Diskussion:Peter Kropotkin: Der Staat und seine historische Rolle
Hallo, gibt es dieses Buch von Kropotkin nirgends zum Online-lesen im Netz?
Ich habe auf deutsch nur eine (schlecht lesbare) eingescannte Version gefunden, wo man jedoch den Text leider nicht kopieren kann. Vor Monaten habe ich zwar bereits das gesamte exzellente Buch von Kropotkin abgetippt und auf "facebook" als Notizen veröffentlicht, doch facebook hat mein Profil leider gelöscht, nachdem ich auch noch "Öcalan" Texte online stellte.
Damit sind leider auch all meine Notizen gelöscht, noch einmal neu alles abzutippen ist leider eine Unmenge an Arbeit.
Gibt es die Broschüre über den "Staat und seine historische Rolle" sowie die Broschüre "Der moderne Staat" sonst irgendwo online auf deutsch, gut leserlich und Text kopierbar, nur das ich sie nirgends gefunden habe? Ansonsten muss ich wohl oder Übel noch einmal komplett alles von diesem exzellenten Werke abtippen.
Grüße Micha
Nachtrag: okay, ich habe es inzwischen neu (ab)-geschrieben nach diesem langen Wochenende. Nun folgt Kropotkin: "Der moderne staat" (1913) - auch davon findet sich leider keine einzige deutschsprachige PDF im Netz.
M.
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"Nach allem, was hier gesagt wurde, begreift man wohl, wie falsch es ist, im Staat nichts weiter als eine hierarchische Organisation von Beamten zu sehen, die dazu erwählt oder ernannt sind, um die verschiedenen Zweige des Gesellschaftslebens zu verwalten und ihren Gang ins Einvernehmen zu bringen, und wie verkehrt es ist, zu meinen, es könnte genügen, ihr Personal zu wechseln, damit die Maschine in einer bestimmten Richtung laufe.
Hätte sich die geschichtliche Aufgabe des Staates hinsichtlich der Politik und Gesellschaft darauf beschränkt, dann hätte er nicht, wie es geschehen ist, jede Freiheit der örtlichen Einrichtungen zerstört; er hätte nicht alles, Rechtspflege, Unterricht, Kultus, Künste, Wissenschaften, Heerwesen usw., in seinen Ministerien zentralisiert; er hätte nicht, wie er getan hat, die Steuer im Interesse der Reichen und zu dem Zweck gehandhabt, die Armen immer unterhalb der Grenze der "Armutslinie" zu halten, wie sich die jungen englischen Sozialökonomen ausdrücken; er hätte nicht, wie er getan hat, das Monopol so gehandhabt, daß er es den Reichen ermöglichte, den ganzen Zuwachs an den Reichtümern zu schlucken, der den Fortschritten der Technik und Wissenschaften zu danken ist.
Der Staat ist eben durchaus anderes und mehr als die Herstellung einer Verwaltung zu dem Zweck, für "die Harmonie" in der Gesellschaft zu sorgen, wie man an den Universitäten lehrt.
Er ist eine Veranstaltung, die im Lauf von drei Jahrhunderten langsam ausgearbeitet und vervollkommnet worden ist, um die von bestimmten Klassen erworbenen Rechte aufrechtzuerhalten, die Rechte nämlich, sich die Arbeit der werktätigen Massen anzueignen; um diese Rechte zu erweitern und ihrer neue zu schaffen, die noch mehr dazu führen, die Bürger der Gesellschaft durch die Gesetzgebung auszurauben und sie von kleinen Gruppen abhängig zu machen, die von der Regierungshierarchie mit Gunstbezeichnungen überhäuft werden.
Das ist das wahre Wesen des Staates.
Alles übnrige ist weiter nichts als Worte, die der Staat selbst dem Volk beibringt und die man aus Trägheit wiederholt, ohne sie aus der Nähe zu besehen: Worte, die genauso lügenhaft sind wie die Worte, wie sie die Kirche gelehrt hat, um ihre Machtgier, Habsucht und noch einmal Machtgier zu verhüllen.
Es wird aber wahrhaftig Zeit, diese Worte einer ernsthaften Kritik zu unterwerfen und dich zu fragen, woher es kommen mag, daß die Radikalen des 19. Jahrhunderts und ihre sozialdemokratischen Nachfolger so blind in einen allmächtigen Staat verliebt sind? Sowie man diese Untersuchung anstellte, würde m an feststellen, daß diese Voreingenommenheit vor allen Dingen von der falschen Vorstellung kommt, die man sich gewöhnlich von den Jakobinern der großen Revolution macht, - von der Legende, die sich um den Jakobinerclub gebildet hat oder vielmehr um ihn ausgebildet worden ist. Denn diesem Klub und seinen Zweigvereinen in der Provinz haben die bürgerlichen Geschichtsschreiber der Revolution (ausgenommen Michelet) den ganzen Ruhm der großen Prinzipien, welche die Revolution verkündet hat, und der schrecklichen Kämpfe zugeschrieben, die sie gegen Königtum und Royalisten zu führen hatte.
Es wird Zeit, dieser Legende ihren rechten Platz anzuweisen, unter den anderen Legenden nämlich der Kirche anzuweisen, unter, unter den anderen Legenden nämlich der Kirche und des Staates. Man fängt schon an, die Wahrheit über die Revolution zu sehen und zu merken, daß der Kajobinerklub der Klub nicht des Volkes, sondern des Bürgertums war, das zu Macht und zu Vermögen gekommen war; nicht der Revolution, sondern derer, die aus ihr Gewinn zu ziehen verstanden. In keinem der großen Augenblicke des Sturmes war dieser Klub die Vorhut der Revolution: er beschränkte sich immer darauf, die drohenden Wogen zu kanalisieren sie in den Rahmen des Staates zurücktreten zu lassen und dadurch zu töten, daß er die kühnen Elemente, die über die Absichten des von ihm vertretenen Bürgertums hinausgingen, umbrachte.
Der Jakobinerklub, die Pflanzstädte der Beamten, die er nach jedem neuen Schritt, den die Revolution vorwärts machte, in Mengen lieferte (am 10. August, am 31. Mai.) war der Wall des zur Macht gelangten Bürgertums gegen die gleichheitlichen Bestrebungen des Volkes. Eben darum - weil er zuwege brachte, das Volk auf seinen Bahnen der Gleichheit und dem Kommunismus aufzuhalten - wird er von den meisten Historikern so verherrlicht.
10. August 1792: Volksaufstand in Paris mit dem Sturm auf die Tuilerien, sturz der Monarchie
31. Mai 1793: Entmachtung der Girondisten und Begründung der absoluten Jakobinerherrschaft nach Schauprozess und Hinrichtungen.
Man muß sagen, dieser Klub hatte ein ganz bestimmtes Ideal: das war der allmächtige Staat, der keinerlei Ortzsgewalt, wie etwa eine selbstherrliche Kommune, keinerlei Macht einer Berufsorganisation, wie etwa die Handwerkerbünde, keinerlei Willensregung außer der der Jakobiner vom Konvent in seinem Schoß dulden sollte, - was mit Notwendigkeit zur Diktatur der Konsuln und zum napoleonischen Kaisertum führen mußte. Darum brachten die Jakobiner die Macht der Gemeinden und vor allem der Kommune von Paris und ihrer Sektionen (nachdem sie diese so umgewandelt hatten, daß sie weiter nichts mehr als Polizeibüros waren, die dem Sicherheitsausschuß unterstanden). Darum führten sie den Krieg gegen die Kirche, wobei sie aber immer einen Klerus und Kultus beizubehalten suchten; darum duldeten sie nicht den Schatten einer Unabhängigkeit in der Organisation der Gewerke, im Unterricht, in den wissenschaftlichen Forschungen, in der Kunst.
"Der Staat bin ich!" Das Wort Ludwigs XIV. war nur ein Kinderspiel gegen das Wort der Jakobiner "Der Staat sind wir!" Damit war das ganze Leben der Nation verschlcukt und in eine Beamtenpyramide gesteckt. 'Und all das sollte dazu dienen, keine bestimmte Klasse von Bürgern zu bereichern und zugleich alle übrigen - die ganze Nation außer diesen Privilegierten - in Armut zu halten. In einer Armut, die nicht die völlige Entblößtheit, die Bettelhaftigkeit sein sollte wie im alten Regime - ausgehungerte Bettler sind nicht die Arbeiter, wie sie dier Bourgois brauchen - aber in einer Armut, die den Menschen zwingt, seine Arbeitskraft jemandem zu verkaufen, der sie ausbeuten will, und sie zu einem Preis zu verkaufen, der dem Menschen nur ausnahmsweise erlaubt, diesen Stand des Lohnproletariats zu verlassen.
Da hat man das Ideal des Jakobinerstaates. Man lese die ganze Literatur der Zeit - ausgenommen die Schriften derer, die man die Enragés, die Anarchisten nannte und die man aus diesem Grunde guillotinierte oder sonstwie unterdrückte - und man wird erkennen, daß das und nichts anderes das jakobinische Ideal war.
Aber, so drängt es einen zu fragen, wie kommt es dann, daß die Sozialdemokraten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erst recht die Sozialdemokraten des 20. Jahrhunderts das Ideal des Jakobinerstaates zu ihrem gemacht haben, wenn dieses Ideal den bürgerlichen Standpunkt vertritt und im geradfen Gegensatz zu den gleichheitlichen und kommunistischen Bestrebungen des Volkes, wie sie während der Revolution zu Tage getreten waren, entstanden ist? Dafür will man die Erklärung geben, zu der mich meine Studien geführt haben und die ich für die wahre halte.
Die Brücke zwischen dem Jakobuinerclub von 1793 und den kämpfenden Staatssozialisten - Louis Blanc, Cabet, Vidal, Lassalle,, den Marxisten - bildet nach meiner Ansicht die Verschwörung Babeufs. Nicht umsonst ist sie von den Staatssozialisten, man darf wohl sagen, heilig gesprochen worden.
Babeuf nun, der ein unmittelbarer und reiner Sprößling des Jakobinerklubs von 1793 war, war von der Vorstellung ausgegangen, ein revolutionärer Handstreich, der mit Hilfe einer Verschwörung vorbereitet würde, könnte in Frankreich zu einer kommunistischen Diktatur führen. Aber sowie er - als echter Jakobiner - die kommunistische Revolution als etwas auffaßte, was man durch Dekrete durchsetzen könnte, kam er zu zwei weiteren Schlüssen: zunächst sollte die Demokratie den Kommunismus vorbereiten; und dann sollte eine einzelne Person, ein Diktator wenn er nur den starken Willen hätte, die Welt zu erretten, den Kommunismus einführen können!
In dieser Vorstellung, die wie eine Tradition im Lauf des ganzen 19. Jahrhunderts in geheimen Gesellschaften weiterlief, ruht das Rätselwort, das es noch in unserer Zeit Sozialisten möglich macht, an der Schaffung eines allmächtigen Staates zu arbeiten. Der Glaube - denn schließlich ist es nichts anderes als ein messianischer Glaubensartikel -, eines Tages würde ein Mann auftreten, der "den festen Willen hätte, die Welt zu retten" und zwar durch den Kommunismus, und der, wenn er erst "die Diktatur des Proletariats" errichtet hätte, den Kommunismus durch seine Dekrete verwirklichen würde, dieser Glaube hat im Verborgenen während des ganzen 19. und 20. Jahrhundertsfortgelebt. So sieht man zum Beispiel, wie der Glaube an den "Cäsarismus" Napoleons III. in Frankreich lebte, der Glaube an Hitler in Deutschland, der Glaube an Mao in China, der Glaube an Stalin, der Glaube an diesen oder jenen Kanzler oder Präsidenten, an diese oder jene vermeintlich gerechte Regierung, der Glaube an Obama, Merkel oder an Putin heute, der Glaube an Europa, der Glaube an den Staat, der Glaube lebt bis heute, oder wie der Führer der deutschen sozialistischen Revolutionäre, Lassalle nach seinen Gesprächen mit Bismarck über die Einigung Deutschlands schrieb, der Sozialismus würde in Deutschland durch eine Königsdynastie eingeführt werden, aber wahrscheinlich nicht durch die der Hohenzollern.
Immer der Glaube an den Messias!
Der Glaube, der Louis Napoleon nach der Junischlacht von 1848 zu seiner Popularität verhalf - dieser Glaube an die Allmacht einer Diktatur in Verbuindung mit der Furcht vor den großen Volkserhebungen, da hat man die Erklärung für diesen tragischen Widerspruch, den wir in der modernen Entwicklung des Staatssozialismus feststellen.
Am 24. Juni 1848 kam es zu einem Aufstand der Pariser Arbeiterschaft anlässlich der Schließung der französischen Nationalwerkstättenm durch die neugewählte konservativ-liberale Regierung. Der Pariser Juniaufstand wurde von der französischen Armee und der Nationalgarde blutig niedergeschlagen.
Wenn die Vertreter dieser Lehre einerseits die Befreiung der Arbeiter von der bürgerlcihen Ausbeutung verlangen und wenn sie andererseits daran arbeiten, den Staat, welcher in Wahrheit der Schutzherr des ausbeuterischen Bürgertums ist, zu stärken, - so erkärt sich das damit, daß sie von dem Glauben nicht loskommen, es fände sich ihr Napoleon, ihr Bismarck, ihr Lord Beaconsfield (D. i. Benjamin Disraeli), ihr Hitler, der eines Tages die zentralisierte Macht des Staates dazu bewegen würde, daß er seiner Aufgabe, seinem ganzen Apparat und all seinen Überlieferungen entgegen funktionieren würde.
Wer die Gedanken, die in den beiden Studien über den historischen Staat und den modernen Staat skizziert sind in Erwägung nehmen will, wird eine der wesentlichen Elemente der Anarchie verstehen. Er wird verstehen, warum die Anarchisten es ablehnen, auf irgendeine Art den Staat zu stützen und selbst ein Räödchen im Staat zu bilden. Er wird begreifen, warum die Anarchiosten sich die ausgesprochene Tendenz unserer Zeit zu Nutze machen, tausende verschiedene Gruppierungen zu gründen, die darauf aus sind, für all die Aufgaben, die der Staat an sich gerissen hatte, an die Stelle des staates zu treten, und warum sie daran arbeiten, daß die Massen der Bodenarbeiter wie der Fabrikarbeiter sich bemühen sollen, lebenskräftige Gebilde mit diesem Ziele ins Dasein zu rufen, anstatt sich darauf zu verlegen, den bürrgerlichen Staat dadurch zu stärken, daß sie ihm ihre Kräfte und ihren Geist leihen.
Er wird auch verstehen, warum und in welcher Weise die Anarchisten den Staat zum Verschwinden bringen wollen, indem sie, wo sie nur können, die Idee der Gebietszentralisation und der Zrntrslisstion der ASufgaben untergraben und ihr die Unabhängigkeit jeder örtlichen Gemeinschaft und jeder Gruppierung entgegenstellen, die einer sozialen Bestimmung dienen soll; und warum sie die Einheit des Vorgehens nicht in der hierarchischen Pyramide, nicht in den Befehlen des Zentralausschusses einer geheimen Organisation suchen, sondern in der freien Gruppierung, im Bunde, der vom Einfachen zum Zusammengesetzten aufsteigt.
Und dann wird er verstehen, welche Keime zu neuem Leben in diesen freien Gruppierungen, die Achtung vor der menschlichen Individualität haben, aufgehen werden, wenn der Geist der freiwilligen Knechtschaft und der Messiasglaube gewichen sind und an ihre Stelle der Geist der Unabhängigkeit, der freiwilligen Gegenseitigkeit und der Einsicht in die Zusammenhänge der Geschichte und Gesellschaft getreten istm, ein Geist, der endlich frei sein wird von den autoritären und halbreligiösen Vorurteilen, die uns die bürgerliche Staatsschule und Literatur einpfropfen.
Er wird auch im Schimmer einer nahen Zukunft feststellen, wohin es der Mensch eines Tages bringen kann, wenn er seiner Knechtschaft müde, seine Befreiung im freien Handeln freier Menschen sucht, wenn sie sich zu gemeinsamem Ziel zusammenschließen; zu dem Ziel, sich gegenseitig durch ihre gemeinsame Arbeit ein gewisses Mindestmaß des Wohlstandes zu verbürgen, um es dem Individuum möglich zu machen, an der völligen und ungehemmten Entwicklung seiner Fähigkeiten, seiner Individualität zu arbeiten und so zu dem Ausleben seiner Individualität zu kommen, von dem man uns neuerdings so viel erzählkt hat.
Und schließlich wird er verstehen, daß das Ausleben der Individualität, das heißt die möglichst vollständige Entfaltung des Individuums nicht - wie es die Bourgeoisie und ihre Leuchten lehren - darin besteht, der schöpferischen Tatkraft des Menschen ihre sozialen Tendenden und Gegenseitigkeitstriebe wegzuschneiden, um nichts weiter übrig zu behalten, als den engen und dummen Individualismus der Bourgeoisie, der lehrt, die Gesellschaft zu vergessen und das von ihr abgewandte Individuum zu verherrlichen. Er wird im Gegenteil einsehen, daß gerade die sozialen Neigungen und der Genossenschaftsgeist es sind, die, wenn sie in Freiheit ihren Aufschwung genommen haben, das Individuum dazu bringen, sich voll zu entfalten und die Höhen zu erreichen, wohin bisher allein die großen gemnialen Naturen in etlichen schönen Kunstwerken sich erhoben haben."
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Ich merke an, daß jemand der eine programmatische Zusammenfassung der Prinzipien und der Vorgehensweise des Anarchismus suchen würde, keine bessere finden könnte als dieses Schlußwort (vom Stern an). Diese Erklärung brauchte nur leicht stilistisch umgewandelt zu werden, um aus ihren gegenwärtigen Zusammenhang losgelöst eine Prinzipienerklärung zu bilden, die jeder Richtung des Anarchismus genugtut.
Micha Kroptkin