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Gustav Landauer: Philosophie und Judentum

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Die DadA-Buchempfehlung

Buchcover: 978-3868410686 Landauer-Ausgewaehlte Schriften Bd 5.jpg
Autor/en: Gustav Landauer
Titel: Philosophie und Judentum
Untertitel:
Editoriales: (= Ausgewählte Schriften - Band 5). Hrsg., kommentiert, mit einer Einleitung und einem Personenregister versehen von Siegbert Wolf. Illustriert von Uwe Rausch
Verlag: Verlag Edition AV
Erscheinungsort: Lich/Hessen
Erscheinungsjahr: 2012
Umfang, Aufmachung: Originalausgabe. Broschur. 445 Seiten.
ISBN: 978-3868410686
Preis: 22,00 EUR
Direktkauf: bei aLibro, der Autorenbuchhandlung des DadAWeb

BESPRECHUNG

Die Erkundungsreise in das Werk von Gustav Landauer (1870-1919) geht weiter. Beschäftigten sich die bisher erschienenen ersten vier Bände der von Siegbert Wolf herausgegebenen Edition der Ausgewählten Schriften Gustav Landauers mit den Themen Antipolitik, Anarchismus, Internationalismus, Nation, Krieg und Revolution, so berücksichtigt der nun vorliegende fünfte Band speziell Landauers Schriften zur Philosophie und zum Judentum.

Für Gustav Landauer war die Beschäftigung mit Philosophie, ebenso wie auch die mit Literatur und dem Theater, nie Selbstzweck gewesen. Vielmehr sollte sich Philosophie unmittelbar an der gesellschaftlichen Praxis ausrichten und das Ziel einer globalen Menschwerdung auf der Grundlage von Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit verfolgen. Philosophie war für ihn ein Erkenntnisinstrument, das sich nicht darauf beschränkte, die Welt zu interpretieren und die Wahrheit zu verkünden, sondern sie zielte auf die Bekämpfung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse in all ihren Ausprägungen und auf eine Veränderung des gesellschaftlichen Lebens. Landauer ging es dabei um die Schaffung einer „Einheit der Menschheit“. Auf der Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Freiwilligkeit sollten völlig neue soziale Arrangement eingeübt werden.

Für Landauer besaßen Fragen der Ethik im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, von Individuum und normativem Alltagsleben eine hohe Priorität. Dies zeigt sich am deutlichsten in seinen Bestrebungen zur Schaffung einer kommunitären und freiheitlichen Gesellschaft, so wie er sie in seinen Schriften zum sozialistischen Bund der selbständig wirtschaftenden und untereinander tauschenden Gemeinden beschrieben hat.

Es waren insbesondere die Werke von Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), Arthur Schopenhauer (1788-1860), Max Stirner (1806-1856), Friedrich Nietzsche (1844-1900) und des Niederländers sephardischer Herkunft, Baruch de Spinoza (1632-1677), von denen Landauers philosophisches Denken stark beeinflusst wurde. Philosophische Gesprächspartner fand er unter seinen Zeitgenossen in Fritz Mauthner (1849-1923), Martin Buber (1878-1965), Constantin Brunner (Pseudonym von Leo Wertheimer) (1862-1937) und Ludwig Berndl (1878-1946).

Landauer gilt als ein früher Bewunderer von Friedrich Nietzsche, wobei er dem Antihumanismus in Nietzsches Philosophie nichts abgewinnen konnte. Es war vor allem das Eintreten Nietzsches für eine Philosophie der Tat und des Lebens, die Landauer an ihm schätzte und sein „kommunitärer Anarchismus“ ist deutlich von Nietzsches Kulturkritik geprägt. Auch in Landauers sprachkritischem Hauptwerk „Skepsis und Mystik. Versuche im Anschluss an Mauthners Sprachkritik“ (1903) kommt seine Begeisterung für Nietzsche deutlich zum Ausdruck. Neben der grundsätzlichen Anerkennung von Nietzsches Sprach- und Kulturkritik fühlte sich Landauer vor allem von dessen Verneinung der Metaphysik angesprochen:

„Ob ihr es Gott nennt oder moralische Weltordnung oder Zweckmäßigkeit der Welt oder tiefere Bedeutung der Welt oder Erforschung der Wahrheit oder Erkennbarkeit der Welt, - es ist immer dasselbe: Der Glaube, die Welt aussprechen zu können, ist der Glaube an Gott. […] Das heißt: es ist nicht wahr.“

Nach Friedrich Nietzsche war es besonders Max Stirner und dessen Betonung des Individuums und der individuellen Freiheit, die Landauers kommunitären Anarchismus stark beeinflusst haben. Dass Stirner überhaupt für den Anarchismus „entdeckt“ wurde, ist neben dem libertären Schriftsteller John Henry Mackay (1864-1933) insbesondere auch Landauer zu verdanken. So empfahl er wiederholt die Rezeption von Stirners Werk und stellte ihn in eine Reihe mit den „Klassikern“ des Anarchismus: William Godwin (1756-1836), Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865), Michail Bakunin (1814-1876), Pjotr Kropotkin (1842-1921) und Lew N. Tolstoi (1828-1910).

Landauers Auseinandersetzung mit Stirners Werk hat zwar lebenslang angehalten, doch als er sich Ende der 1890er Jahre intensiv mit Fragen der Mystik, vor allem derjenigen Meister Eckharts, beschäftigte, rückte die Bedeutung Max Stirners für ihn allmählich in den Hintergrund.

Schon von Jugend an hatte Landauer, der in einer assimilierten, bürgerlich-jüdischen Familie aufgewachsen war, eine kritisch-distanzierte Haltung zu institutionalisierter Religion eingenommen, und seine Religionskritik traf anfänglich nicht nur das Christentum, sondern auch das Judentum. Religiosität als innere Haltung hingegen konnte jedoch Landauer nicht nur verstehen, sondern er tolerierte sie auch. 1891 erschien Gustav Landauers bedeutender Aufsatz „Religiöse Erziehung“, der nicht nur seine erste öffentliche Rezeption der Philosophie Friedrich Nietzsches beinhaltete, sondern zugleich ein Plädoyer für „eine neue Form von Religion“ enthielt. Gegen die Assimilation der Elterngeneration, die mit einer Abkehr von den religiösen Traditionen im Judentum einherging, wurzelte Landauer Forderung nach einer „religiösen Erziehung“ in der Überzeugung, dass eine „Moral ohne religiösen Hintergrund“ zu den nihilistischen Verwerfungen am Beginn des 20. Jahrhunderts geführt hatte.

Gustav Landauer hat sich offen zu seiner jüdischen Herkunft bekannt. Allerdings lässt sich sein kommunitärer Anarchismus weniger aus der jüdischen Tradition ableiten, sondern es sind – zumindest anfänglich – eher christliche Quellen, in denen dieser wurzelt. So bezieht sich Landauer noch in seiner 1907 veröffentlichten Schrift „Die Revolution“ vorrangig auf das christliche Mittelalter. Besonders hebt er den Hussitenführer Peter Chelcicky (ca. 1390-ca. 1460) als einen „christliche(n) Anarchist(en)“ hervor, „der seiner Zeit weit voraus war“ und verstanden hatte, „dass Kirche und Staat die Todfeinde des christlichen Lebens“ seien. Ebenso finden der Theologe und Revolutionär der Bauernkriege, Thomas Müntzer (1489-1525), und die radikalreformatorische Bewegung der Täufer (Wiedertäufer oder Anabaptisten) seine Anerkennung.

Bis zu diesem Zeitpunkt lässt sich bei Landauer eine nur spärliche, wenig konzeptionelle Rezeption der jüdischen Tradition erkennen. Erst nach 1907 hat er bewusst auch das Judentum im Rahmen seiner Wiederbelebung verschütteter Freiheits- und Widerstandstraditionen mit einbezogen und dabei die mystischen und häretischen Quellen des Judentums für sich entdeckt, insbesondere den Messianismus, die Kabbala und den Chassidismus.

Im Chassidismus sah Landauer eine jüdische revolutionäre Erneuerungsbewegung, die eine kollektiv mystisch inspirierte Hoffnung auf Erlösung bereits im Irdischen mit der Idee eines befreienden und einenden Gott vereinte. Daraus hat Landauer eine Synthese aus föderativ-kommunitärem Anarchismus und der Erfüllung einer besonderen, menschheitlichen Mission des Judentums abgeleitet. Am deutlichsten wird diese Synthese von Judentum und Anarchismus in seinem Essay „Sind das Ketzergedanken?“ aus dem Jahre 1913, das auch das wohl eindringlichste Bekenntnis Landauers zum Judentum beinhaltet:

„Wie ein wilder Schrei über die Welt hin und wie eine kaum flüsternde Stimme in unserem Innersten sagt uns unabweisbar eine Stimme, dass der Jude nur zugleich mit der Menschheit erlöst werden kann und dass es ein und dasselbe ist: auf den Messias in Verbannung und Zerstreuung zu harren und der Messias der Völker zu sein.“

Es sind vor allem die Nächstenliebe- und Gerechtigkeitsmotive der jüdischen Tradition und die historisch bedingte kulturelle Vielfalt des Judentums, die einen nachhaltigen Einfluss auf Landauers anarchistische Vision einer humanen und freiheitlichen Gesellschaft gehabt haben. In seinem „Aufruf zum Sozialismus“ (1911) nimmt Landauer unmittelbar Bezug auf die jüdische Gesellschaft zu Zeiten von Moses und proklamiert das Prinzip der permanenten Revolution als Grundlage der neuen Gesellschaftsordnung:

„Wer Ohren hat zu hören, der höre. [...] Die Stimme des Geistes ist die Posaune, die immer und immer und immer wieder ertönen wird, solange Menschen beisammen sind. Immer wird Unrecht sich festsetzen wollen, immer wird, solange die Menschen wahrhaft lebendig sind, der Aufruhr dagegen entbrennen. Der Aufruhr als Verfassung, die Umgestaltung und Umwälzung als ein für allemal vorgesehene Regel, die Ordnung durch den Geist als Vorsatz; das war das Große und Heilige an dieser mosaischen Gesellschaftsordnung. Das brauchen wir wieder: eine Neuregelung und Umwälzung durch den Geist, der nicht Dinge und Einrichtungen endgültig festsetzen, sondern der sich selbst als permanent erklären wird. Die Revolution muss ein Zubehör unserer Gesellschaftsordnung, muss die Grundregel unserer Verfassung werden.“

Während der deutschen Revolution 1918/19 bemühte sich Gustav Landauer von München aus, seinen kommunitären Anarchismus mittels eines föderativen Rätesystems zu verwirklichen. Dabei setzte er konsequent auf eine Verbindung von Revolution und Judentum. Der messianische Charakter von Landauers kommunitären Anarchismus zeigt sich deutlich in seinem Vorwort zur zweiten Auflage seiner Schrift „Aufruf zum Sozialismus“ , die Anfang 1919, inmitten der Revolution, veröffentlicht wurde:

„Betteln wir nicht, fürchten wir nichts [...]; halten wir uns wie ein Hiob unter den Völkern, der in Leiden zur Tat käme; von Gott und der Welt verlassen, um Gott und der Welt zu dienen. Bauen wir unsere Wirtschaft und die Einrichtungen unserer Gesellschaft so, dass wir uns unserer harten Arbeit und unseres würdigen Lebens freuen; eins ist gewiss: wenn’s uns in Armut gut geht, wenn unsere Seelen froh sind, werden die Armen und die Ehrenhaften in allen anderen Völkern, in allen, unserem Beispiel folgen.“

Trotz seiner Bekanntheit und spürbaren Wirkung auf Teile der Bevölkerung blieb Landauer während der Revolution 1918/19 ein Einsamer. Als bekannter Revolutionär, Anarchist und Jude wurde er von der politischen Rechten gehasst und bekam deren Antisemitismus zu spüren. Aber auch von jüdischen Funktionsträgern wurde er geschmäht. So beschuldigte Sigmund Fraenkel, der Vorsitzende des Münchner orthodoxen Synagogenvereins, in einem Offenen Schreiben im April 1919 Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller, dass sie durch ihr Engagement als Juden in der Revolution den Antisemitismus in Bayern nur verstärken würden. Und nach Landauers Ermordung durch rechte Freikorpssoldaten besaß die jüdische Gemeinde im Krumbach sogar die Pietätlosigkeit Landauer das Judentum überhaupt abzusprechen.

Sein Freund Martin Buber hatte zwar Landauers politisches Engagement nach dem Ersten Weltkrieg unterstützt, aber das Scheitern der Revolution in Bayern vorausgesehen und dieses eine „namenlose jüdische Tragödie“ genannt. In seinem zehn Jahre nach Landauers Tod veröffentlichten Essay „Erinnerung an einen Tod“ würdigte Buber das revolutionäre Wirken seines Freundes wie folgt:

„Landauer hat in der Revolution gegen die Revolution – um die Revolution gekämpft. Die Revolution wird’s ihm nicht danken; aber danken werden es ihm die, die ebenso kämpfen, und vielleicht einst die, um derentwillen gekämpft wird.“

Jochen Schmück,
Potsdam im Mai 2012

INHALT

Einleitung von Siegbert Wolf

  • „Das ist mir viel zu wenig, bloß um des ‚Lebens’ willen zu erkennen; ich will um des Gestaltens willen erkennen.“ - Philosophie und Menschwerdung [9]
  • Anmerkungen [50]

DENKAUFBRÜCHE [87]

  • Religion [89]
  • Religiöse Erziehung [94]
  • Sprache und Schrift [100]
  • Eduard Kulke, Zur Entwicklungsgeschichte der Meinungen [113]
  • Dr. Herm. Wesendonck, Der modern-religiöse Wahnsinn oder Christi Lehre [114]
  • Ein kleiner Beitrag zur Entwicklungsgeschichte Friedrich Nietzsches [115]
  • Die geschmähte Philosophie [122]
  • Die Demagogen der Reformationszeit [127]
  • Die unmoralische Weltordnung [144]
  • Der lebendige Katholizismus [147]
  • Zur Psychologie activer Naturen [153]
  • Das Liebesleben in der Natur [156]
  • Im Kampf um die Weltanschauung [160]
  • Duplizität der Ereignisse? [161]
  • Der neue Gott [162]
  • Friedrich Nietzsche und das neue Volk [166]
  • Christentum [182]
  • Anmerkungen [184]

ZÄSUREN [217]

  • Zukunft-Menschen [219]
  • Ignatius Aurelius Feßler [225]
  • Einfälle und Betrachtungen [241]
  • Nachbildung der im Jahre 1902 noch erhaltenen eigenhändigen Briefe des Benedictus Despinosa [243]
  • Paracelsus [244]
  • Schleiermacher, Briefe [248]
  • Breviere ausländischer Denker und Dichter [249]
  • Gott als Band [252]
  • Zur Kritik der Sprachkunst [257]
  • Die Lehre von den Geistigen und vom Volke [266]
  • Volk und Publikum [276]
  • Max Stirner, Sein Leben und sein Werk [282]
  • Der gefesselte Faust [284]
  • Zuschriften [286]
  • Gott und der Sozialismus [287]
  • Benedikt Friedlaender, Aphorismen [306]
  • Anmerkung [307]
  • Fritz Mauthners Buddha-Dichtung [309]
  • Benedict Lachmann, Protagoras, Nietzsche, Stirner [315]
  • Zu Ehren Voltaires [316]
  • Anmerkungen [317]

FREUDE AM JUDENTUM [339]

  • In Sachen: Judentum [341]
  • Die Legende des Baalschem [345]
  • Judentum und Sozialismus [347]
  • Sozialismus und Judentum [350]
  • Martin Buber [351]
  • Sind das Ketzergedanken? [362]
  • Zur Poesie der Juden [368]
  • Notizen über Martin Bubers Rede „Der Geist des Orients und das Judentum“ [371]
  • Der Hostienpilz [374]
  • Ostjuden und Deutsches Reich [375]
  • Christlich und christlich, jüdisch und jüdisch [384]
  • Ernsthafter Fall und kuriose Geschichte [385]
  • Von der tierischen Grundlage [389]
  • Anmerkungen [397]

ANHANG:

  • Zeittafel [[414]
  • Primär- und Sekundärbibliographie [423]
  • Siglen und Abkürzungen [429]
  • Anarchistische Zeitungen und Zeitschriften [429]
  • Namenregister [430]



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