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Kibbuzbewegung

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Version vom 30. April 2007, 08:31 Uhr von Siegbert W (Diskussion | Beiträge) (Die gesellschaftliche Organisation des Kibbuz)
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Lexikon der Anarchie: Bewegungen


Kibbuzbewegung

Sozialistisch-libertäre Lebens- und Siedlungsbewegung in Palästina/Israel



Geschichte

Die Kibbuzbewegung, der Kibbuz und die Kwuzah, ist eine Lebens- und Gesellschaftsform, die unter den besonderen Bedingungen Palästinas – Erez Israels – in der Zeit der türkischen und dann der britischen Mandatsherrschaft geschaffen und entwickelt wurde. Sie ist unter den besonderen Bedingungen entstanden, in denen jüdische Arbeiter oder Pioniere in das Land einwanderten, um neue politische, kulturelle und gesellschaftliche (jüdische) Siedlungsformen zu schaffen. In diesen spielte sich in den Anfangsjahren ein Gemeinschaftsleben ab, mit der Idee von einem neuen jüdischen Menschen, befreit von der Last der Diaspora, ohne jedoch den Bezug zur Vergangenheit des jüdischen Volkes mit seinen ihm eigenen Werten verlieren zu wollen; mit den zionistischen Bestrebungen und mit den Ideen des Sozialismus nicht nur zu theoretisieren, sondern ihn praktisch im Leben einer neuen Gemeinschaft zu verwirklichen. So entstand die Kwuzah oder der Kibbuz – zwei Begriffe, die in ihrer besonderen Form im damaligen Palästina in ihrer weiteren Entwicklung aus den jüdisch-sozialistischen Parteien wie auch den jüdischen Pionier-Jugendbewegungen in aller Welt und auch der etwas älteren Hechaluz (Pionier-Bewegung) ihre Anhänger fanden. In den Jahren nach dem l. Weltkrieg mit der Bildung der jüdischen Arbeiterbewegung (Histadrut) in Erez Israel werden die Kibbuz und die Kwuzoth, die sich später landesweit organisierten, zu einem der aktivsten Teile der Histadrut und überhaupt im ganzen Lande.

Wenn vor dem l. Weltkrieg auch eine große Anzahl solcher Kibbuzsiedlungen bestanden, so blieben sie doch bis Ende des Krieges ohne landesweite Dachorganisation. Erst zu Beginn der 20er Jahre und bis zu deren Ende beginnt ein verstärkter ideologischer und gesellschaftlicher Organisierungsprozess, der dann zu drei großen und sich weiter entwickelnden Landesorganisationen führte: dem Hakibbuz Hameuchad, dem Chewer Hakwuzoth (Vereinigung der kleinen Kwuzoth) und dem Kibbuz Arzi. Etwas später kam noch eine kleinere religiöse Kibbuzbewegung, Hakibbuz Hadati, hinzu. All diese Bewegungen, vor allem die drei erstgenannten, die zionistisch-sozialistisch sind, waren doch, besonders in ihren ersten Jahren, weitgehend unterschiedlich hinsichtlich ihrer verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen. Gemeinsam ist ihnen eine vollkommen neue Lebenseinstellung. Besonders ist hier zu betonen, dass sie ihre Aufgabe nicht nur in der Gestaltung neuer Lebensformen, sondern sich auch als Träger von Aufgaben sahen, die für die ganze jüdische Bevölkerung (der Jschuw, wie dies vor der Errichtung des Staates Israel genannt wurde) entscheidend waren. Hier waren es hauptsächlich die Errichtung neuer Siedlungen an den Grenzen des Landes oder die Organisierung von Verteidigungskräften, die im ganzen Lande bestanden, aber in diesen gut organisierten Siedlungen ihre Hauptstützpunkte hatten.

Die Kibbuzbewegung ist so in der Zeit bis zur Errichtung des Staates Israel auch eine der tragenden Teile der Arbeiterbewegung in Erez Israel. Ihre Entwicklung ging aber nicht linear vor sich, sondern eher in modularen Prozessen und sie musste Vereinigungen und Spaltungen durchstehen. Diese Entwicklung ist bis heute nicht beendet. Die Gründe für die Abspaltungen sowie für neue Zusammenschlüsse sind unterschiedlich, wie z.B. politische oder gesellschaftliche. Zumeist war und ist es schwierig, sie eindeutig zu benennen, da hierbei verschiedene Faktoren mitspielen. Es kam und kommt vor, dass außerhalb der Kibbuzim Kräfte und Persönlichkeiten eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Spaltungen und Wiederzusammenschlüsse in den Arbeiterparteien spielten, die dann auf die Kibbuzbewegung zurückwirkten. Zwei Beispiele: Noch in den 1920er Jahren organisierte sich eine erste größere Bewegung der Gedud Awoda (Die Legion der Arbeit), die sich bald auf Grund differierender Siedlungsauffassungen, dann ein zweites mal aus politischen Gründen (kommunistisch-sozialistischen Einstellungen) spaltete. Ihre Reste vereinigten sich später mit dem Kibbuz Hameuchad. Ein zweites Ereignis viel weitgehenderer Art war die Spaltung des Kibbuz Hameuchad, die sich auch wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich auswirkte. Sie löste zwei große Bewegungen in den 1950er Jahren aus und führte zu einer großen Erschütterung im ganzen Land. Ende der 1960er Jahre vereinigten sich die beiden streitenden Gruppierungen wieder. Äußere Gründe waren wohl politische Neuorientierungen in den Arbeiterparteien und eine sich innerhalb der Kibbuzbewegung ändernde Einstellung zu vielen Fragen des politischen und gesellschaftlichen Lebens, besonders aber das Heranwachsen einer neuen und führenden Generation, die in der Einheit der Kibbuzbewegung ihr Ziel sah. Heute [Anfang der 1990er Jahre] existieren nur zwei große und eine kleine religiöse Kibbuzbewegung, doch neue Gesichtspunkte, gerade in den letzten Jahren, haben in jeder Hinsicht organisatorische Änderungen hervorgebracht. Es beginnt eine Epoche der Veränderungen.

Wenn in der Zeit vor der Errichtung des Staates Israel die Mitgliederzahl der Kibbuzbewegung in ihrer Blütezeit auf ca. 7% der Bevölkerung anstieg, so sind wir heute nach 47jährigem Bestehen Israels nur bei ca. 3%. Die Gründe hierfür sind verschiedener Art: Die Vielzahl junger Menschen, die noch vor dem Holocaust für die Aufnahme in die Kibbuzbewegung vorbereitet worden waren, blieben aus. Obwohl nach dem II. Weltkrieg Sendboten (Schlichim) von verschiedenen Föderationen in andere Länder, besonders in die USA, gesandt wurden, ließen sich nur sehr schwer neue Mitglieder mobilisieren. Vor allem war es nicht leicht, in neue jüdische Kreise vorzudringen und junge Menschen für die Kibbuzidee zu gewinnen. Hinzu kam, dass der Stellenwert des Kibbuz in der israelischen Gesamtbevölkerung und damit auch im politischen und wirtschaftlichen Leben zurückging und schließlich auch die junge Generation – wir sprechen heute von der zweiten, dritten und vierten Generation – ihr Lebensziel nicht im Kibbuz suchte und fand. Sie ging neue Wege, die ihr interessanter schienen – zu einem großen Teil ins Privatleben. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren eine sehr weitgehende Entideologisierung begann, die mit dem Zerfall der realsozialistischen Staaten auch den Sozialismus in Frage stellte. All dies hat natürlich seinen weitgehenden Einfluss auf die Kibbuzbewegung, wobei ein verstärkter Individualismus und eine verstärkte Familienorientierung eine sehr entscheidende Rolle spielen.

Die Kibbuzsiedlungen

Das Grundprinzip der Kibbuzsiedlung kann verallgemeinert werden, wobei aber die topographischen und geographischen Besonderheiten in Betracht gezogen werden müssen. In einigen Kibbuzim drückt deren Form sicherlich auch in starkem Maße ihre Weltanschauungen aus. Hierbei ist anzumerken, dass die Kibbuzim, die in den 1930er Jahren entstanden, im allgem. als Arbeitsgruppen an verschiedenen Orten des Landes begannen, durch die sie geprägt wurden und die dann auch in vielen Lebensbereichen später nach der Ansiedlung noch zum Ausdruck kamen, z.B. in gewissen Terminologien des täglichen Lebens. Später wurde eine Übergangszeit dadurch erspart, dass die zur Ansiedlung bestimmten Gruppen eine Vorbereitungszeit in einem älteren Kibbuz leisteten, oder sich während der Militärzeit organisierten um dann anschließend ihre Ansiedlung zu gründen. Nicht zu vergessen ist, dass die Siedlungsform der einzelnen Kibbuzim wie auch die das tägliche Leben betreffenden Angelegenheiten, z.B. die Tatsache, dass heute die Kindererziehung nicht mehr kollektiv sondern viel privater geworden ist, natürlich auch auf die äußeren Formen des Planens und Bauens ihre Einflüsse hat. Hinzu kommt noch, dass sicherlich auch die Herkunft der Gründer eines Kibbuz, trotz aller Gemeinsamkeiten mit denen in anderen Siedlungen, gewisse Besonderheiten aufwiesen. Auch finden wir sehr oft in fast jedem Kibbuz besondere Initiativen, die sowohl in der Planung wie auch auf anderen Gebieten spürbar sind. Die Mentalität spielt eine entscheidende Rolle.

Allgemein kann gesagt werden, dass die Gegebenheiten und Notwendigkeiten des Kibbuzlebens folgendes Bild zeigen: Die Arbeitszweige, wie Landwirtschaft, Industrie u.a. bestehen heute in fast allen Kibbuzim. Es gibt aber auch Siedlungen, vor allem die großen Kibbuzim, in denen mehrere große Wirtschaftszweige nebeneinander bestehen. Die landwirtschaftlichen Zweige befinden sich meistens außerhalb der Ansiedlung, je nach Qualität der Böden, die durch den Kibbuz bearbeitet werden. Die Kinderhäuser, der Speisesaal mit der Küche, sehr oft auch die Klubräume, sowie verschiedene andere Service-Arbeitszweige, wie Kleiderstube und Wäscherei oft auch Schneiderei liegen im Zentrum; schließlich die Wohnviertel der Kibbuzmitglieder, die in fast jedem Kibbuz verschieden geplant und angeordnet sind. Es gibt Kibbuzim, in denen die Mitglieder (Chawerim) nach Altersgruppen getrennt wohnen. Es existieren auch solche, in denen die Altersgruppen gemischt wohnen. Die Wohnungen sind zumeist auch innerhalb der Kibbuzim nicht einheitlich. Die Gründe hierfür können verschiedener Art sein. Zur Siedlung gehören natürlich auch noch die inneren Verbindungsstraßen und Wege, wie auch die Parkanlagen, Wiesen und Gärten an den Häusern, die dem einzelnen Kibbuz noch sein besonderes Gepräge geben.

Erziehungs- und Kulturwesen

Die Kibbuzbewegung als Ganzes wie auch die einzelnen Siedlungen sind sowohl im Erziehungs- wie auch im Kulturbereich aktiv. Die Gesamtbewegung hat drei wichtige halbakademische Institutionen: zwei Lehrerseminare (eines in Tel Aviv und eines unweit von Haifa), in denen nicht nur Kibbuzmitglieder ihren Studien nachgehen; sodann eine landwirtschaftliche Hochschule, die auch andere, allgemeinere Bildungsaufgaben übernommen hat. Die religiöse Kibbuzbewegung hat eine Jeschiwah (Höhere Talmudschule) in einem der Kibbuzim. Außer diesen sehr spezifischen Hochschulen/Seminaren existieren noch drei Kibbuzforschungsinstitute, die sowohl in der historischen wie auch in der philosophischen und besonders auch in der soziologischen Forschung tätig sind. Jedes dieser Institute hat spezielle Forschungsgebiete entwickelt. Die Gesamtbewegung hat ein Orchester, Theatergruppen, Tanzgruppen und ein selbständiges Verlagswesen aufzuweisen. Hinzu kommen noch vielfältige kulturelle Tätigkeiten, die im Landesmaßstab organisiert sind.

Auf lokaler und regionaler Ebene macht die Entwicklung von Kibbuzinstitutionen große Fortschritte. Es existieren regional umfangreiche Bildungswerke, zumeist Mittelpunktschulen, die durch die Kibbuzim initiiert wurden, die aber auch Schüler aus anderen Siedlungsformen, aus Städten und sonstigen Ansiedlungen aufnehmen. Die Lehrer und Erzieher in diesen Schulen sind sowohl Mitglieder der Kibbuzbewegung wie auch Nichtmitglieder. Die Lehrinhalte sind an die in Israel allgemein geltenden Richtlinien angelehnt. Diese Mittelpunktschulen gehören und unterstehen dem Erziehungsministerium, wenngleich es auch gewisse eigene Aktivitäten gibt. In den meisten dieser Schulen wird die Reifeprüfung abgelegt. Der Prozentsatz der Absolventen ist befriedigend. In fast allen Kibbuzim sind die früheren Kollektiverziehungsheime für Kleinkinder und Kindergärten in Tageserziehungsheime umgewandelt worden. Der Schwerpunkt der Erziehung liegt wieder bei der Familie.

Auf kulturellem Gebiet bestehen zwischen den einzelnen Kibbuzim natürlich Unterschiede, wenngleich auch einige grundlegende Kulturarbeitsformen einheitlich sind. Hierzu gehören die Kulturkommissionen, die Bibliotheken und regelmäßige wöchentliche Veranstaltungen. In vielen Kibbuzim wird eine umfassende Erwachsenenbildung sowie Fachkurse angeboten. Lokale Chöre, Orchester und Tanzgruppen runden das regionale Kulturangebot ab. Es existieren Hochschulen, die durch die regionalen Verwaltungen errichtet wurden. Ein Teil dieser Hochschulen ist mit Universitäten verbunden, sodass ihre Studenten qualifizierte Universitätsprüfungen an Ort und Stelle ablegen können. Ein Teil dieser Hochschulen wird durch Kibbuzmitglieder geleitet. Auch unter den Studenten befinden sich Kibbuzmitglieder.

Die gesellschaftliche Organisation des Kibbuz

Die politisch-gesellschaftliche Organisation der Kibbzim ist demokratisch. Dies kommt in den verschiedensten Organisationsformen zum Ausdruck. Die Basis ist die allgemeine Versammlung der Kibbuzmitglieder, welche das Entscheidendungsgremium darstellt. In ihm sollen die Grundentscheidungen gefällt werden. Da dieses Gremium nicht täglich zusammentreten kann und konnte, musste sich ein System von Kommissionen entwickeln, die bestimmte Aufgabengebiete betreuen. Die Leitung des Kibbuz befindet sich in den Händen des Sekretariats, das alles koordiniert, Initiativen einleitet und selbstverständlich den Kibbuz auf den verschiedensten Gebieten nach außen, z.B. finanziell oder auf anderen sich ergebenden Lebensgebieten wie der Verbindung mit der Landeszentrale der Kibbuzbewegung, vertritt. In großen Kibbuzim mit sehr vielen Mitgliedern haben sich im Laufe der Jahre zwischen der allgemeinen Versammlung und dem leitenden Gremium, dem Sekretariat, noch Zwischenorgane entwickelt, z.B. ein „großer Rat“ – eine besonders gewählte Körperschaft, die sehr weitgehende Funktionen hat. Diese Institution ist oft wichtiger als die allgemeine Versammlung geworden, so dass von einem Niedergang der Letzteren gesprochen werden kann. So werden Wahlen zu den einzelnen Gremien nicht mehr während der allgemeinen Versammlung, sondern in Urabstimmung durchgeführt. Daneben hat man in Kibbuzim mit einer sehr differenzierten Wirtschaft noch besondere wirtschaftliche Fachgremien gewählt, die meistens sehr weitgehende Kompetenzen haben. In den letzten Jahren hat ein Prozess begonnen, in dem innerhalb des Kibbuz einzelne besonders große Arbeitszweige, z.B. in der Industrie, mehr und mehr unabhängig und privatisiert werden. Damit ändert sich die Bindung des einzelnen Kibbuz an seine Wirtschaft. Diese Arbeitszweige werden in vielen Fällen auch von Nichtmitgliedern des Kibbuz geleitet und durch einen Aufsichtsrat, in dem der Kibbuz weitgehend vertreten ist, überwacht. Ihre Einkünfte werden in die Kibbuzkasse gemäß besonderer Abmachungen geleitet. Dieser Privatisierungsprozess hat in den letzten Jahren sehr zugenommen. Über diese allgemeine Entwicklung der Kibbuzbewegung gibt es viele Diskussionen. Die „Realisten“ gewinnen hier meistens die Oberhand. Es sind schwierige Diskussion, da sie die ideologischen Grundlagen des Kibbuz berühren und weitgehende gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen.

Das politische Leben der Kibbuzim

Der historische Aspekt der Kibbuzim bezieht sich auf mehr als achtzig Jahre Theoriegeschichte. Der andere Aspekt ist die aktuelle Situation der Kibbuzim, die im Vergleich zur Geschichte der Kibbuzim in vielem sehr verschieden ist. Wenn wir die geistige, politische und ideologische Entwicklung der Kibbuzbewegung zu definieren versuchen, so ist diese eine Mischung aus allgemeinen modernen Werten und Anschauungen mit den historischen Werten und Auffassungen der jüdischen Vergangenheit. Für einen Teil der Kibbuzbewegung hat die historische religiöse Sicht bis heute verpflichtenden normativen Charakter. Der große Teil, vor allem die Gründergeneration, bezieht sich auf die historischen und philosophischen, sowie auch soziologischen Anschauungen und Wertungen. In dieser jüdischen Welt spielt die zionistische Einstellung eine der entscheidensten Rollen, die schließlich durch die Jugendbewegungen, in diesem Falle der jüdischen zionistischen Pionierjugendbewegungen und den Hechaluz, in ihrer Verwirklichung ihren besonderen Charakter bekommt. Diese schon in den Endjahren des 19. Jahrhunderts sich entwickelnde jüdisch-zionistische-sozialistische Bewegung schöpfte ihre Weltanschauung sowohl aus den Lehren von Karl Marx aber auch in damals vielleicht geringerem Maße, aus denen der Anarchisten, besonders Peter Kropotkins und in Fortsetzung dessen überaus reichen Geisteswelt auch aus der von Gustav Landauer, Martin Buber und später aus der von Nachman Sirkin, einem der ersten Theoretiker des sozialistischen Zionismus; dann von Ber Borochow, dem Gründer der zionistischen sozialistischen Bewegung Poale Zion (Die Arbeiter Zions) und seinen Grundschriften, in denen er versucht eine Synthese zwischen nichtmarxistischem Sozialismus und Marxismus herzustellen. Zu diesen Denkern gehören auch Schriftsteller wie Josef Chaim Brenner und Micha Berditschewski, die vor und nach dem l. Weltkrieg in den Jahren der zweiten und dritten Einwanderungswelle eine große Rolle spielten und auch Einfluss auf die Kibbuzbewegung hatten. Hinzu kommen noch die Denker der jüdischen Arbeiterbewegung, wie Aharon David Gordon, einer der ersten Mitglieder des ersten Kibbuz Dagania, Berl Katzenelson, der geistige Leiter der israelischen Arbeiterbewegung, David Ben Gurion, der erste Ministerpräsident des Staates Israel. Sodann Jzchak Tabenkin, jahrelang die leitende und zentrale Persönlichkeit des Kibbuz Hameuchad, und Meir Jaari und Jaakob Chasan, die in dem Kibbuz Arzi eine ähnliche Stellung einnahmen. In der kleinen religiösen Kibbuzbewegung spielte z.B. Mosche Unna eine recht bestimmende Rolle. All die hier erwähnten Denker und Philosophen wie auch Friedrich Nietzsche, Henri Bergson und andere hatten, wie schon angedeutet, entscheidenden Einfluss auf das geistige Leben der jüdischen Arbeiterbewegung in Erez Israel und Israel. Im Kibbuz verstärkten sich diese Einflüsse noch, weil sie nicht nur Theorie blieben, sondern auch im Leben des einzelnen Mitglieds des Kibbuz, der Kibbuzsiedlung und der Bewegung eine größere Bedeutung hatten, da die Kibbuzbewegung keine Partei ist sondern eine politisch-ideologische Lebensform. Ihre Mitglieder können natürlich, was sie auch bis in die letzten Jahre waren und teilweise auch heute noch sind, aktive Mitglieder der bestehenden Arbeiterparteien sein. Lange Zeit war der Kibbuz Arzi fast hundertprozentig der Maparn, der linkssozialistischen Partei, verbunden und von ihr auch dominiert. Seine Mitglieder waren die leitenden Persönlichkeiten der Maparn. Im Kibbuz Haneuchad und der damals noch nicht wieder vereinigten Kibbuzbewegung, die später den Namen Takam bekam (Vereinigte Kibbuzbewegung) waren die Bindungen besonders zur Mapai, der großen zentralen sozialdemokratischen Arbeiterpartei, bedeutend. Heute besteht im Kibbuz politischer Pluralismus. Wie wichtig diese Parteibindungen waren, ist daraus zu ersehen, dass in den ersten Jahren des unabhängigen Staates Israel der Prozentsatz von Kibbuzmitgliedern in der Knesset, dem israelischen Parlament, sehr hoch war und sie auch Mitglieder der Regierungen stellten. Dies bezeugte damals auch den Stellenwert der Kibbuzbewegung innerhalb der israelischen Gesellschaft und bedeutete viel für das Selbstbewusstsein der Kibbuzim. Dies hat sich unterdessen weitgehend geändert. Der Prozentsatz der Kibbuzmitglieder in der Knesset ist gering. Das ist eine Folge innerer Entwicklungen in der Kibbuzbewegung, aber auch der gesellschaftlichen Veränderungen, besonders der auf demographischem Gebiet. Wie schon angedeutet, hat sich in der aktuellen Situation sehr vieles verändert. Die ideologische Bindung war in Vielem enger und verpflichtender. Die nachfolgenden Generationen sind geistig anders orientiert. Der Mittelpunkt ihres Denkens ist das Ich, und sie neigen zu einem weitgehenden politischen und ideellen Pluralismus, der auf die Zukunft bezogen zu vollkommen neuen Strukturierungen der Kibbuzbewegung führen kann. Hier läuft eine rasante Diskussion, die man aus den Kibbuzblättem, den Unterhaltungen der Kibbuzmitglieder und in den Zusammenkünften der leitenden Gremien der Bewegung erfahren kann. Die nächsten Monate und Jahre werden hier sicherlich noch viel Neues bringen.


Chaim Seeligmann

Literatur und Quellen:

Vorbemerkung

Die Literatur über die Kibbuzbewegung und allem was sie betrifft ist selbstverständlich in hebräischer Sprache sehr reichhaltig. In der folgenden Bibliographie bringen wir nur einige Veröffentlichungen in Deutsch und Englisch. Auch in diesen Sprachen gibt es heute schon sehr viele gute und wichtige Veröffentlichungen.


Literatur

  • Kibbuzstudien, veröffentl. durch Yad Tabenkin, Tel Aviv, halbj.; Kibbutz Trends, published by Yad Tabenkin, Tel Aviv, All three months
  • Kibbuz, Tatsachen und Zahlen, Yad Tabenkin, Tel Aviv 1994
  • Kibbuzleitfaden: Deutsch-Israelischer Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten, Berlin 1987, erw. Aufl. Frankfurt/M. 1994
  • M. Buber: Pfade in Utopia. Über Gemeinschaft und deren Verwirklichung, 3. Aufl. Heidelberg 1985
  • M. Fölling-Albers: Kollektive Kleinkind- und Vorschülererziehung, Tel Aviv 1977
  • M. Fölling-Albers: Die Einheit von Leben und Lernen in der Kibbuzerziehung, Köln 1987
  • W. Fölling/W. Melzer: Gelebte Jugendträume, Witzenhausen 1989
  • W. Fölling/M. Fölling-Albers: Leben im Kibbutz. In: Psychosozial 25 (2002), Nr. 87, H. 1 (Schwerpunktthema mit weiterführender Literatur)
  • M. Graur: „Anarcho Nationalism: Anarchist Attitudes towards Jewish Nationalism and Zionism” in: Modern Judaism 14 (1994) l - 10
  • D. Leichman / I. Paz (Editors): Kibbutz an alternative Lifestyle, Yad Tabenkin, Israel, 1994
  • A. Lieblich: Kibbutz Makom. Report from an Israeli Kibbuz, New York 1981
  • S. Lilker: Kibbutz Judaism, Norwood, Darby, Penn., 1982
  • L. Ludwig: Familie und Kollektiv im Kibbuz, Weinheim 1971
  • L. Ludwig: Reformpädagogik in Palästina, Frankfurt/M. 1989
  • L. Ludwig / T. Bergmann: Krise und Zukunft des Kibbuz, Juventa, Weinheim/München 1994
  • G. Madar, Ch. Seeligmann: Kibbuz. Ein Überblick, Yad Tabenkin, Tel Aviv 1994
  • G. Manor: Kibbuz und Anarchismus in Israel, in: A. W. Mytze (Hg.): Europäische Ideen, Anarchismus, Faschismus, H. 39, 1978, S. 19-26
  • S. Maron: Kibbuzin a Market Society, Yad Tabenkin, Tel Aviv 1993
  • W. Melzer / W. Fölling: Biographien jüdischer Palästina-Pioniere aus Deutschland, Opladen 1989
  • Melzer-Neubauer: Der Kibbuz als Utopie, Weinheim 1988
  • H. Near: The Kibbutz Movement. A History Origins and Growth 1909-1930, Oxford UP, 1992
  • W. Preuss: „Die Kwuza“, in: Der Jude, 1924
  • W. Preuss: Die Jüdische Arbeiterbewegung in Palästina, Hechaluz, Berlin 1932-1936
  • P. Reuben: Die Geschichte der Kibbuzschule. Konzeptionen der „Neuen Erziehung“ im Kibbuz, Köln 1991
  • A. Souchy: Im Lande des Kibbuz, in: Vorsicht Anarchist, Darmstadt/Neuwied 1977
  • A. Souchy: Reise durch die Kibbuzim, Reutlingen 1984.


Quelle: Dieser Artikel erschien erstmals in: Lexikon der Anarchie: Encyclopaedia of Anarchy. Lexique de l'anarchie. - Hrsg. von Hans Jürgen Degen. - Bösdorf: Verlag Schwarzer Nachtschatten, 1993-1996 (5 Lieferungen). - Loseblattsammlung in 2 Ringbuchordnern (alph. sortiert, jeder Beitrag mit separater Paginierung). Für die vorliegende Ausgabe wurde er überarbeitet.

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