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Meijer-Wichmann, Clara: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 5. September 2007, 10:25 Uhr

Lexikon der Anarchie: Personen


Clara Meijer-Wichmann, geb.: 17. August 1885, Hamburg; gest.: 15. Februar 1922, Den Haag. Anarchistin


Äußere Daten

Clara Meijer-Wichmann wurde in Deutschland geboren, kam aber bald in die Niederlande, wo ihr Vater als Hochschullehrer (für Geologie) in Utrecht tätig war. Ihre Veröffentlichungen erschienen fast ausschließlich in niederländischer Sprache, ihr Tagebuch schrieb sie allerdings in deutsch (vgl. Wichmann 1989, S. 8 u. S. 77).

Meijer-Wichmann studierte Jura in Utrecht und promovierte 1912 mit einer Arbeit über die Problematik des Strafbegriffes. 1913 arbeitete Meijer-Wichmann einige Monate als Rechtsanwältin, gab diesen Beruf aber dann wieder auf. Ab 1914 war sie im Zentralbüro für Statistik in Den Haag in der Abteilung Kriminalstatistik beschäftigt. 1917 lernte Meijer-Wichmann Bart de Ligt kennen, mit dem sie fortan eine tiefe Freundschaft verband.

Ebenfalls 1917 lernte sie ihren späteren Ehemann Jo Meijer kennen.

Meijer-Wichmann starb am 15. Februar 1922 in Den Haag, wenige Stunden nach der Geburt ihres einzigen Kindes.


Politischer Werdegang

Meijer-Wichmann engagierte sich vorwiegend in folgenden Beieichen: der Frauenbewegung, der Strafrechtskritik, dem Antimilitarismus, der Gewaltfreiheit.

Ab 1908 (zur Zeit ihres Studiums) war sie in der Frauenbewegung aktiv, z.B. im Vorstand des „Bundes für Frauenwahlrecht“. „In zahlreichen sozialgeschichtlichen Aufsätzen analysierte sie die gesellschaftliche Rolle der Frauen und deren Veränderungen im Zusammenhang mit den sozio-ökonomischen Entwicklungen. ... Vom Emanzipationskampf der Frauen forderte sie, mehr zu sein als nur ein Streben nach sozialer und politischer Gleichberechtigung. Es müsse vielmehr darum gehen, zugleich für eine andere Gesellschaft zu kämpfen.“ (G. Jochheim, Einführung zu Wichmann, 1989, S. 13)

Ab 1917 intensivierte Meijer-Wichmann ihr Engagement für Antimilitarismus und Gewaltfreiheit und kam dadurch verstärkt in Kontakt mit der anarchistisch-antimilitaristischen Bewegung.

Der Antimilitarismus hat in den Niederlanden eine bedeutende Tradition, die verknüpft ist mit den Namen [[Nieuwenhuis, Ferdinad Domela | Ferdinand Domela Nieuwenhuis, Bart de Ligt, Albert de Jong und Arthur Lehning, sowie mit den Organisationen „Internationale Antimilitaristische Vereinigung“ (ab 1904) und „Internationales Antimilitaristisches Büro gegen Krieg und Reaktion“ (ab 1921).

Im Sommer 1917 schloss sich Meijer-Wichmann dem „Bond van Christen-Socialisten“ (Juli 1907 gegründet) an, in dem sich ab 1910 – von B. d. Ligt gefördert – radikal-antimilitaristische Vorstellungen durchgesetzt hatten. 1919, nachdem sich der Bund wieder in eine gemäßigtere Richtung hin entwickelt hatte, verließen Meijer-Wichmann und B. d. Ligt ihn und gründeten (mit anderen) im Oktober desselben Jahres den „Bond van Revolutionnair Socialistische Intellectueelen“ und im April 1920 den „Bond van Religieuze Anarcho-Communisten“.

Im März 1921 waren Meijer-Wichmann und ihr Mann J. Meijer Mitinitiator/innen der „War Resistors International" (WRI), die damals unter dem Namen „Paco“ in Bilthoven gegründet wurden. J. Meijer wurde der erste Sekretär der Organisation.

Meijer-Wichmann betont in ihrer Theorie, dass Gewalt in der Geschichte durchaus der Emanzipation gedient hat, sie betrachtet jedoch die aktive Gewaltfreiheit als eine überlegene Kampfform und einen qualitativen Fortschritt in der menschlichen Kulturentwicklung. „Wir fordern aber nicht das passive Unterlassen der Gewalt, sondern die stets zunehmende Ersetzung der Gewalt durch größere Aktivität, durch bessere, stärkere, in ihrer Wirkung heilsamere und zielgemäßere Taten.“ (Wichmann 1989, S. 71)

Weiter weist Meijer-Wichmann auf die Bedeutung der Mittel für das Ziel hin: „Die menschliche Geschichte zeigt, wie katastrophal die Folgen sind, wenn man zur Erreichung eines Zieles sein Gewissen verrät. Immer wieder ist dies die Tragödie gewesen: daß Menschen von ihren edlen Zielen weggetrieben wurden, als sie, um diese Ziele eher zu erreichen, zu Mitteln griffen, die dieser Ziele unwürdig waren“ (Wichmann 1989, S. 39).

Bereits in ihrer Doktorarbeit (1912) hat sich Meijer-Wichmann mit Begriff und Funktion von Strafe auseinandergesetzt. In den folgenden Jahren entwickelte sie ihre Strafrechtskritik weiter. 1919 gründete sie ein „Komitee zur Bekämpfung der herrschenden Auffassung über Verbrechen und Strafe“, in dessen Grundsatzerklärung sie schrieb: „Und darum richten wir uns weder nur gegen die Auswüchse des Zellensystems und der Gefängnisstrafe, noch nur gegen das Zellensystem selbst, ... noch sogar nur gegen unser gegenwärtiges Strafsystem in seiner Totalität: – wir richten uns gegen das Strafprinzip selbst“ (Wichmann 1988, S. 16).


Stellenwert Meijer-Wichmanns innerhalb des libertären Spektrums

Meijer-Wichmann war während und nach dem I. Weltkrieg die erste in Europa, die „unabhängig von Gandhi eine Theorie revolutionärer gewaltloser Aktion geschichtsphilosophisch begründet hat“ (Schneider 1989, S. 4).

Sie war eine radikale Antimilitaristin, eine entschiedene Gegnerin und Kritikerin von Strafrecht und Strafvollzug und beschäftigte sich eingehend mit der patriarchalischen Unterdrückung der Frauen. Sie erinnerte damit die anarchistische Bewegung an eigene Ansprüche, die auch heute noch nicht selbstverständlich sind.

Während Meijer-Wichmann in den Niederlanden durch ihre vielen Artikel und durch die Mitarbeit in verschiedenen anarchistischen und antimilitaristischen Organisationen und Zeitungen bekannt war, blieb ihre direkte Wirkung außerhalb der Niederlande gering. In Deutschland erschienen in den 20er Jahren nur zwei kurze Broschüren nach ihrem Tod.

Erst die Graswurzel- und die antimilitaristische Bewegung in der BRD der 1970er/80er Jahre bewirkten die Neu- und Wiederentdeckung Meijer-Wichmanns als Vorgängerin und nach wir vor aktueller Theoretikerin.

A. Lehning sprach anläßlich einer Lesung zum 100. Geburtstag von Meijer-Wichmann im September 1985 an der Universität Utrecht u.a. folgende Worte: „Die Probleme, die Clara Wichmann aufgeworfen hat, sind unverändert und unvermindert aktuell. Feministen, Antimilitaristen und namentlich Kriminologen lassen sich durch ihre Ideen und ihren Kampf für eine Humanisierung der Gesellschaft inspirieren“ (zit. nach Wichmann, 1989, S. 18).


Michael Bovenschen


Literatur u. Quellen: Die wichtigsten Werke

  • Antimilitarismus und Gewalt (Broschüre). Wien 1922, wiederveröffentlicht in „Graswurzelrevolution. Für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft“, Nr. 117/118, 1987, S. 29, auch enthalten in: Meijer-Wichmann, Kassel 1989
  • Die Grausamkeit der herrschenden Auffassung über Verbrechen und Strafe (Broschüre), Berlin 1922, wiederveröffentlicht in „Graswurzelrevolution“ Nr. 126, 1988, S. 15;
  • Der Weg der Befreiung. Texte über aktive Gewaltlosigkeit 1917-1921, Hg. v. G. Jochheim (Fünf Aufsätze und ein Briefwechsel mit Henriette Roland-Holst), Kassel 1989

Weitere Veröffentlichungen u.a. in „De Wapens neder“ (Organ der „Internationalen Antimilitaristischen Vereinigung“), „Opwaarts“ (Organ des „Bond van Christen-Socialisten“), „De Frije Communist“ (Organ des „Bond van Religieuze Anarcho-Communisten“), „De Nieuwe Amsterdamer" (Organ des „Bond van Revolutionair Socialistische Intellectueelen“).


Quellen

  • H. Schneider: Clara Wichmann (1885-1922). Anarchafeministin und Theoretikerin der gewaltfreien Revolution, in: „Graswurzelrevolution“ Nr. 137, 1989, S. 4 der libertären Buchseiten
  • T. Holtermann: Freiheit und Strafe. Zur Strafrechtskritik von Clara Wichmann, in: „Graswurzelrevolution“ Nr. 157, 1991, S. 17

Revolution und Soziale Verteidigung, Frankfurt/M. 1977

  • Ders.: Die gewaltfreie Aktion. Idee und Methoden, Vorbilder und Wirkungen, Hamburg / Zürich 1984
  • F. Köhler (Hg.): Gewalt und Gewaltlosigkeit. Handbuch des Aktiven Pazifismus, Leipzig / Zürich 1928, Reprint New York 1971