufen muss.

Genau an dieser Stelle hat Horst mit seinen Visionen einen gänzlich anderen Weg vorgezeichnet. Ich darf wieder zitieren: „In unserem Modell sollen die Menschen selbst für sich entscheiden und sich ihren Traum vom würdigen Leben nach ihren Vorstellungen selbst formen. Ein Modell der Wahlverwandtschaft, in dem man sich aussucht, mit wem man zusammen leben möchte. Und ein Modell der gegenseitigen Hilfe, in das sich jeder nach seinen Fähigkeiten einbringt und jedem nach seinen Bedürfnissen Unterstützung zukommt. Ein Modell, bei dem es nicht um Geld gehen soll, sondern um Lebensfreude und Sympathie.“

Diese gegenseitige Hilfe, diese Solidarität in alltäglichen Situationen, dieses gegenseitige Geben und Nehmen - aber ohne gegeneinander aufzurechnen - das hat Horst an anderer Stelle noch konkreter beschrieben: „Jeder Mensch ist etwas besonderes, hat seine Stärken und Schwächen. Jeder Mensch kann Dinge, die andere nicht so gut können, oder die Ihnen nicht liegen. Das gilt unabhängig vom Alter und fast immer vom gesundheitlichen Zustand: Auch sehr alte und sehr kranke Menschen können anderen immer noch etwas Wertvolles geben (nur haben sie keine Chance dazu, wenn sie alleine oder im Heim leben). Kinder wissen das, wenn Sie die Oma um ein Märchen anbetteln, oder Opa so lange löchern, bis er mit ihnen bastelt oder eine Geschichte aus der Zeit erzählt, in der er selbst noch ein Kind war.“

Es mag sein, dass Horst an dieser Stelle vielleicht auch an sich selbst gedacht hat, an seine ihn seit der Kindheit begleitende Erkrankung, die sich in den letzten Jahren immer heftiger zurückmeldete.

Wir Eilhardshöfler täten Horst allerdings Unrecht, wenn wir ihn nur als visionären Vordenker unseres Projektes sehen würden. Er wird uns auch als Mensch immer gegenwärtig bleiben.

Wie gerne erinnere ich mich an die Stunden, in denen der elegante dreiteilige Anzug abgelegt war und Horst im blauen Seemannspullover mit Kapitänsmütze am Lagerfeuer saß. Dann gab es die norddeutschen Fischspezialitäten und die für ihre Verdauung notwendigen Getränke. Wenn Horst dann zu späterer Stunde noch den Poncho überzog und zur Gitarre griff, war das nicht nur eine Zeitreise durch sein Leben, das leider viel zu kurz war. Es war auch ein Ausdruck seiner unerschütterlichen, ansteckenden Lebensfreude, die alle umschloss, die niemanden außen vor ließ.

Horst, wir alle rücken jetzt noch enger zusammen, die Lücke, die Du hinterlassen hast, ist nicht zu schließen. Aber mit aller Entschlossenheit werden wir Deine Vision vollenden: In den traditionsreichen Räumen des Eilhardshofes, in seinem wunderbaren Garten, in unseren Köpfen und - erst recht in unseren Herzen - wirst Du immer präsent sein.

Danke, für alles!

Dieter Martischius, 7.9.2009



Erinnerungen und Nachrufe



Erinnerungen an Horst Stowasser von Jochen Knoblauch

Die Nachricht vom Tode Horst Stowasser’s berührt mich tief, zumal es sehr überraschend kam. Horst, drei Jahre älter als ich, der trotz (oder gerade erst recht ) wegen seiner Gehbehinderung, immer Optimismus versprühte, war für mich ein Mensch, dem ein langes Leben zu wünschen war.

Horst Stowasser mit dem Projektreader zu dem von ihm initiierten "Projekt A"

Hier nun mal spontan geschrieben, erinnere ich mich an meine erste persönliche Begegnung mit Horst in den 1970er/80er Jahre auf der Frankfurter Buchmesse. Wir waren zusammen mit Bernd Kramer in ein fiktives Gespräch verwickelt, wem es wohl am besten gelingen könnte dort Bücher zu klauen (Anarchisten klauen keine Bücher! Schon gar nicht auf der Frankfurter Buchmesse!). Horst vertrat natürlich die These, dass er es wäre, da die Wachleute einen hinkenden Mann weniger verdächtigen würden, außerdem sah er „seriöser“ aus. Darauf legte Horst wert.

Beeindruckend war auch sein Auftritt im Berliner Projekt „El Locco“ in der Kreuzbergstraße, wo wir diverse Film- und Vortragsabende Anfang der 90er Jahre organisierten. Mit einer Selbstverständlichkeit vertrat er die These: Anarchie ist machbar! Um die Situation zwischen Referenten und Publikum aufzuheben, verteilte Horst erst mal einige Tüten Chips – lasst es rascheln, niemand braucht hier nur andächtig zu zuhören. Und dann kam seine, selbst für mich bis heute eindrucksvolle Frage: was machen wir, wenn die Bürger sagen würden, wir wollen keine Regierung mehr, wir wählen nicht mehr. Wir machen das jetzt einfach mal so, wie ihr Anarchisten (Horst mochte das Binnen-I, wie viele seiner Generation, nicht) es immer gesagt habt. Was würden wir dann tun?

Diese Frage beschäftigte mich immer wieder. Und der in den letzten Jahren aufkommende Google-Anarchismus, der meint vor der Revolution erst mal die eigenen Reihen säubern zu müssen, hat es eben nicht verstanden, worum es geht: Wir AnarchistInnen sind geradezu verpflichtet unsere Ideen, unsere Ansprüche vorzuleben. Es nutzt nicht nur zu reden, sondern wir müssen – soweit wir können – unsere Lebenshaltung im Alltag auf die Tauglichkeit überprüfen. Wir müssen unseren Nachbarn zeigen, wie Anarchisten leben und handeln wollen. Horst war jemand, der das gut konnte und gemacht hat. Davon zeugt auch die Idee vom „Projekt A“. Selbst, wenn es vordergründig gescheitert ist, so bleibt die Idee doch erhalten – ähnlich wie p.m.’s „bolo’bolo“ – und es ist machbar. Dies wusste Horst immer wieder zu vermitteln.

Zuletzt sah ich ihn auf dem GWR-Fest in Könnern. Er berichtete enthusiastisch von seinem generationsübergreifenden Projekt Eilhardshof. Wenn früher die Kinder versuchten ihre Eltern von Projekten zu überzeugen, waren es nun die engagierten Eltern, die sich freuten, dass auch ihre Kinder sich beteiligen wollten.

Da ich nicht jemand bin, der ständig auf die Leute zugeht, freute es mich sehr, als Horst während der Pause in Könnern auf mich zu kam. Ich war davon ausgegangen, dass er mich gar nicht groß erkennen würde, aber er belehrte mich eines besseren. Er erinnerte sich noch daran, als er in den 1980er Jahren in Berlin auch bei mir war, als ich noch den AurorA-Buchvertrieb machte. Wir hatten gerade beschlossen, dass vorn im Ladengeschäft eine Goldschmiede samt Wohnaccessoires rein sollte, und in den hinteren Räumen war der Anarcho-Buchladen sowie Vertrieb und Buchversand. Horst war begeistert: genauso läuft das beim „Projekt A“, Projekte, die Geld einbringen und Projekte, die u.U. Geld eher brauchen, gehen zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Wir fühlten uns nicht als Projekt A, aber freuten uns über Horst’s Begeisterung. Das sich Horst selbst an diese Begegnung erinnerte erfreute mich sehr. Und ich ärgerte mich später, dass ich vorzeitig aus seinem Workshop raus musste, da ich noch am selben Tag nach Berlin wollte.

Horst gehörte zu jenen, die als Autoren in der GWR wie in der DA willkommen waren, und davon gibt es nicht viele, zu sehr haben wir uns in den Gräben verschanzt. Hier wird Horst als Vermittler fehlen.

Nur mit dem Individualanarchismus hatte er es nicht (ist aber auch nicht schlimm). Als der Kramer-Verlag mich bat das Kapitel über den Individualanarchismus im Buch „Was ist eigentlich Anarchie?“ zu überarbeiten, musste ich recht viel an Horst denken (auch für sein letztes Buch bei Nautilus holte er sich für dieses Kapitel Hilfe). „Was ist eigentlich Anarchie?“ brachte zuerst Horst anonym als Broschüre – damals war sein Projekt AnArchiv noch in Wetzlar ansässig – heraus. Nach und nach arbeiteten verschiedene Autoren diverse Kapitel aus, bis ein Buch draus wurde. Allerdings war damals meine Ehrfurcht vor dem Stowasser-Text ziemlich groß, sodass meine Korrekturen nur recht zaghaft ausfielen.

Horst war sicher nicht der absolute Historiker, wie er allgemein gewünscht wird. Mit Zahlen nahm er es nicht so genau, aber seine Art die Geschichte der Anarchie zu erzählen und zu vermitteln war großartig, und dafür lieben wir ihn.

Anarchie ist machbar!

Jochen Knoblauch

Berlin, den 31.8.09



Nachruf auf Horst Stowasser von der FAU Neustadt a.d.W.

Horst Stowasser spricht über Anarchie als Utopie von morgen im Rahmen des
Interpenetration Festivals in Graz am 2. Dezember 2008.
Teil 2 | Teil 3 | Teil 4

Horst Stowasser ist tot!

Eine Umfrage unter Mitgliedern der Freien ArbeiterInnen-Union vor ca. zehn Jahren ergab, dass augenfällig viele durch Horst Stowassers Buch „Leben ohne Chef und Staat“ zum Anarchismus und zur FAU gestoßen sind.

Horst Stowasser ist am 30. August 2009 im Alter von 58 Jahren in Neustadt an der Weinstraße gestorben.

Aber seine Ideen leben in seinen vielen Publikationen und Projekten weiter und werden auch weiterhin die unterschiedlichsten Menschen erreichen. Dies war sein Anliegen bis zum Schluss und dafür hat er gelebt. Wie ein Magnet zog er Menschen der verschiedensten Glaubensrichtungen, Philosophien und politischen Couleur an. Bei seinen lebhaften und anschaulichen Vorträgen und Lesungen riss er die Menschen mit und begeisterte sie für anarchistische Ideen. Durch seine völlig undogmatische Art schaffte er es, Menschen zusammenzubringen und sie zumindest davon zu überzeugen, dass Anarchismus kein Teufelswerk ist. Ihm war ein ehrlicher Christ, der rücksichtsvoll mit andern Menschen umgeht und ihnen in der Not hilft, lieber als ein Anarchist der seine „wahre Lehre“ rücksichtslos auslebt.

Toleranz leben, das war auch sein Anliegen bei den verschiedenen Projekten die er anstieß und bei denen er mitwirkte. „Projektanarchismus“ statt theoretischer Strömungen, das war seine Art zu überzeugen.

Das Projekt A mit seinen selbstverwalteten Betrieben, Wohnmöglichkeiten und Kulturveranstaltungen war die Initialzündung. Es folgte ebenfalls in Neustadt a.d. Weinstraße ein generationenübergreifendes Wohnprojekt, bei dem derzeit ein verfallenes Baudenkmal kollektiv so hergerichtet wird, dass den späteren Bewohnern des Gemeineigentums sowohl Gemeinschaftsräume als auch einzelne, abgeschlossene Wohnungen zur Verfügung stehen. Das letzte von ihm mitinitiierte Projekt ist der „Tante-Emma-Laden“ in der Fußgängerzone von Neustadt. Als Namensgeberin für den gut frequentierten libertären Infoladen steht Emma Goldmann.

Sein Wunsch, dass er gemeinsam mit dem von ihm zusammengetragenen „AnArchiv“ in den Räumen des Wohnprojektes „Eilhardhof“ einziehen kann, wird sich nun leider nicht mehr erfüllen. Aber es würde ihn mit Sicherheit freuen, wenn viele Menschen bei der Fertigstellung dieses Projektes mithelfen würden.

Die Erde möge ihm leicht sein!

FAU Ortsgruppe Neustadt a.d.Wstr.
Freunde und Genossen aus Neustadt



Nachruf auf Horst Stowasser von Marianne Enckell, CIRA

Den Stock in der Hand, die Zigarre im Mund, den Enthusiasmus im Leib

Horst gehörte zu den „Umtriebigen“, den unermüdlichen Propagandisten des Anarchismus.

In Argentinien aufgewachsen, wo er seine ersten politischen Gehversuche machte, kehrte er zum Studium nach Deutschland zurück, gerade als dort eine neue anarchistische Bewegung im Entstehen war. Mit seinem Bruder Klaus stürzte er sich ins Druck- und Verlagswesen und gründete 1971 ein Dokumentationszentrum, das er bei sich in Wetzlar unterbrachte, als Teil eines Kommuneprojekts. Er knüpfte rasch Kontakte in ganz Europa, veröffentlichte selbstgemachte Broschüren und Zeitschriften und nahm an internationalen Treffen teil. Nach Lausanne kam er zum ersten Mal 1972, um auf dem Kolloquium Gesellschaft und Gegengesellschaft über Deutschland zu sprechen, ein letztes Mal vor zwei Jahren, beim Treffen der FICEDL – dem internationalen Zusammenschluss der libertären Forschungs- und Dokumentationszentren –, anlässlich des CIRA-Jubiläums.

Hindernisse waren für ihn auch immer eine Gelegenheit, Veränderungen vorzunehmen. Die Idee zum „Projekt A“, die Ansiedlung einer Reihe von Kollektiven, die einen wirtschaftlich tragfähigen Bereich mit einer politischen Tätigkeit kombinieren, in einer Stadt mittlerer Größe, war seinem eigenen Leben entnommen, er, der im Verlagswesen und als Grafikdesigner arbeitete und gleichzeitig LeserInnen in seinem „AnArchiv“ empfing. Horst engagierte sich auch stark im Leben vor Ort, bei der Unterstützung spanischsprachiger ImmigrantInnen oder in der Wohnungsfrage. Schwierigkeiten und Konflikte blieben nicht aus, doch machte er nicht den Eindruck, als würden sie ihn allzu sehr belasten.

Selbst als die Krankheit ihn zeitweilig zum Rückzug zwang, blieb er stets guten Mutes. Bis hin zu seinem letzten Projekt, Vision und Wirklichkeit in einem: dem kollektiven Ankauf und der Sanierung eines großen Komplexes historischer Häuser in der Nähe von Neustadt, dem Eilhardshof, als Stätte gemeinsamen Lebens und Arbeitens über die Generationsgrenzen hinweg, vom Kleinkind bis zum Greis – ein praktisches Beispiel gegenseitiger Hilfe.

Sein erstes erfolgreiches Buch, Leben ohne Chef und Staat, ist im selben Geist des „Doppelprojekts“ geschrieben: Horst erzählt darin Episoden aus der Geschichte der Anarchisten, aus denen er Lehren für „Einsteiger“ zieht, eine Pädagogik der direkten Aktion und des Ethischen. Eines seiner letzten Bücher, mutig mit „Anarchie!“ (2007) betitelt, stand in Deutschland mehrere Wochen auf der Liste der meistverkauften Sachbücher und war Gegenstand unermüdlicher Vortrags- und Veranstaltungsreisen.

Eines der letzten Fotos des Bildbandes „Ciao Anarchici“ über das internationale Treffen in Venedig im September 1984 zeigt Horst beim Tanzen, mit einer jungen Frau auf den Schultern, die die schwarze Fahne schwenkt – eine Reminiszenz des berühmten Fotos aus dem Pariser Mai 68.

Marianne Enckell [1], CIRA

Quelle: Graswurzelrevolution Nr. 342, Oktober 2009. Übersetzung aus dem Französischen: Michael Halfbrodt.



Horst Stowasser und das Savoir-vivre

Erinnerung an Horst Stowasser. Von Bernd Kramer

Wann Karin und ich Horst kennen gelernt haben - ich weiß es nicht mehr.

Auf jeden Fall waren wir irgendwann in Wetzlar in einem (seinem?) Haus und übernachteten dort.

An die einzelnen Zimmer kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an die Bibliothek. Holzbücherregale bis zur Decke. Die Bücher thematisch ordentlich sortiert. In der Mitte des Zimmers ein raumeinnehmender Holztisch, ohne Tischdecke. Vier voluminöse Ledersessel. – Hier saßen wir. Worüber haben wir gesprochen? Mit Horst, wie üblich, über Bakunin und die Welt und die bevorstehende Weltrevolution... – Horst holte irgendwann feingeschliffene, bläulich changierende Gläser aus einem Schrank und kredenzte kubanischen (!!!) Cognac. (Hätten wir eigentlich gar nicht kosten dürfen, denn die kubanischen Kommunisten waren ja nun wirklich nicht unsere Kampfgenossen.) – Wie auch immer, die Destillation des edlen Getränks war brillant gelungen. – Von vornehmer Zurückhaltung bei der Verkostung konnte keine Rede sein, es blieb nicht bei nur einem Gläschen. – Um das Bacchantische noch zu steigern, holte Horst aus einer klimatisierten Zigarrenkiste, in der ein Thermometer und ein Feuchtigkeitsmesser installiert waren, kubanische Zigarren!!! Sie sind die edelsten unter den Zigarren. – Nicht Zigarrenraucher wissen es sicherlich nicht: Handelsübliche Zigarren haben ein Tabakdeckblatt, dann kommt braungefärbtes Papier und dann der Tabak. Nicht so die handgedrehten kubanischen. Sie sind aus purem Tabak, Deckblatt und die Innereien. – Horst hatte eine Art Zange, mit der man die Spitze der Zigarre mit einem kleinen Gehrungsschnitt rauchfertig schneiden mußte. Ich nahm dieses Werkzeug nicht, biß die Zigarrenkuppe ab und wollte mit einer Feuerzeugflamme diese Kostbarkeit genußfertig machen. Horst: „Das ist ein Frevel. Du mußt ein Streichholz nehmen!“ – Okay, ich befolgte seine Gebrauchsanweisung.

Nach all den Jahren, ja Jahrzehnten, ist diese Episode deshalb für mich so von Bedeutung und unvergeßlich, weil sie Horst als einen Genießer zeigt. Er war ein Hedonist, kein puristischer Zeitgenosse.

Bisweilen war ich irritiert über die unzähligen Projekte, die er plante und realisierte, ganz nach dem Motto: Anarchie ist machbar, Frau Nachbar!

Und nun: traurig, sehr traurig: Ein Sturz. – Ende.

Wir werden ihn vermissen. – Seine Bücher sind sein Vermächtnis: Leben ohne Chef und Staat.



Zum Tod von Horst Stowasser von Regine Naeckel

Horst Stowasser ist gestorben

Ein (persönlicher) Nachruf - von Regine Naeckel, 31. August 2009
(Erschienen in www.hintergrund.de)

"Am Anfang war der Zorn - die Zukunft wird anarchistisch sein!"

Dieser Satz aus dem Buch ANARCHIE! umreißt den Ausgangspunkt von Horst Stowassers unermüdlichem, begeistertem Kampf für eine andere, für eine bessere Gesellschaft. Und seinen unerschütterlichen Glauben an die Logik, dass nur ein anarchistischer Gesellschaftsentwurf dem brutalen Chaos des Kapitalismus ein "sanftes Chaos" vernetzter Strukturen entgegenzusetzen vermag, in dem die Herrschaft des Menschen über sich und die Natur überflüssig wird. Horst Stowasser starb im Alter von 58 Jahren am Morgen des 30. August 2009 in Neustadt an der Weinstraße.

Der sicher bekannteste "moderne" deutsche Anarchist Stowasser hing keiner Strömung gängiger Theorien an, er entwickelte vielmehr das Experiment seines Anarchismus, seiner libertären Ideen in verschiedensten Projekten - selbstverwaltete Betriebe, gemeinsames Wohnen und Kulturveranstaltungen waren die mit viel Einsatz und Leidenschaft betriebenen praktischen Umsetzungen von Horst Stowassers "Projektanarchismus".

Titelumschlag der von Horst Stowasser 1990 publizierten Broschüre

Fast vierzig Jahre lang beschäftigte sich Horst Stowasser mit der Geschichte der Anarchie, 1971 begründete er das Dokumentationszentrum AnArchiv, eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten, Zeitschriften und Literatur zum deutschen Anarchismus. 1985 veröffentlichte er sein erstes Buch, in dem er das „Projekt A“ entwarf, dessen Ziel die Verankerung libertärer Projekte im Alltagsleben einer Kleinstadt war. Das Projekt setze er kurz darauf in die Tat um, scheiterte und begann erneut. In seinen theoretischen Arbeiten verband er später die Grundlagen der Ökologie mit seinem Verständnis einer anarchistischen Gesellschaft.

Es ist außerordentlich traurig, dass dieser wache und mutige Denker, dieser liebenswerte Mensch so unerwartet starb. Wir durften ihn kennenlernen und er schrieb als Autor auch für Hintergrund.

Mein verwinkelter Weg - eine Hommage an Horst Stowasser

Als ich die Texte - vor allem "Freiheit Pur" - von Horst Stowasser (leider erst) vor einigen Jahren "entdeckte", fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wie durch Zufall war ich während meines Studiums auf ein Phänomen gestoßen, dass sich nun aus berufenem Munde bestätigte. Ohne mir wirklich sicher zu sein, glaubte ich vor Jahren den wissenschaftlichen Beweis für das Funktionieren einer anarchistischen Gesellschaft bei einem Chemiker gefunden zu haben - und hätte es beinahe wieder vergessen gehabt - wäre mir nicht Horst Stowasser "über den Weg gelaufen".

Anfang der 80er Jahre arbeitete ich für die Uni an einer theoretischen Untersuchung über Stabilität und Instabilität ökologischer Systeme. Dabei stieß ich in der Bibliothek auf Veröffentlichungen von Ilya Prigogine. Dissipative Strukturen, Selbstorganisation und Irreversibilität. Sofort spürte ich eine gewisse Unruhe, als hätte ich am Stein der Weisen gekratzt: Dynamische - nicht statische - Systeme waren die stabilen, die "lebesfähigen". Und alles, was ich über die Frage der Selbstorganisation in der Natur erarbeitete, ließ sich wunderbar auf gesellschaftliche Systeme übertragen! Ich hatte sogar den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik "geknackt" und die Theorie der durch die zunehmende Entropie im Wärmetod endenden Menschheit, ein für die kapitalistische Welt vom Club of Rome in die Debatte geworfenes Endzeitszenario, ad absurdum geführt. Ja, es ist auch ein Sein ohne ständiges (wirtschaftliches) Wachstum möglich, das verblüffte sogar mich selbst.

Doch das war nicht meine Aufgabe. Ich musste mich mit Mikroorganismen befassen. Tags schrieb ich meine Arbeit, nachts rauschte mir der Kopf, die Gedanken kreisten um Prigogines dissipative Strukturen in nichtlinearen Systemen. Hätte ich nur damals schon Horst Stowasser gekannt.

Es hatte keinen Sinn. Ich war abgelenkt und legte die Arbeit für die Uni zur Seite, nahm ein blankes weißes Blatt Papier und skizzierte ein utopisches Gesellschaftskonzept. Keine Macht für niemand, einer ist nur lebensfähig durch den anderen, schwarz auf weiß - wissenschaftlich belegt. Die Natur funktioniert exakt nach diesem Prinzip - seit Jahrmillionen. Und genau so könnte es auch die menschliche Gesellschaft. Jugendphantasien! "Kein dialektischer Materialismus - alles Quatsch", sagte meine Schere im Kopf.

Ich wandte mich wieder meiner eigentlichen Arbeit zu, hatte aber - neben den theoretischen Schriften der "alten" Anarchisten im Kopf - nun tatsächlich den kleinen schwarzen Funken im Herzen und die stille Gewissheit, dass Anarchie (theoretisch) funktionieren kann und muss. Und dass sie zum Nutzen aller und absolut friedlich sein würde. Ich wurde dennoch nicht zur Anarchistin im landläufigen Sinn.

Angekommen

Irgendwann - zwanzig Jahre später - stieß ich beim Kramen im Internet auf Texte von Horst Stowasser: "Leben ohne Chef und Staat" und "Freiheit Pur". Meine bruchstückhaften Denkansätze, die über Gedankenfetzen nie hinausgekommen waren - hier waren sie zu Ende gedacht, bestens formuliert, vergnüglich lesbar und angereichert mit den Erfahrungen und dem Scheitern eines "praktizierenden" Anarchisten. Ich empfahl die Bücher von Horst Stowasser Freunden, die bei der Vokabel "Anarchie" zuerst möglicherweise an Chaos und Gewalt dachten, sicher aber nicht an eine friedliche - womöglich glückliche - Gesellschaft ohne Machtstrukturen und Herrschaftsinstumente. (Mittlerweile ist "Freiheit Pur" als pdf im Internet --> KLICK .) Sicher wurde keiner dieser Freunde zu einem praktizierenden Anarchisten, aber alle bestätigten, äußerst positive Denkanstöße für ein besseres menschliches Miteinander bekommen zu haben. Und viele erklärten, wie wichtig es sei, dass aus einer Gesellschaft heraus Utopien entwickelt würden, die dann der wesentliche Motor sozialen Fortschritts seien. Utopien als Denkanstoß waren etwas, was viele vermisst hatten und vermissen.

Menschen anzusprechen, die ohne diese Bücher nie auch nur einen Gedanken der Geschichte der Anarchie gewidmet hätten oder sich ohne diesen Impuls nie gesellschaftlichen Utopien geöffnet hätten, ist einer der großen Verdienste Horst Stowassers. Als Autor und als Mensch war er nie ein Agitator oder Heilslehrer, aus seiner eigenen Begeisterung sprang ein Funke über, der seinen Lesern die Augen öffnete und die Welt neu entdecken ließ.

Vor über zwei Jahren erschien Horst Stowassers Buch ANARCHIE! Es stürmte kurz nach dem Erscheinen im Juni 2007 die Sachbuch-Charts. Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Deutschlandradio Kultur - überall wurde nicht nur Horst Stowassers "Geschichte der Anarchie" in den höchsten Tönen gelobt, auch seine Konzepte für gelebte Anarchie wurden mit stiller Bewunderung anerkannt. "Ein Kompendium, das in keiner Hausbibliothek fehlen darf", schrieb Volker Ulrich in der Zeit.

Anarchie wurde gesellschaftsfähig und erfuhr anerkennende Öffentlichkeit. Für mich war das ein Beleg, wie sehr - in Zeiten der sich anbahnenden Wirtschaftskrise und des Fehlens jeglicher Sinngebung - mittlerweile Teile der bürgerlichen Gesellschaft nach einem Ausweg aus der Festgefahrenheit des Kapitalismus, seiner Auswüchse und dem geistig einschränkenden ideologischen Überbau suchten.

Wir haben uns tatsächlich "getroffen"

Das erste Hintergrund-Heft im Jahr 2009 hatte den Schwerpunkt Wirtschafts- und Finanzkrise. Das war die Gelegenheit! Wir wollten unbedingt wissen, was Horst Stowasser dazu zu sagen hat. Ich schickte ihm eine Mail und er rief mich an. Er sagte zu, einen Artikel für uns zu schreiben. In seiner ihm eigenen Art, die Dinge positiv auf den Kopf zu stellen, um sie von der Kehrseite genauer betrachten zu können, lieferte er die "Diagnose: "Kapitalismus" - Vom Krankheitsbild eines absurden Wirtschaftssystems und der Aktualität einer anarchistischen Alternative " (lesenswert!!). Doch das war nicht alles. Wir telefonierten öfter und wollten in Kontakt bleiben, uns bei passender Gelegenheit treffen. Ich erzählte ihm von meinen "Zetteln" und Prigogine, wir lachten viel. Horst "stand ganz oben" auf meinem Zettel der Menschen, die ich unbedingt und bald einmal treffen oder besuchen wollte.

Nun ist ein neues Heft für Hintergrund in Vorbereitung, das unter anderem die Bundestagswahlen kritisch beleuchten wird. Ein wichtiger Punkt aus unserer Sicht ist dabei der Parlamentarismus an sich und seine Verkommenheit in den "demokratischen (westlichen) Gesellschaften", die Rolle des Souveräns und seine angebliche "Freiheit", das eigene Geschick wählen zu dürfen. Wer hätte besser als Horst dazu etwas schreiben, mit spitzer Feder dieses Lügengebäude konterkarieren können? Wir wollten ihn unbedingt bitten, wieder für Hintergrund zu schreiben.

Deshalb versuchte ich seit einiger Zeit, ihn anzurufen - vergeblich, e-Mails blieben unbeantwortet. "Sicher ist er in Urlaub", dachte ich. Heute nun wollte ich versuchen, im Eilhardshof jemanden zu sprechen, um zu erfahren, wann er wieder zu erreichen ist.

Als ich im Internet nach einem Kontakt recherchierte, fand ich die Meldung:

Horst Stowasser ist tot.

Ich bin fassungslos und traurig. Du fehlst uns, Du wirst vielen fehlen, die so gerne noch viel von Dir erfahren, wissen und lesen wollten.

Möge die Erde Dir leicht sein.



Horst, ich werde Dich vermissen! Von Stephan Krall

Horst Stowasser (rechts) und Stephan Krall im September 2007 vor dem Eilhardshof in Neustadt a.d. Weinstraße, der das neue Domzil von Horst werden sollte.

Ich habe es eben (1.9.2009) von seinem Bruder Klaus erfahren. Beide kenne ich seit Anfang der 70er Jahre. Klaus über das damalige gemeinsame Engagement für Sex-Pol und Wilhelm Reich und Horst (natürlich) über den Anarchismus. Damals war Horst noch in Wilhelmshaven und druckte die ersten anarchistischen Texte in preiswerten Broschüren nach. Die habe ich immer noch... und habe dann irgendwann selber mit dem Drucken angefangen. Seit damals verbindet mich eine Freundschaft mit ihm, und ich kann es gar nicht fassen, dass ein Mensch wie er, der noch so voller Pläne war (wie immer), plötzlich weg sein soll. Vor zwei Jahren hat er uns sein neues Projekt gezeigt, und die kleine Wohnung unten an der Ecke, in die er einziehen wird. Er war ganz begeistert (wie immer), sagte aber auch, dass es zu mehr nicht reichen würde, bei der mageren Rente, die er zu erwarten hat. Damals hatte ihn besonders das Wiederaufflammen seiner Kinderlähmung einen tiefen Schock versetzt, weil diese ihm abrupt die Vergänglichkeit zeigte, zumindest der Mobilität.

Ich habe an Horst immer die große Toleranz geschätzt und seinen Sinn für Realität. Ich erinnere mich noch gut, wie er (damals noch in Wetzlar) sagte, wenn er einen Buchladen eröffnet, dann verkauft er dort selbstverständlich die Bild-Zeitung. Ein Affront natürlich für viele Anarchos. Er meinte aber, dass er sonst erstens keine Chance mit so einem Laden hätte, und zweitens auf diese Weise Leute in den Laden bekäme, die sonst niemals in einen anarchistischen Buchladen gingen. So war er und so habe ich ihn gemocht. Für seinen "Wälzer" (Freiheit pur) bat er mich, das Stirner-Kapitel durchzuschauen, was ich gerne gemacht habe. Ich gestehe aber, dass ich das Buch nie ganz gelesen habe, obwohl er mir dann extra in die Widmung geschrieben hat, dass ich nicht nur das Kapitel 24 lesen soll. Dafür habe ich aber einige andere Bücher mit Genuss gelesen, von denen mir besonders "Leben ohne Chef und Staat" gefallen hat. Das hat sich später dann sogar mein Vater von ihm gewünscht, und mit einer Widmung zum 75. Geburtstag bekommen.

Stephan Krall, Kronberg



Traurig und geschockt. Von Ralf Burnicki

Ich bin geschockt über den plötzlichen Tod eines Genossen, der so viele Anregungen gegeben hat. Seine Einführung in den Anarchismus hat mich zu meinem ersten Buch bewegt. Dass ich ihn einmal bei Edition AV traf, darf ich getrost als einen persönlichen Höhepunkt betrachten. Horst Stowasser war mir ein selbstverständliches Symbol des gemeinsamen Strebens nach einer herrschaftslosen Gesellschaft. Ich habe nicht den geringsten Grund, mich heute Abend nicht zu besaufen.

Ralf Burnicki



Wir haben heute erfahren, dass Horst gestorben ist. Anarchistisches Forum Wiesbaden

Zum Teil kannten wir Horst schon seit einigen Jahrzehnten. Immer wieder kreuzten sich unsere Wege, die libertären Tage in Frankfurt und andere Veranstaltungen, Demonstrationen, Büchertische... Die letzte Veranstaltung mit Horst in Wiesbaden fand letztes Jahr statt und auch da hatten wir Freude und Spass am Austausch der Gedanken und der Erfahrungen. Horst war unermüdlich und verbreitete unser Anliegen mit seiner typischen humorvollen Art. Horst wird uns fehlen und wir sind traurig das er nicht mehr da ist. Aber er hat uns eine Menge hinterlassen.

Für das anarchistische Forum Wiesbaden, den AKU-Wiesbaden Michael Wilk



Presseerklärung des Verlag Edition AV

Host Stowasser ist tot (geb. 7. Januar 1951, gest. 30. August 2009)

Am Samstag, den 30. August 2009 verstarb im viel zu jungen Alter von 58 Jahren unser Genosse Horst Stowasser.

Horst war seit seiner Jugend in der anarchistischen Bewegung aktiv und gehörte zu den profiliertesten Autoren der deutschsprachigen anarchistischen Bewegung. Für viele, besonders jüngere am Anarchismus interessierte, war sein Buch „Leben ohne Chef und Staat“ der Eintritt in die Bewegung. Veranschaulicht es doch im besten Stil verfasst Tradition, Geschichte, Wirken und Wollen der verschiedenen Strömungen im Anarchismus. Keine Überraschung, dass dieses noch immer unbedingt empfehlenswerte Werk bereits 14 Auflagen erfuhr.

Horst Stowasser war aber mehr als nur ein erfolgreicher Buchautor. Er publizierte anarchistische Zeitungen und Magazine und war nicht zuletzt ein Propagandist im besten Sinne für gemeinsames Leben und Arbeiten. Zuerst mit dem Projekt A, später dann mit anderen Projekten. Vor wenigen Jahren führte ihn sein Weg auch wieder in die FAU, in deren lokaler Gruppe in Neustadt an der Weinstraße er aktiv wurde. Mit verschiedenen Archiv-Gründungen hat er weiterhin jahrelang daran mitgewirkt, dass das Wissen, die Spuren, Erfolge, Niederlagen und die Auseinandersetzungen der internationalen anarchistischen Bewegung für Interessierte zugänglich gehalten werden. Eine in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen eingreifende libertäre Bewegung war ihm ein Herzanliegen; wie er nicht nur zuletzt in seinem 2006 erschienen Buch „Anti-Aging für die Anarchie“ anhand der Realität der anarcho-syndikalistischen Bewegung in Barcelona deutlich machte. Mit der spanischsprachigen anarchistischen Bewegung rund um den Globus stand er in stetigem Kontakt, in Argentinien kam er in jungen Jahren zuerst mit den Ideen des Anarchismus in Berührung.

Mit Horst Stowasser hat uns ein jahrzehntelanger Weggefährte und Genosse verlassen, der gleichzeitig der wohl bekannteste Anarchist in Deutschland war. Sein Wirken hat bleibende, unauslöschliche Spuren hinterlassen.

Den Angehörigen und Freunden von Horst gilt unser Mitgefühl.

Möge die Erde ihm leicht sein

Martin Veith
& auch im Namen seiner Verleger und Autorenschaft von Edition AV



Abschied aus dem Eilhardshof. Von Jochen Harms

Horst Stowasser mit einer Besuchergruppe auf dem Eilhardshof in Neustadt a.d. Weinstraße

Was für ein Schock für uns alle - Horst ist nicht mehr da. Niemand ist auf dieses tragische Ende vorbereitet gewesen. Ich als sein Mitstreiter im generationenübergreifenden Wohnprojekt Eilhardshof bin immer noch perplex. Unser ganzes Mitgefühl und unsere gemeinschaftliche Hilfe gilt nun seinen Angehörigen, insbesondere Ute, Nora und Moritz, die alle drei auch auf dem Eilhardshof dabei sind. Unsere 'Wahlverwandschaft' kümmert sich, die gewollte gegenseitige Solidarität wird auch gelebt.

Inhaltlich hatte Horst für das Projekt als erfahrener Werbemensch die führende Rolle in der Öffentlichkeitsarbeit - und natürlich war er der erste Ansprechpartner/Vordenker für konzeptionelle und gruppenstrukturelle Fragen. Vom Konsensprinzip bis zur Arbeit an der praktischen gegenseitigen sozialen Unterstützung innerhalb des Projektes, seine libertären Überzeugungen sollten und werden im Eilhardshof ihre praktische Umsetzung finden. Horst und ich waren im Detail selten einer Meinung, aber wir hatten uns schon auf die gemeinsamen Abende am Kamin zum disputieren gefreut.

Wir werden unser Projekt zur Blüte bringen, und wir werden auch dem Anarchiv einen würdigen Platz geben, im Herzen des Eilhardshofes. Für die gegebene Unterstützung für Projekt und Anarchiv aus aller Welt sind wir dankbar - weitere Hilfe ist immer willkommen.

Jochen Harms, Neustadt a.d.W. / www.eilhardshof.de



Nachruf auf Horst Stowasser. Von Barbara Stützel

Mit Erschüttern habe ich die Nachricht gehört, dass Horst Stowasser am Sonntag plötzlich verstorben ist. Noch vor vier Wochen saßen wir auf unserer Terrasse und diskutierten, wie unsere jeweiligen Gemeinschaften mit der Region verbunden sind und was es an weiteren politischen Beiträgen braucht, um eine bessere Gesellschaft zu erreichen. Wie immer, wenn wir uns trafen, tranken wir Mate-Tee, und da Horst auch eine Latinoseele hatte (und diesen herrlichen argentinischen Akzent), redeten wir natürlich spanisch. Horst hatte diese wunderbare Eigenschaft, immer Utopist zu sein, aber genug fundierte Beispiele zu den Utopien dazu zu kennen, dass die Utopie gleich ein Stück näher kommt und schon fast um die Ecke guckt. Gleichzeitig war er Realist genug, um nicht nur zu reden, sondern seine Ideen in ganz konkreten Schritten umzusetzen. Wir lernten uns kennen, als wir vor einigen Jahren zusammen auf dem Sozialforum in Deutschland auf dem Podium saßen und zum Thema „Anders leben“ die Ideen hinter unseren jeweiligen Gemeinschaftsprojekten vorstellten. Seim Buch „Anarchie!“ hatte mich schon vorher überzeugt, dass ich Anarchistin bin. Vom Herzen her und mit all dem, was wir in unserem Projekt aufbauen (eine Lebensgemeinschaft mit 80 Menschen und eine alternative Region mit Vernetzung von mehreren hundert Aktiven). Dass jemand nicht nur auf faszinierende Weise die Weltgeschichte erklären kann, sondern auch noch als Mensch herzlich und verbindend ist, hat mich gleich für ihn eingenommen. Seine Offenheit unserem Projekt gegenüber führte dazu, dass wir uns immer wieder gegenseitig besuchten und inspirierten. Dieses Jahr wollte er nicht zum Sozialforum kommen, er meinte, es gäbe in Neustadt zu viel für ihn zu tun. Mögen seine Utopien in uns allen weiterleben und auch ohne ihn Schritt für Schritt auf die Erde kommen.

Barbara Stützel, ZEGG Gemeinschaft Belzig *)



es leben der genuss und die geistige offenheit! von teresa

ich kann und mag es auch nicht glauben. und frage mich, was dir einfällt, dich so klammheimlich vom acker zu machen. wo wir doch noch nicht mal das lang erinnte französische dinner zusammen genossen haben. nicht einmal edel betrunken haben wir uns gemeinsam - ich finde es schlichtweg unverschämt und traurig und zum weinen ...

erinnerungen steigen auf - weil du ja eben noch auf dem sommercamp im zegg *) gewesen warst und wir die nacht auf dem dorfplatz verbracht haben. ein offener geist mit großem herz, der bleibst du mir erinnerung. mit grandiosem ausdruck und fabelhafter ehrlichkeit. das seminar bei euch in der gemeinschaft - horst in der eröffnungsrunde: "ich möchte vor allem mal wissen, ob gewaltfreie kommunikation wirklich solch zahnloses gewäsch ist oder ob da mehr dahinter steckt!" durch ihn habe ich überhaupt verstanden, dass anarchie eben freigeistigkeit beinhaltet. ich hatte mich gefreut auf noch viele abende voll philosophie und geschichten zum savoir vivre - mit ekelhaft qualmender zigarre...

ich werde sicher noch oft an dich denken - in jedem fall wenn ich fränkischen weißwein trinke oder coq au vin versuche zuzubereiten.

ich hoffe, im himmel ist es genussvoller, als uns immer vorgegaukelt wird!

bis bald mal wieder - in freundschaft teresa



ANHANG

Horst Stowasser im Originalton

Horst Stowasser 01.jpg

Radio-Sondersendung zum Tod von Horst Stowasser, Teil 1

Von Klaus Blödow, Stadtradio Münster

Radio-Sondersendung zum Tod von Horst Stowasser, Teil 2

Von Klaus Blödow, Stadtradio Münster

Am 30. August diesen Jahres ist der bedeutende Schriftsteller und Anarchist Horst Stowasser im Alter von 58 Jahren in Neustadt/Weinstr. gestorben. Er wurde am Montag, dem 8. September 2009 unter Beteiligung von vielen seiner Freundinnen und Freunde, Weggefährtinnen und Weggefährten in Neustadt a.d.W. begraben.

Aus diesem Anlass dokumentieren wir hier ein Radiointerview, das am 7. November 2005 im Studio des Medienforums Münster von Bernd Drücke, Koordinationsredakteur der monatlichen Zeitung, Graswurzelrevolution, geführt wurde. Thema dieser Sendung war: Gelebte Utopie: Projekt A / Plan B.

Diese Radiosendung wurde erstmals im Januar 2006 im Bürgerfunk Münster ausgestrahlt und findet sich in einer überarbeiteten und erweiterten Fassung in dem Buch Ja! Anarchismus – Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche. Wir hoffen, Horst Stowasser mit dieser Dokumentation, einen würdigen Abschied zu geben.

Quelle: freie-radios.net, Lizenz: Creative-Commons. Nichtkommerziell, Bearbeitung erlaubt, Weitergabe unter gleicher Lizenz erwünscht.




SWR2-Interview mit Horst Stowasser


Interview mit Horst Stowasser aus den Zeiten der G8-Gipfel-Proteste 2007.




Anarchie im 17. Stock - Horst Stowasser bei lateart.tv (TV-Interview)

Horst Stowasser im Late Night Talk aus dem EuroHotel Excelsior Ludwigshafen am Rhein. Moderiert wird die am 08.04.2008 ausgestrahlte Sendung von Einhart Klucke.

Werke

  • ANARCHIE!. Idee, Geschichte, Perspektiven. 2. Auflage. Edition Nautilus, Hamburg 2007, ISBN 978-3-89401-537-4 (Sachbuch des Monats Juni 2007, 512 Seiten, mit mehr als 200 Fotos).
  • Anti-Aging für die Anarchie?. Das libertäre Barcelona und seine anarchistischen Gewerkschaften 70 Jahre nach der Spanischen Revolution. Eine Reportage. Edition AV, Lich 2006, ISBN 978-3-936049-72-5.
  • Mit Christof Gauglitz: Auf den Spuren des Glücks. Eine leicht anarchische Genussreise durch Frankreich. 1. Auflage. Edition Strasser, Albersweiler 2009, ISBN 978-3-940668158.
  • Der Aufstand der Kronstädter Matrosen. An-Archia, Wetzlar 1973.
  • Freiheit pur. Die Idee der Anarchie, Geschichte und Zukunft. Eichborn, Frankfurt am Main 1995, ISBN 3821804483 (überarbeitete und erweiterte Version als pdf-Datei, 3,01 MB).
  • Leben ohne Chef und Staat. Träume und Wirklichkeit der Anarchisten. 14. Auflage. Karin Kramer, Berlin 2003, ISBN 3-87956-120-6.
  • Die Machnotschina. Der Kampf anarchistischer Rebellen für eine freie Gesellschaft in der Ukraine, 1917–1922. 2. Auflage. An-Archia, Wetzlar 1979.
  • November 1918: Über eine Revolution in Deutschland und deren Verrat. - 2. Aufl. - Wetzlar und Rodenhausen: An-Archia-Verlag und Windruck-Verlag (Gemeinschaftsproduktion), 1979. - 73 S., div. Abb.
  • Das Projekt A. 1. Auflage. An-Archia, Wetzlar 1985 (2. Auflage 1992).


Ausgewählte Artikel und Interviews in der Graswurzelrevolution (GWR)

  • Kritik am Staat, in: Graswurzelrevolution (GWR) Nr. 200/1995, S. 13 (demnächst auch online auf www.graswurzel.net).
  • Barcelona, 70 Jahre "danach" (Teil 2), in: GWR 312/2006, S. 16-17 (Teil 1 & 2 finden sich auch in: Horst Stowasser, Anti-Aging für die Anarchie? Das libertäre Barcelona und seine anarchistischen Gewerkschaften 70 Jahre nach der Spanischen Revolution - Eine Reportage, Verlag Edition AV, Lich 2007, ISBN 3-936049-72-6).
  • Das AnArchiv - Ende einer Odyssee?, in: GWR 319/2007, S. 6 (demnächst auch online auf www.graswurzel.net).

Literatur

  • Projekt A / Plan B. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Horst Stowasser; in: Bernd Drücke (Hrsg.): ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert; Berlin: Karin Kramer Verlag, 2006; ISBN 3-87956-307-1; S. 233–247.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Marianne Enckell (* 1944) ist Autorin, Bibliothekarin und Übersetzerin. Seit über 40 Jahren betreut sie in Lausanne das CENTRE INTERNATIONAL DE RECHERCHES SUR L’ANARCHISME ([http://www.cira.ch www.cira.ch).

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