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Reimers, Otto

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Lexikon der Anarchie: Personen

Otto Reimers, geb.: 17. September 1900 in Grambek bei Mölln: gest.: 22. Oktober 1984 in Laufenburg/Baden. Anarchist.

Äußere Daten

Reimers musste als ältestes von sechs Kindern seine Mutter tatkräftig unterstützen, da der Vater bereits im ersten Kriegsjahr 1914 gefallen war.

Nach der Schule absolvierte Reimers, eine Lehre als Zimmermann und ging 1919 nach Hamburg, um dort auf dem Bau zu arbeiten. Später besuchte er eine Polierschule und bildete sich in Abendkursen auf einer Ingenieurschule weiter. Insgesamt arbeitete er 42 Jahre für dieselbe Hamburger Hoch- und Tiefbaufirma – in den letzten fünfzehn Jahren als Bauleiter.

Persönlicher und politischer Werdegang

1919/20 lernte Reimers linksradikale Arbeiter kennen, die in der rätekommunistischen „Allgemeinen Arbeiter Union“ (AAU) organisiert waren und besuchte die wöchentlichen Zusammenkünfte der Ortsgruppe Gölzow.

1921 lehnten die Hamburger Unionisten die Gründung einer neuen kommunistischen Partei (Kommunistische Arbeiter-Partei Deutschlands, KAPD) und die Mitgliedschaft in der Komintern ab und schlossen sich der Allgemeine(n) Arbeiter-Union - Einheitsorganisation (AAU-E) Otto Rühles und Franz Pfemferts an. 1923/24 suchte die AAU-E verstärkt die Zusammenarbeit mit der anarcho-syndikalistischen FAUD und der IAA.

Reimers gehörte neben Ernst Fiering, Karl Matzen und Karl Roche 1926 zu den Initiatoren des Hamburger „Blocks antiautoritärer Revolutionäre“ – eine Arbeitsgemeinschaft von FAUD-Angehörigen, kommunistischen Anarchisten, Individual-Anarchisten und Unionisten. Zu den wöchentlichen Vorträgen und Diskussionen von Rudolf Rocker, Berthold Cahn, Helmut Rüdiger, Pierre Ramus und anderen im Lokal Planeth kamen manchmal über 300 Zuhörer zusammen. Reimers war maßgeblich am Vertrieb der Zeitung „Proletarischer Zeitgeist“ (Zwickau 1922 bis März 1933) beteiligt, die als Organ der AAU-E gegründet worden war.

In der Illegalität nach 1933 gab die Hamburger Gruppe fast monatlich bis Mitte 1934 die zwölfseitige Schrift „Mahnruf“ heraus.

Den II. Weltkrieg verbrachte Reimers hauptsächlich damit, die durch Bombenangriffe beschädigten U-Bahn-Schächte und -Tunnel, sowie die Hochbahn Hamburgs wiederaufzubauen, da sein Arbeitgeber immer wieder seine Freistellung vom Kriegsdienst erreichen konnte.

Neben Carl Langer meldete sich Reimers als Anarchist bald nach Kriegsende in Hamburg wieder zu Wort. Bereits am 5. Mai 1945 verteilte er ein erstes Flugblatt, das die Naziverbrechen zum Thema hatte. Am 20. Mai 1945 gab er mit Freunden eine weitere Ausgabe des „Mahnrufs“ heraus. Reimers hoffte auf die Zusammenarbeit mit anderen antifaschistischen Gruppen. Ergebnis der Bemühungen war 1946 die Gründung der kurzlebigen „Vereinten Bünde für Demokratischen Aufbau e.V.“

Auch Reimers Beitrag zu den Versuchen, die kleinen libertären Zirkel in der jungen Bundesrepublik zu gemeinsamer Arbeit zu bewegen, blieb ohne große Folgen. Sowohl der im August 1959 in Neviges abgehaltene Kongress – auf dem der „Bund Freier Sozialisten und Anarchisten“ gegründet wurde – als auch die ein Jahr später in Bückeburg abgehaltene Konferenz brachten nicht die erhoffte beständige libertäre Sammlungsbewegung.

Reimers war Mitglied der „Föderation Freiheitlicher Sozialisten“ (FFS), die man als Nachfolgeorganisation der alten FAUD bezeichnen kann. In der Zeitschrift der FFS, „Die Freie Gesellschaft“ (Darmstadt 1949-1953), erschienen einige Beiträge Reimers – teilweise unter Pseudonym. Von 1955 bis 1959 gab er die deutsche Ausgabe eines internen Mitteilungsblattes europäischer Anarchisten, die „C.R.I.A.-Nachrichten“, heraus, und von 1955 bis 1962 war er einer der Herausgeber der Zeitschrift „Information“.

Mit „neues beginnen“ wagte Reimers im April/Mai 1969 einen erneuten Versuch, Öffentlichkeit für undogmatische libertäre Positionen zu schaffen. Da es bereits ein Gewerkschaftsblatt gleichen Namens gab, änderte er den Titel seiner Zeitschrift 1970/71 in „Zeitgeist“, die mit der Nummer 28/29 (1974) eingestellt wurde. Ursprünglich sollte „Zeitgeist“ zusammen mit der Zeitschrift „Akratie“ des Schweizers Heiner Koechlin weitererscheinen. Doch beide Lesergruppen unterschieden sich zu sehr, so dass Reimers Intentionen verloren gingen. Im Dezember 1978 erschien noch einmal ein Sonderheft von „Zeitgeist“ mit 219 Seiten Umfang. Auch danach blieb Reimers Ansprechpartner vor allem für jüngere libertäre Sozialisten. Seinen Lebensabend verbrachte er mit seiner Frau in Laufenburg an der schweizerischen Grenze.

Nach eigener Einschätzung durchlebte Reimers in den zwanziger Jahren eine typische Entwicklung wie viele andere libertäre Sozialisten und Gewerkschafter auch. Reimers war zwar niemals reguläres Mitglied der AAU, AAU-E oder der FAUD, ist aber in dieses Umfeld einzuordnen. Prägend war und blieb die Mitarbeit in der „P-Z-Bewegung“ (Proletarische-Zeitgeist-Bewegung), wie er sie selbst nannte, einem Zusammenschluss von undogmatischen linksradikalen, proletarischen Gruppen um die Zeitung „Proletarischer Zeitgeist“.

Die Erfahrungen der Weimarer Zeit und des II. Weltkrieges ließen Reimers nach 1945 immer wieder neue Versuche unternehmen, trotz aller unterschiede, zumindest einen Grundkonsens unter den libertären Sozialisten Deutschlands zu erreichen.

Auf die neue Generationen der Radikalen in den späten sechziger Jahren reagierte er mit Unverständnis. Der Generationenkonflikt machte auch vor den Libertären nicht halt. In den siebziger Jahren bemühte sich Reimers angesichts der gesellschaftlichen Situation den realistischen Ansatz des Anarchismus zu betonen. Mit bescheidenen Mitteln versuchte er mit seinen Veröffentlichungen libertäre Überzeugungen ohne Effekthascherei in der Öffentlichkeit lebendig zu erhalten. Dies tat er im Geiste R. Rockers und H. Rüdigers und deren Föderalismuskonzeption, wie sie nach dem II. Weltkrieg formuliert wurde und in der vielfältige Einflüsse der libertären Denktradition enthalten sind.


Stellenwert Reimers innerhalb des libertären Spektrums

Reimers war weder politischer Theoretiker noch Politiker, sondern einfach ein Anarchist, der sein Leben lang Arbeit, Zeit und Geld seiner Idee opferte. Er ist damit ein positives Beispiel für die besondere Wertschätzung von Inhalten im Gegensatz zu intellektueller Selbstgefälligkeit, die es auch unter den Libertären gab und gibt. Als eigentliche Leistung ist die Beständigkeit seiner Überzeugungen zu werten. In den siebziger Jahren war Reimers als Zeitzeuge der zwanziger Jahre und Dank seiner Materialsammlung ein wichtiger Ratgeber für jüngere Anarchisten, die nach Orientierung suchten.


Manfred Burazerovic


Literatur und Quellen

  • G. Bartsch: Anarchismus in Deutschland. Bd. l, Hannover 1972
  • Dito. Bd.2/3, Hannover 1973
  • K. Bommer / G. Freitag: Ein Nachtrag (Zum unten aufgeführten Nachruf v. G. Hepp), in: Die Freie Gesellschaft ( 1. Folge), Heft 15, 1986, S. 60 f.
  • W. Haug: Das politische Engagement war ihm Berufung und Verpflichtung. Nachruf auf Otto Reimers, in: Schwarzer Faden, Nr. 16, April 1984, S. 56 f.
  • G. Hepp: Otto Reimers zum Gedenken (1900-1984), in: Die Freie Gesellschaft (1. Folge), Heft 13/14, 1985, S.94-96


Quelle: Dieser Artikel erschien erstmals in: Lexikon der Anarchie: Encyclopaedia of Anarchy. Lexique de l'anarchie. - Hrsg. von Hans Jürgen Degen. - Bösdorf: Verlag Schwarzer Nachtschatten, 1993-1996 (5 Lieferungen). - Loseblattsammlung in 2 Ringbuchordnern (alph. sortiert, jeder Beitrag mit separater Paginierung). Für die vorliegende Ausgabe wurde er überarbeitet.

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