Norbert ("Knofo") Kröcher - Gedenkseite
"Knofo" ist tot
Der Berliner Anarchist Norbert "Knofo" Kröcher ist tot. Nachdem er von einer unheilbaren Krebserkrankung erfahren hatte, hat er sich am Freitag, dem 16. September 2016, in seiner Heimatstadt Berlin erschossen. 1972 hatte er die Bewegung 2. Juni mitbegründet und Banken überfallen. 1977 wurde "Knofo" in Schweden verhaftet und saß bis bis 1985 im Knast. Nach seiner Entlassung arbeitete er als Fotograf.
Erst im August 2016, also einen Monat vor seinem Freitod, hatte "Knofo" seine Autobiographie abgeschlossen, die Ende des Jahres bei Basis Druck erscheinen soll und in der seinen Weg vom "Hasch-Rebellen" zum militanten anarchistischen Kämpfer beschreibt.
Wir trauern um unseren Genossen.
Wer seine Erinnerungen an Norbert "Knofo" Kröcher mit uns teilen möchte, kann sie auf der Diskussions-Seite veröffentlichen. Wir übernehmen dann die Texte hier auf die Norbert "Knofo" Kröcher-Gedenkseite.
Falls jemand Probleme mit dem Schreiben auf der Diskussions-Seite haben sollte, der kann uns seinen Text und gerne auch Fotos zur Veröffentlichung auf der Gedenkseite per E-Mail schicken an: redaktion@dadaweb.de.
Jochen Schmück
Redaktion DadAWeb.de
Knofo – Letzte Ausfahrt Falkensee Am 16.9.2016 starb Norbert „Knofo“ Kröcher in der Nähe von Berlin-Falkernsee, wo er auch 1950 geboren wurde. Er war Anarchist, Haschrebell, Gründungsmitglied der Bewegung 2. Juni, Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr von Manchnow (Landkreis Märkisch-Oderland; Autokennzeichen: MOL) und vieles andere noch mehr.
Ein Schwank aus meiner Jugend Als Jugendlicher, vielleicht 14 oder 15jähriger kreuzte ich auf meinem Schulweg immer den Stuttgarter Platz. Aus Richtung Ku‘damm ging ich die Windscheidstr. entlang in Richtung Charlottenburger Schlossstr. Aus mir heute nicht mehr bekannten Gründen waren schwarze Halstücher „modern“, jedenfalls hatte ich eines (ohne damals an Anarchismus zu denken). Eines Tages jedenfalls bemerkte ich, dass direkt hinter mir zwei Männer liefen von denen einer mich unvermittelt von hinten ansprach: „Schickes Halstuch, Alter“. Ich habe mich etwas erschrocken und ging schneller. Mich kurz umdrehend erkannte ich zwei Typen in Ami-Parker, Jeans, langhaarig mit Vollbärten (damals dachte niemand sofort an Islamisten). Seitdem rede ich mir ein, dass diese beiden Typen, die dann rechts in den Stuttgarter Platz Richtig Kaiser-Friedrich-Straße einbogen, wo seinerzeit die Kommune 1 lebte, Knofo und Bommi Baumann gewesen waren (was natürlich keineswegs stimmen muss).
Diese Geschichte habe ich Knofo nie erzählt. Vermutlich hätte er gesagt „Keine Ahnung, kann schon sein“, oder: „Na klar, da latschte so ein kleener Piepel vor uns her, der nen schwarzes Halstuch um hat, und kenne Ahnung von wat.“
Später sind wir auch in Parkern, wieder mit schwarzen Halstüchern und Shit und Trips in den Taschen rumgezogen. Zu der Zeit noch nicht ganz so politisch, aber schon auf gutem Weg.
Knast (meine Literatur) Knofo wurde im März 1977 in Stockholm verhaftet, und kurz danach an den Rache-Staat Deutschland ausgeliefert, wo er bis 1985 inhaftiert war. Es war das Ende einer Zeit voller kladestiner – diese Wort liebte er – Existenz. War das Leben der Haschrebellen, neben dem illegalen Konsum diverser Drogen von Kleinkriminalität geprägt, was im übrigen einen ziemlich großen Teil der damaligen Szene betraf. Ob Ladendiebstahl, Versicherungsbetrug, Autos knacken, Zocken, Dealen, Schmuggel usw. wurde zu einer Art Volkssport und sicherte manch wacklige Existenz.
Nicht jedeR war bereit – auch im Namen des antikapitalistischen Kampfes – so weit zu gehen wie die AktivistInnen der Bewegung 2. Juni, die Banken überfielen etc. Ein absolutes Sahnestückchen war sicherlich die Entführung des CDU-Politikers Lorenz, für den einige GenossInnen aus dem Knast frei kamen. Es war ein realer Tausch. Für die AktivistInnen – selbst wenn sie ein A- oder B-libi hatten, kam es trotzdem teuer zu stehen. Sie bezahlten alle einen hohen Preis. Der Staat lässt sich auf keinen Fall die Butter vom Brot nehmen. Aber es wurde einfach mal versucht. Im Gegensatz zu den durchgeknallten Marxisten-Leninisten der RAF (die englischsprachige Wikipedia zählt Knofo zur 2. Generation der RAF – diese Unwissenden!) versuchte die Bewegung 2. Juni dicht bei den Bedürfnissen der Bevölkerung zu bleiben, und somit konnte bei diversen Aktionen (fast) jedeR zur Bewegung 2. Juni gehören: Etwa bei der anonymen Verteilung von gefälschten BVG-Scheinen an die Haushalte oder der Verteilung illegaler Schriften.
Widerstand braucht nicht nur Fantasie sondern auch Humor. Fritz Teufel, der legendäre Spaßguerillero, leider auch schon verstorben, gehörte zu den Menschen, die Humor zu einer scharfen Waffe machen konnten. Dafür war Knofo auch zu begeistern: Ein Lachen wird es sein, dass Euch beerdigt.
Jetzt sitze ich hier im Urlaub und was habe ich an Büchern dabei: - Lou Marin; Rirette Maîtrejean. Attentatskritikerin, Anarchafeministin, Individualanarchistin. Heidelberg 2016. [handelt von der französischen Anarchoszene zu Beginn den 20. Jahrhunderts, u.a. auch über die Kritik an den Illegalismus. Maîtrejean war u.a. – unschuldig – Mitangeklagte im Prozess 1913 gegen die sog. Bonnot-Bande] - Jack Black, Im Knast und auf der Flucht. Dialog-Edition / Trikont Verlag Istanbul / Duisburg 2016. [gleiche Zeit, nur in den USA. Selbstzeugnis und Kritik eines Diebes und Opiumessers an den damaligen Knästen und der Justiz.] Besonderheit: Der Übersetzer Axel Monte starb einen Tag, bevor das Buch aus der Druckerei kam. - Jörg Aufenanger, John Höxter. Poet, Maler und Schnorrer der Berliner Bohème. Quintus Verlag Berlin 2016. [handelt auch vom ersten Drittel des 20. Jh. Höxter, der u.a. auch Jude war brachte sich am 16.11.1938 in einem Waldstück am Templiner See, um.] - Gerd Möbius, Halt Dich an Deiner Liebe fest. Rio Reiser. Aufbau Verlag Berlin 2016. [der Soundtrack unserer Zeit.]
Alles hängt irgendwie immer zusammen. Und es hört einfach nicht auf...
Schwarzer Kalender 1991 lernte ich Knofo erst ein bisschen kennen durch die Arbeit am Schwarzer Kalender der dann von 1992-94 erschienen ist – und wie ich meine – recht frischen Wind in die Taschenkalender-Szene gebracht hat.
Knofo hasste die damals verstärkt aufkommende „political correctness“, in allen ihren Ausartungen des alltäglichen Sprachgebrauchs („WeihnachtsmännerInnen“!), aber liebte den subversiven Humor. Deshalb will er auf dem Friedhof beerdigt werden, wo Fritz Teufel auch schon liegt. Die beiden passen gut zusammen.
Es gab Kritik an diversen Eintragungen im Kalender. Die Kreuzberger Szene wollte uns steinigen. Im 1994er Kalender gingen wir im Vorwort gegen die Zensur in den Köpfen der Leute an, aber es war nervenzehrend.
Der Schwarze Kalender war durchaus (finanziell) erfolgreich seinerzeit, machte aber viel Arbeit. Die Treffen waren langwierig, diskussionsschwanger und atemberaubend. Männer unter sich.
Noch während der Kalender-Zeit zog Knofo in die Kollwitzstrasse, noch bevor die Besatzung des Prenzlauer Bergs durch die Schwaben, stattfand. In typischer Knofo-Manier: er guckte sich eine scheinbar leerstehende Wohnung aus, redete mit den Nachbarn, und besetzte sie kurzerhand. Als der Marsch der Schwaben begann, regelte er seinen Besetzerstatus mit der (noch) DDR-Wohnungsverwaltung in einen legalen um. Die Tatsache, dass wir die Redaktionssitzung dann in einer alten, schon zu DDR-Zeiten existierenden Schwulenkneipe nicht unweit der Wohnung abhielten, war ebenfalls typisch für Knofo. Er eignete sich seine neue Umgebung an, er redete mit den Menschen, ging auf Entdeckungsreise und hatte „Geheimtipps“ bevor ein Reiseführer dieselbigen exklusiv als Geheimtipps verkaufen konnte.
Nach dem dritten Kalender war bei uns die Luft raus. Keine Lust mehr, kein Nerv und alle stieben auseinander. Von Knofo hielt sich das Gerücht, dass er als LKW-Fahrer durch Polen rauschte.
Berufe (vergleiche zu dieser Frage: https://haschrebellen.de/knofo) Hatte Knofo einen Beruf? Keine Ahnung. Er liebt anscheinend alles was an Land (oder zu Wasser?) einen Motor hatte, sammelte in seiner Wohnung Ersatzteile für diverse Gerätschaften. Von der Mofa bis zum LKW konnte er alles fahren – und wohl auseinander nehmen.
Prenzlauer Berg-Connection Hier fand Knofo Aufnahme und Bewunderung – zu Recht. Zwischen den Linken im Westen und den Linken im Osten gab und gibt es wohl noch einen Unterschied, den ich am eigenen Leibe erfahren hatte. Im Westen ging es um „pc“, Veganismus und Verbannung der (vereinzelten) RaucherInnen. Eine Redaktionssitzung im Osten lief dagegen ganz anders ab: Bier auf dem Tisch, in der Mitte ein großer Aschenbecher und zwischendurch – im Sommer – wurde auf dem Hof Fleisch gegrillt. Da lagen und liegen bis Heute Welten dazwischen. Und da ich in beide Welten reinschauen durfte, kann ich das gut verstehen, dass Knofo sich in der Ostwelt wohl gefühlt hat.
Bezirke, wie der Prenzlauer Berg mochten ihn auch an seine West-Kindheit erinnert haben. Jedenfalls ging es mir so, als meine Liebste mich nach dem Mauerfall in den Osten zerrte. Gegenden in Mitte und im Prenzlauer Berg erinnerten mich an meine Kindheit in Kreuzberg. Halb verkommene Häuser noch mit Original-Einschusslöchern aus dem Zweiten Weltkrieg, unebene Straßen und Bordsteinkanten, diverse Hinterhöfe, wo normale Menschen schnell Depressionen bekommen, weil kein Lichtstrahl in die elendige Paterrewohnung fällt.
Das alles kannte ich schon, es interessierte mich nicht. Knofo hingegen war an den Menschen interessiert, an ihre Geschichten. Ohne naiv zu sein, dass es auch hier genügend Duckmäusertum, Spitzel, Verräter usw. gab. Bei der DDR gab es für ihn nichts zu beschönigen.
Zwischen den Haschrebellen/Stadtguerilla und der DDR-Opposition im Prenzlauer Berg lagen aber auch Welten. 1968 wurde auf beiden Seiten der Mauer unterschiedlich geschrieben – erlebt sowieso. Aber wir alles sind fähig zu lernen.
… warum mir die Linke. Knieschüsse oder: Die Kritik als Waffe Zu neuem Kontakt kam es dann ca. 2011. Knofo sprach von Buchprojekten. Eine Biographie, aber nicht so was wie die von Till Meyer oder Bommi Baumann. Ich hörte mich um und es gab Verlage, die Interesse hatten, aber das Projekt weitete sich aus. Fast immer gab es nur Interesse an seine politisch aktive Zeit, aber Knofo plante drei Bände, aber das den meisten zu viel.
Und 2012 kam dann erst Mal ein Sammelband mit verstreuten Texten bei der Edition AV Verlag heraus: „… warum mir die Linke. Knieschüsse oder: Die Kritik als Waffe“ (wobei ich immer noch glaube, dass die drei Punkte eher hinter „Linke“ stehen sollten, statt am Anfang, aber egal.)
Und zwischendurch kam dann – für mich – plötzlich die Mitteilung, dass Knofo mal wieder umzieht.
Aber die Biographie erscheint wohl demnächst bei BasisDruck. Bert Papenfuß, als Freund von Knofo ist wohl beim Korrekturlesen. Ich bin gespannt darauf.
Oderbruch Knofo und seine Marie (die ich leider nicht kenne) ziehen auf‘s Land – und dann noch dahin, wo es weh tut. Der Oderbruch mag landschaftlich ja schön sein, aber während die Westler früher, die aufs Land wollten nach AKW guckten in deren Nähe sie auf alle Fälle nicht wollte, wurde nach der Wiedervereinigung das Negativum auf rechtsradikale „Kameradschaften“ gelegt, wozu wohl der Oderbruch eben teilweise auch gehört.
Meine Liebste und ich liebten die von Knofo per e-mail verschickten „Nachrichten aus dem Oderbruch“. Es gab 20 dieser Mitteilungsmails, die vom Landleben und dem Stand der Renovierungen handelten. Wir waren gespannt darauf, was Gaddafi, der Hahn so alles anstellte und leideten mit bei seinem dahinscheiden, und viele andere kleine Geschichten, wie etwa, dass er den Bibliotheksbus der Gemeinde durchs Land fuhr, weil es niemanden gab, der einen LKW-Führerschein hatte oder über seinen Eintritt in die dörfliche Freiwillige Feuerwehr, samt Prüfungen an den Geräten usw.
So Überraschend kam es allerdings erst mal nicht, dass Knofo plötzlich mitteilte, dass er sich ein Auto zum Wohnmobil umgebaut hätte, und jetzt noch meinte etwas durch die Gegend fahren zu müssen. Irgendwohin, wo es schön sei. Mal wieder fühlte er sich zu beengt, zu eingefahren usw. und die arme Marie saß nun allein im Oderbruch – so die erste Erkenntnis meiner Liebsten, und ich dachte nur: na, typisch Knofo. Wir wissen es allerdings nicht genau. Er wollte sich von unterwegs – ab und zu mal – melden. Aber das ist nicht mehr passiert.
Vermutlich wusste er zu diesem Zeitpunkt bereits von seiner Krankheit und wollte einfach seine Ruhe haben.
Der Kampf geht weiter? Natürlich geht der Kampf für die Überlebenden weiter. So wird es immer sein. Vielleicht ist es auch ein Krampf, und manchmal nur Müdigkeit. Kein Mensch kann jeden Tag seines Lebens kämpfen. Es bedarf auch manchmal der Ruhe, Zeit zum überlegen, Zeit um was ganz anderes zu machen.
Knofo war immer, wenn ich ihn traf auf eine Art ein „nervöses Hemd“. Für ihn gab es so gut wie nie Stillstand. Vielleicht fand er vorübergehend Ruhe im Beobachten der Hühner im Oderbruch. Ich weiß es nicht. Seine wütenden, ja oftmals berserkerhaften und meist unkonventionellen Kommentare werden uns fehlen.
Und natürlich geht der Kampf weiter… Klaro! Machs gut, Knofo.
Knobi
Griechenland, Anfang Oktober 2016
Hier noch ein paar Links:
in englischer Sprache: http://blogs.taz.de/contextishalfthework/2016/09/29/requiem-for-knofo-a-k-a-norbert-kroecher/
zum Thema Haschrebellen: https://haschrebellen.de/knofo
auch im Springer-Blatt „Berliner Morgenpost“: http://www.morgenpost.de/berlin/article208269479/Ehemaliger-Linksterrorist-nimmt-sich-selbst-das-Leben.html
Fink und Fernsehen: http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2016/09/kroecher-ex-terrorist-2-juni-tot.html
Hinweis vom telegraph, für den Knofo ab und an schrieb: http://telegraph.cc/machs-gut-knofo/
Link zu einem Film, in dem Knofo mitspielte: https://de-de.facebook.com/joschkaundherrfischer/videos/2014637238907/