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Wolfgang Zucht - Gedenkseite

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Wolfgang Zucht und seine Frau Helga Weber 2006. Quelle: Archiv der Zeitschrift "Graswurzelrevolution".

Wolfgang Zucht ist tot

Am 17. September 2015 ist Wolfgang Zucht (geb. 30. Januar 1929) gestorben. Gemeinsam mit seiner Frau Helga Weber hat er über Jahrzehnte hinweg in Kassel die Verlagsbuchhandlung "Weber & Zucht" betrieben, die sich auf Literatur zum gewaltfreien Anarchismus spezialisiert hatte.

1958 war Wolfgang Zucht der Internationale der Kriegsdienstgegner beigetreten und er war auch Mitglied im Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK). 1965 beteiligte er sich in Hannover an der Herausgabe der Zeitschrift "Direkte Aktion – Blätter für Gewaltfreiheit und Anarchismus", die als Vorläuferorgan der ab 1972 erscheinenden Monatszeitung "Graswurzelrevolution" betrachtet werden kann.

Bis Anfang der 1970er Jahre lebte Wolfgang mit seiner Frau Helga Weber in London, wo sie sich in der Internationale der Kriegsdienstgegner, den War Resisters’ International (WRI), engagierten. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland beteiligten sie sich 1974 an der Gründung der Graswurzelwerkstatt, in der neue Methoden des gewaltfreien Widerstands entwickelt und trainiert wurden. Parallel dazu unterstützten sie die Herausgabe der von Wolfgang Hertle 1972 gegründeten Zeitschrift "Graswurzelrevolution" (GWR), die zu den langlebigsten libertären Zeitschriften der Bundesrepublik Deutschland gehört.

Ab Mitte der 1970er Jahre engagierte sich Wolfgang Zucht mit gewaltfreien Aktionen in der Anti-Atomkraft-Bewegung und unterstützte auch die Kampagne Stromgeldverweigerung gegen Atomenergie. 1980/81 koordinierte er erst die deutsche und dann auch die internationale Kampagne für einen Internationalen Gewaltfreien Marsch für Entmilitarisierung. Von 1992 bis 1995 beteiligte sich Wolfgang Zucht und seine Frau Helga Weber an der Herausgabe des Graswurzelrevolution-Kalenders.

Mit Wolfgang Zucht verliert die libertäre Bewegung in Deutschland einen der Pioniere des modernen gewaltfreien Anarchismus, der dank seines Engagements weit über die anarchistische Bewegung hinaus die gewaltfreien Ideen und Aktionsformen populär gemacht hat.

Die Urnenbeisetzung findet am Freitag, 2. Oktober 2015, um 14 Uhr in der Friedhofskapelle Kassel-Bettenhausen statt.

Traueranzeige der GWR und des Freundeskreises von Wolfgang Zucht.

Wer seine Erinnerungen an Wolfgang Zucht mit uns teilen möchte, kann sie auf der Diskussions-Seite veröffentlichen. Wir übernehmen dann die Texte hier auf die Wolfgang Zucht - Gedenkseite.

Falls jemand Probleme mit dem Schreiben auf der Diskussions-Seite haben sollte, der kann uns seinen Text und gerne auch Fotos zur Veröffentlichung auf der Gedenkseite per E-Mail schicken an: redaktion@dadaweb.de.

Jochen Schmück
Redaktion DadAWeb.de

Werke (eine Auswahl)

  • Humanismus und Gewaltfreiheit (ein Interview mit Helga Weber und Wolfgang Zucht), in: Wolfram Beyer: Kriegsdienste verweigern – Pazifismus aktuell. Libertäre und humanistische Positionen. Oppo-Verlag Berlin 2007
  • Für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft. Interviews mit Helga Weber und Wolfgang Zucht (Verlag Weber & Zucht), in: Bernd Drücke (Hg.): ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche, Karin Kramer Verlag, Berlin 2006, Seite 114–146
  • Helga Weber, Wolfgang Zucht: Abrüstung oder Revolution? Positionen der WRI, in: Antimilitarismus-Information Nr.10/1976. Jg.VI. (Christian-Wellmann-Verlag Frankfurt/Main)
  • Wolfgang Zucht: Der Ziviler Ungehorsam|Zivile Ungehorsam, in: Theo Hengesbach, Michael Schweitzer (Hrsg.): Kein Atomkraftwerk mit unserem Geld! Stromgeldverweigerung als gewaltfreier Widerstand gegen Atomenergie, Dortmund 1977, S. 17–24
  • Weber-Zucht (Hrsg.): Zum Beispiel Seabrook, USA – Gewaltfreiheit im Kampf gegen die Atomenergie, Kassel 1978



Erinnerungen und Nachrufe


"Ein Außenseiter, wie alle Anarchisten". Von Bernd Drücke

Erinnerungen an Wolfgang Zucht (30.1.1929 - 17.9.2015). Trauerrede von Bernd Drücke, Redakteur der Zeitschrift Graswurzelrevolution, gehalten am 2. Oktober 2015 auf der Trauerfeier in der Friedhofskapelle Kassel-Bettenhausen


Etwa 130 Menschen aus England, Spanien und Deutschland kamen am 2. Oktober 2015 zur bewegenden Trauerfeier für den Graswurzelrevolutionär Wolfgang Zucht nach Kassel. Wir dokumentieren die in der Friedhofskapelle gehaltene Hauptrede und zwei nach der Beisetzung im Café gehaltene Trauerreden. Auf der Wolfgang-Zucht-Gedenkseite (1) werden in den nächsten Wochen voraussichtlich weitere Trauerreden u.a. von Christine Schweitzer (für die WRI), Gernot Lennert (für die DFG-VK) und Wolfram Beyer (für die IdK), sowie Nachrufe, Fotos und Dokumente veröffentlicht. (GWR-Red.)


Liebe Helga, liebe Familie Zucht, liebe Familie Weber, liebe Angehörige, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, verehrte Trauergäste,

wir haben uns heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen von Wolfgang Zucht.

Wolfgang war ein lieber Freund und Genosse, ein liebenswerter und wundervoller Mensch.

Wolfgang lebt weiter, in unseren Herzen, in unseren Erinnerungen, in unserer Liebe für ihn.

Am 30. Januar wurde er 86 Jahre alt. Am 17. September ist er gestorben.


Es war ein Gelebtes Leben im besten Sinne. Wer sich die Fotos von Wolfgang anschaut, der wird hinter seinem Rauschebart und diesem herzlichen Lachen einen glücklichen, lebensfrohen Menschen erkennen. Wolfgang hat viel mehr erreicht, als sich die meisten Menschen erhoffen können.


Kindheit

Zusammen mit seiner älteren Schwester Marlis und der jüngeren (schon verstorbenen) Schwester Inge hat er einen großen Teil seiner Kindheit im Nationalsozialismus verbracht.

Seine Eltern waren zunächst Bauern. Ihre Familien hatten bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in Westpreußen gelebt, das mit dem Versailler Vertrag von 1919 polnisch wurde.

Seine Großeltern siedelten sich Mitte der zwanziger Jahre in der Uckermark an. Dort heirateten seine Eltern.

Wolfgang wurde in Berlin geboren und hat seine Kindheit in Funkenhagen und Boizenburg verbracht. Manchmal sagte er: "Im Grunde bin ich ein Bauer." Die Liebe zum Garten, zum Arbeiten mit der Hand, zum einfachen und gesunden Leben ist ihm immer geblieben.

Als Wolfgang drei Jahre alt war, verlor sein Vater ein Bein bei einem Unfall in der Landwirtschaft. Er war fortan Hausmann, die Mutter wurde daraufhin Hebamme. Die väterliche Erziehung war autoritär und oft auch mit vielen Schlägen verbunden.

Wolfgangs Vater stand der Nazi-Ideologie nahe, was auch eine Indoktrinierung des Jungen zur Folge hatte.

Wolfgang ging kurz ins Internat in Templin und dann als Fahrschüler in die gleiche Schule.

Diese Zeit hat ihn geprägt: die Schule am See mit schuleigenen Booten, das Baden dort. Die Sehnsucht nach der Uckermark hat ihn sein ganzes Leben lang begleitet. 1943 zog die Familie nach Brandenburg, von wo aus Wolfgang nach Genthin zur Schule fuhr.

Bei Kriegsende war Wolfgang 16, verbrachte viele Nächte im Keller, wenn die Erde bebte vom Einschlag der Bomben.

Als sich die sowjetischen Soldaten näherten, machte er sich mit dem Fahrrad alleine auf den Weg in den Westen. Mehr zufällig traf er seine Eltern und die jüngere Schwester unterwegs in Genthin wieder und zusammen flohen sie bis zur Elbe, zu den Amerikanern.

Es folgte eine Zeit in Salzgitter als Geflüchtete, bis die Mutter mit der jüngeren Schwester nach Brandenburg zurückzog.

Wolfgang zog mit seinem Vater, der laut Wolfgang die Niederlage der Nazis wohl nie verwunden hat, bald nach Braunschweig.

In einem Interview, das ich 2003 mit Wolfgang und Helga für die Graswurzelrevolution geführt habe, beschreibt Wolfgang seine bewusste und systematische Auseinandersetzung mit der Nazizeit, die etwa drei Jahre nach Kriegsende einsetzte:

"In den letzten Monaten unserer Schulzeit in Braunschweig hatten wir einen Lehrer, der uns dazu brachte, unsere Beschäftigung mit der Philosophie im sokratischen Gespräch zu führen. Diese Methode bietet die Möglichkeit zur gewalt- und herrschaftsfreien Diskussion philosophisch-politischer Fragen. Sie erfordert viel Bereitschaft zu aktiver Mitarbeit, zum sich Öffnen für die Argumente der anderen und In Frage Stellen der eigenen Denkgewohnheiten. Das alles war für uns, die wir die Nazizeit in lebhafter Erinnerung hatten, eine enorme Herausforderung. Vor allem durch diesen Lehrer sind wir alle unsere ‚Nazi-Hangups' gründlich losgeworden. Von ihm hörten wir zum ersten Mal von einem Sozialismus freiwilliger Zusammenschlüsse, von gegenseitiger Hilfe, von der Notwendigkeit von Gewerkschaften ohne Hierarchie und Bürokratie, damit die Kontrolle über die Entscheidungen durch die Arbeitenden gewährleistet ist."(2)

Dieser Lehrer gehörte dem ‚Internationalen Sozialistischen Kampfbund' an. Dass Helgas Eltern in der Vorläufer-Organisation dieses Bundes organisiert waren, war eine der vielen ideellen Verbindungen zwischen Helga und Wolfgang.

Die Idee der Frauenbefreiung, der völligen Gleichberechtigung der Geschlechter gehörte mit zu den Grundgedanken dieser Organisation.


Familie

Das in Braunschweig begonnene Biologie-Studium brach Wolfgang ab, um seinen erkrankten und vorübergehend in der DDR lebenden Vater mit Medikamenten unterstützen zu können. Dafür arbeitete er im Straßenbau, als Kesselschweißer, im Großhallen- und auch im Hausbau.

Der Vater ging schließlich wieder zurück nach Braunschweig, so dass außer ihm und Wolfgang alle anderen Angehörigen in der DDR lebten. So trennte der Grenzzaun auch Wolfgangs Familie. Welche Belastung das für alle war, mag das Beispiel einer von der War Resisters' International in London organisierten Demonstration in Ungarn zeigen, an der Wolfgang am 21. September 1968 -- mit weiteren 4 Personen teilnahm, um gegen die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Warschauer Pakt Staaten zu protestieren. Als Folge durfte seine Schwester Inge, die als Übersetzerin für eine Außenhandelsfirma der DDR arbeitete, für geraume Zeit nicht mehr in Ägypten und anderen Ländern eingesetzt werden, weil ihr Bruder gegen den Warschauer Pakt agiert hatte.

Andere Familienangehörige wurden aufgefordert, sich nicht mehr von Wolfgang besuchen zu lassen. Bewundernswerter Weise haben alle gesagt: Meine Familie, meine Beziehungen sind mir wichtiger als meine Karriere.

Wolfgang war seiner Familie immer in Liebe verbunden. Wie gut er das schwierige Verhältnis zu seinem Vater aufarbeiten konnte, zeigt sich unter anderem daran, dass der Vater die letzten Monate seines Lebens bei Helga und Wolfgang verbrachte und Wolfgang mit ihm ausgesöhnt war.


Politische Entwicklung

Wolfgang entwickelte sich zum Antimilitaristen und gewaltfreien Anarchisten. 1960 zog er nach Hannover, lebte zuerst in Untermiete, dann in einer Laube in seinem Kleingarten.

Durch den Ostermarsch gegen Atomwaffen kam er in Kontakt mit einem Freundeskreis, der sich um die Kriegsdienstverweigerung herum gebildet hatte.

In dieser Zeit wurde er Mitglied der Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK) und des Verbands der Kriegsdienstverweigerer (VK).

Beeinflusst unter anderem von Tolstoi, Gandhi, Landauer und Kropotkin gründete seine Gruppe die "Direkte Aktion".

Diese "Zeitschrift für Gewaltfreiheit und Anarchismus" kann als Vorgänger der Graswurzelrevolution gesehen werden.

Wolfgang orientierte sich zunehmend international, bewarb sich bei der War Resisters' International (WRI) in London und nahm an Kongressen im In- und Ausland teil. Auf einem solchen Kongress 1964 in Offenbach lernte er Helga kennen, die im gemeinsamen Büro der Naturfreundejugend, des Verbandes der Kriegsverweigerer und des Ostermarsches arbeitete.

1965 wurde Wolfgang in London bei der WRI angenommen. Helga entschied sich 1967, ebenfalls nach London zu gehen, arbeitete zunächst als Au pair Mädchen und begann nach einem Jahr, auch bei der WRI zu arbeiten. In dieser Zeit entstanden enge persönliche Beziehungen, zum Beispiel zum Generalsekretär der WRI, Devi Prasad, mit dem erst Helga und dann auch Wolfgang die Leidenschaft des Töpferns teilte.

Ganz besonders war aber auch die Beziehung zu Tony Smythe und seiner Familie, in deren Haus Wolfgang und Helga mehrere Jahre wohnten.

Diese Freundschaften haben ein Leben lang gehalten. Zwei Töchter aus dem Hause Smythe, Quita und Hansi, sind extra aus England zu dieser Beerdigung angereist.

Wolfgang nahm dann die Arbeit auf beim ‚National Council of Civil Liberties', dessen Themen unter anderem Rassismus und die Demonstrationsfreiheit waren.

1973 kehrten Helga und Wolfgang nach Deutschland zurück, beteiligten sich an der 1972 von Wolfgang Hertle gegründeten Graswurzelrevolution und gründeten 1974 zusammen mit anderen in Kassel die Graswurzelwerkstatt. Dort wurden sie angestellt.

Als Graswurzelwerkstatt-Arbeiter gaben Helga und Wolfgang von 1974 bis 1980 den "Informationsdienst für gewaltfreie Organisatoren" heraus.

Mitte der 1970er Jahre war Wolfgang aktiv in der Anti-Atom-Bewegung, bei Gewaltfreien Aktionen und der Kampagne Stromgeldverweigerung gegen Atomenergie.

Als Mitinitiator der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA) übernahm er 1980/81 die deutsche und dann die internationale Koordination für den Internationalen gewaltfreien Marsch für Entmilitarisierung.

1982 schieden beide aus der Graswurzelwerkstatt aus, waren aber in diesen Jahren auch beratend tätig für Kriegsdienst- und Totalverweigerer. Von 1992 bis 1995 war Wolfgang Mitherausgeber des Graswurzelrevolution-Kalenders.


Persönliches

Ich habe Helga und Wolfgang erst kennengelernt, nachdem ich 1998 von den Herausgeberinnen und Herausgebern der Graswurzelrevolution zum Koordinationsredakteur gewählt wurde. Vorher kannte ich beide nur aus Erzählungen und durch ihre Schriften und die Bücher des 1976 gegründeten Weber-Zucht-Verlags, die ich auch für meine Doktorarbeit über anarchistische Presse gelesen habe.

Vor ein paar Tagen hat sich Helga verwundert gezeigt über junge Menschen, die sie nicht kennt, die aber im Internet ihre Traurigkeit über Wolfgangs Tod geäußert hatten. Mich wundert das nicht. Das waren ehemalige Praktikantinnen von mir, die die beiden nur einmal gesehen und fast nur aus meinen Erzählungen und dem Interview aus dem "ja! Anarchismus"-Buch kannten.

Mir ging es 1998 vielleicht ähnlich. Als ich die beiden kennenlernte, war sofort diese große Vertrautheit da, dieses Gefühl der Geborgenheit, Solidarität, Freundschaft und menschlichen Wärme, die Wolfgang und Helga immer ausgestrahlt haben.

Es war immer zu spüren wie sehr Helga und Wolfgang sich lieben. Seit 1964 waren sie ein Liebespaar und wie tief diese Liebe ist, konnte erahnen, wer gesehen hat wie charmant sie miteinander flirteten.

Ich erinnere mich gerne an unsere Zusammenkünfte, im Garten von Helga und Wolfgang, in ihrer Wohnung, bei Isabel und Martin, bei den Sitzungen des GWR-HerausgeberInnenkreises, bei Festen und Veranstaltungen.

Als 2001 in Hannover ein anarchistischer Kongress stattfand, referierte ich dort über anarchistische Presse. Ich legte den Fokus auch auf die "Direkte Aktion" und andere in Hannover erschienene Anarchoblätter. Anschließend meldete sich ein junger Zuhörer und erzählte, dass sein Vater 1965 Mitherausgeber der "Direkten Aktion" war und er ihn zur Veranstaltung mitgebracht habe. Helga und Wolfgang waren auch da und hatten ihren riesigen, bundesweit einzigartigen Büchertisch aufgebaut. Es war das erste Mal nach vielen Jahren, dass sich Joachim Dunz und Wolfgang wieder in den Armen lagen.

Nachdem Wolfgang und Helga nach London gezogen waren, hatten sie Joachim nur noch sporadisch getroffen. Das Wiedersehen war bewegend.

In der Todesanzeige für Wolfgang, die die Internationale der KriegsdienstgegnerInnen, die GWR und die WRI gemeinsam unter anderem in der taz und der Graswurzelrevolution Nr. 402 veröffentlicht haben, findet sich ein Zitat des gewaltfreien Anarchisten Bart de Ligt:

"Neue Ideen werden nur bekannt aufgrund der Beharrlichkeit einer wagemutigen Minderheit!"

Wer Wolfgang kennenlernen durfte, wird das bestätigen. Wolfgang war, wie alle Anarchisten, ein Außenseiter, ein Mitglied einer kleinen radikalen Minderheit. Und diese Minderheit wurde hierzulande von kaum einem so sehr beeinflusst wie von diesem bescheidenen, in sich ruhenden Menschen, der bis zu seinem Tod beharrlich für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft eingetreten ist.

Dass die Graswurzelrevolution die langlebigste anarchistische Zeitschrift im deutschsprachigen Raum ist und in weiten Kreisen der Gesellschaft hohes Ansehen genießt, hat sie unter anderem auch dem kontinuierlichen Engagement von Wolfgang und Helga zu verdanken.

Wolfgang war bis zuletzt im Graswurzelrevolution-HerausgeberInnenkreis aktiv. Helga ist es noch immer. Beide haben mit ihrem solidarischen Handeln die Graswurzelbewegung und ihr Organ mit geprägt.

Als ich 2003 ein Interview mit Helga und Wolfgang geführt habe, fragte ich die beiden auch, was sie sich für die Zukunft wünschen.

Helga meinte dazu: "Ich wünsche uns genug Gesundheit und Energie für noch viele Jahre, damit wir weiter mitmischen können, wo es uns wichtig ist."

Wolfgang antwortete: "Ich wünsche uns eine lebendige und kraftvolle Graswurzelbewegung, für die es in unserer sozialen, politischen und wirtschaftlichen Situation viele Aufgaben gäbe."

Ich hoffe, wir können dazu beitragen, dass sich die Wünsche von Helga und Wolfgang erfüllen.

Bernd Drücke


Anmerkungen:

1) Gedenkseite für Wolfgang Zucht: http://dadaweb.de/wiki/Wolfgang_Zucht_-_Gedenkseite

2) Zitate aus: Für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft. Interviews mit Helga Weber und Wolfgang Zucht (Verlag Weber & Zucht), in: Bernd Drücke (Hg.): ja! Anarchismus. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert. Interviews und Gespräche, Karin Kramer Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-87956-307-1, Seite 114-146


Weitere Literatur:

Humanismus und Gewaltfreiheit (ein Interview mit Helga Weber und Wolfgang Zucht), in: Wolfram Beyer: Kriegsdienste verweigern - Pazifismus aktuell. Libertäre und humanistische Positionen. Oppo-Verlag, Berlin 2007

Devi Prasad: War Is A Crime Against Humanity. The Story of War Resisters' International, WRI, London 2005

Helga Weber, Wolfgang Zucht: Abrüstung oder Revolution? Positionen der WRI, in: Antimilitarismus-Information Nr.10/1976. Jg.VI. (Christian-Wellmann-Verlag Frankfurt/Main)

Wolfgang Zucht: Der Zivile Ungehorsam, in: Theo Hengesbach, Michael Schweitzer (Hrsg.): Kein Atomkraftwerk mit unserem Geld! Stromgeldverweigerung als gewaltfreier Widerstand gegen Atomenergie, Dortmund 1977, S. 17-24

Weber-Zucht (Hg.): Zum Beispiel Seabrook, USA - Gewaltfreiheit im Kampf gegen die Atomenergie, Kassel 1978

Quelle: Graswurzelrevolution Nr. 403, November 2015, www.graswurzel.net


Erinnerungen an Onkel Wolfgang, Michael Behling

Trauerrede von Michael Behling, gehalten auf der Trauerfeier für Wolfgang Zucht am 2.10.2015

... wenn ich an Wolfgang Zucht denke, denke ich nicht an Wolfgang Zucht, sondern an Onkel Wolfgang. Michael Behling

Meine Erinnerungen reichen da bis in meine frühe Kindheit zurück. Wir wohnten in der Uckermark - kurz vor der polnischen Grenze.

Die wohl für mich als Kind prägendste Erinnerung war die Post von meinem Onkel aus dem Westen. Die Post war dann ein Päckchen, welches immer besonders gut gerochen hat. Nach Kaffee, Schokolade und Kaugummis. Mit den Gedanken an Wolfgang steigen mir auch heute noch sofort wieder die Düfte dieser Westpakete in die Nase. Auch das Bild seines alten, gelben VW-Käfers mit den vielen Aufklebern blitzt mir vor den Augen auf.

Aber nicht nur das beschreibt meine Gedanken an Wolfgang.

Ich habe Wolfgang kennengelernt als Menschen, der seinen Reichtum nicht in materiellen Dingen suchte, sondern in substanziellen. Sei es die Liebe und Beziehung zu Helga, zur Familie oder zu seinen Freunden.

Wolfgang war reich mit seinem Denken und seinen Gedanken. Die richtige Frage von ihm hat mich wie viele Andere zum Nachdenken angeregt.

Er war ein Individuum, der andere Individuen schätzte. Er hat mich mit allen Ecken und Kanten so akzeptiert wie ich bin. Ich musste mich vor ihm nie verbiegen oder verstellen. Das hat mich beeindruckt und geehrt.

Heute entdecke ich viele Parallelen zwischen Wolfgang und mir. Das Interesse für Bienen und Garten und meinen offenen Geist für die Welt und meine Umwelt.

Ich bin dankbar, einen so wunderbaren und authentischen Menschen gekannt zu haben.

Ich trage ihn in meinem Herzen.

Denn was wir alle tief in unserem Herzen besitzen, kann uns auch durch den Tod nicht verloren gehen.

In liebevoller Erinnerung.

Michael Behling (Großneffe)

Quelle: Graswurzelrevolution Nr. 403, November 2015, www.graswurzel.net


"Mein Imkervater". Von Burkhard Keimburg

Trauerrede von Burkhard Keimburg, gehalten am 2.10.2015 in Kassel auf der Trauerfeier für Wolfgang Zucht

Wie viele von Euch habe ich Wolfgang im politischen Zusammenhang kennen gelernt. Bei mir war es die Graswurzel-Gruppe Kassel 1986. Ich würde hier aber gerne von einem anderen Lebensaspekt erzählen.

Wolfgang war mein Imkervater.

Aus meiner Schulkritik heraus habe ich mich immer dafür interessiert, wie sich das Verhältnis von Lehrenden zu Lernenden zum Beispiel bei AnarchistInnen, Sufis, BuddhistInnen, oder mexikanischen Schamanen gestaltet.

Das Wegweisendste von allem, was ich kennen gelernt habe, war für mich das Verhältnis meines Imkervaters zu mir. Bei Wolfgang habe ich gar nicht gemerkt, dass ich Lernender war. Und trotzdem habe ich - so bilde ich mir jedenfalls ein - im Laufe von zwei, drei Bienenjahren alles von ihm gelernt, was er zu lehren wusste.

Da gab es kein Interesse, dass ich mich unterordne. Wolfgang brauchte das einfach nicht, dass er über mir steht. Und er brauchte dabei auch kein politisches Konzept vor sich her zu tragen. Er war so.

Und als Zweites fällt mir die Selbstverständlichkeit dieser Art von Teil-Subsistenz auf. Die Bienen, der Garten, das war ein wichtiger, aber völlig unspektakulärer Teil seines gemeinsamen Lebens mit Helga.

Aber auch dafür brauchte er kein Konzept zum Markt zu tragen. Auch da war er einfach so.

Wolfgang hat diesen wichtigen Teil der Unabhängigkeit, der Unbeherrschbarkeit und der Selbstorganisation einfach gelebt.


Burkhard Keimburg


Quelle: Graswurzelrevolution Nr. 403, November 2015, www.graswurzel.net


Ein Langmütiger ist gegangen. Von Elmer Klin

Persönliche Gedanken zum Tod von Wolfgang Zucht (geboren am 30.1.1929 - gestorben am 17.9.2015)

Als sie kam, war es eine jener Nachrichten, die man als Freund nicht wahrhaben mochte, mit der aber seit einiger Zeit gerechnet werden musste. Wieder einmal hat der Krebs in einem menschlichen Organismus - obwohl mit der Energie guter Ernährung und gewaltfreier Lebenseinstellung erstaunlich lange aufgehalten - gesiegt. Nun ist Wolfgang am Ende des Wegs, der auch Ziel war, angelangt.

Eine große aktive Seele, die vom erschöpften Körper nicht mehr getragen und genährt werden konnte, hat nach langem Leben ihr Wirken unter uns eingestellt. Diese Seele aber ist nicht gestorben. Darum verzagen wir nicht, die wir zurück bleiben und zurück blicken.

Es bleibt die leibhafte Erinnerung an den Menschen Wolfgang. An einen Kämpfenden und Arbeitenden für Gewaltfreiheit und Frieden, in den letzten beiden Lebensjahrzehnten vielleicht eher im Stillen und Hintergrund, aber immer präsent, aufmerksam, teilnehmend, herzlich, engagiert. Die lauten Töne, das aus Erregung schnell dahin Gesagte, waren nicht seine Sache. Manchmal sind es bestimmte prägende Charakterbilder, die einen an einen anderen Menschen erinnern. Wolfgang hatte einen bisweilen trockenen, hintergründigen Humor und konnte wunderbar verschmitzt und liebenswert lachen. Und er besaß einen großen, reflektierten Langmut, was für alle geistigen Menschen kennzeichnend ist.

Am liebsten beschäftigt mit Büchern, ihrer Herausgabe, der Präsentation per phänomenalem Büchertisch und auf konventionellen wie alternativen Buchmessen, der Historie gewaltfreier Literatur und Suche nach neuen Projekten - zum Beispiel der "Dokumente zum Widerstand gegen die Wehrpflicht" (in zwei Auflagen) oder Wolfgang Hertles Larzac-Buch, die wichtige politische Beiträge, ja Pioniertaten waren. Und natürlich war da noch vieles mehr, darunter auch zahlreiche eigene Verlagsbücher (unter ISBN 3-88713 - ...).

Hier eine kleine bunte Auswahlliste: "Leben und Lernen in Landkommunen" (1979), Bill Moyers "Aktionsplan für Soziale Bewegungen", "Politik und Selbstverwirklichung in der Alternativbewegung, Bd. 1" (1981), "My Life is my message. Das Leben und Wirken Mahatma Gandhis" (1988), George Woodcocks Gandhi-Biographie oder "Das freundliche Klassenzimmer. Gewaltfreie Konfliktlösungen im Schulalltag" (1996).

Einen besonderen Raum nahmen die Veröffentlichungen der französischen gewaltfreien Arche-Gemeinschaft um den Gandhi-Inspirierten Lanza del Vasto ein.

Extra erwähnt sei auch in Wiederherausgabe das Büchlein Leonard Nelson: "Die sokratische Methode" (1992, 1995). Wolfgang war selbst wahrhaft ein sokratisch Denkender, Ergründender und Sprechender. Ein Philosoph also. Bis 2009 erschienen im 1976 gegründeten WeZu-Verlag an die 35 eigene Publikationen, 2014 dann erfolgte die Auflösung.

Eng beteiligt war Wolfgang auch an der Zeitschrift Graswurzelrevolution (GWR), verpflichtet dem pazifistischen, antimilitaristischen, gewaltlosen Anarchismus. Verpflichtet auch dem Geist Tolstois und Gandhis und dessen Ahimsa-Lehre. Anhänger vegetarischer Ernährungsweise. Wolfgang ist in der Uckermark in bäuerlicher Umgebung aufgewachsen. Als Kind und Jugendlicher hatte er sein überwiegendes Aufwachsen in der Zeit des Nationalsozialismus erleben müssen. Und wurde dennoch davon weder nachhaltig begeistert noch fanatisiert noch in dessen Sinn bleibend geprägt.

Man kann und darf in einer Erinnerung an Wolfgang aber nicht nur von ihm sprechen. Es ist auch eine Würdigung seiner hinterbliebenen Partnerin, Lebensgefährtin, Mitstreiterin, Helga Weber (*1935). Die beiden hatten - positiv gesprochen - so etwas wie eine einander ergänzende Symbiose-Beziehung, politisch gleichklingend wie auch eigenständig nuanciert. Das macht den Verlust des anderen doppelt schwer.

Der vertraute dialogische Widerpart fehlt plötzlich. Sie traten nicht als "Einheit" auf, waren je individuell beteiligt und ansprechbar, was ihre "Dualität" für viele so wertvoll machte.

Ihre "Kongenialität" realisierte sich auch in so praktischen Dingen wie Gartenarbeit, Obst- und Gemüseanbau, Blumenpflege, Kompostanlage, Imkerei. So eine Art von naturverbundenem "Stoffwechsel" bringt außer Achtung für Natur und Kreatur auch Ausgleich, Ruhe und Geduld ins revolutionäre Gemüt. Im Einklang mit einer eigenen, wenn auch bescheidenen vorstädtischen Scholle. Es war übers Jahr zu sehen und erleben, wie aus der Saat etwas wächst und reift.

Man mochte sich die beiden gar nicht anders als so denken und vorstellen. Und für viele Besuchende war dieser graswurzelnde Weber-Zucht-Garten neben dem ebenerdigen Verlagsbüro gelegen ein Refugium, Erholung. So manches Zeitungstreffen fand dort bei schönem Wetter im Freien statt. Im großen Haus am Steinbruchweg konnten bis zu zehn Personen bequem übernachten. Wolfgangs und Helgas netzwerkende Gastfreundschaft war sprichwörtlich.

Wolfgang und Helga haben beide über viele Jahre mit Abstand den besten, klügsten Büchertisch zu gewaltfrei-anarchistischer-alternativer Literatur gemacht. Das mehr als praktisch eingelöste Anliegen war "Bücher der Befreiung als Handwerkszeug gegen Unrecht und Gewalt" zur Verfügung zu stellen. Immer mit kleinen, liebevollen wie auffallenden Akzenten und Accessoires ausgestattet, vermutlich überwiegend Helgas Handschrift, die ihre andere eigene Art des Humors in diese Lebenssymbiose einbrachte. Wenn man was aus älterer Zeit gesucht hat, in Wolfgangs umsichtiger, zuletzt 32 Seiten umfassender, eng bedruckter Vertriebsliste war es meist zu finden (noch immer im Internet wenigstens abrufbar), über Weber-Zuchts Zündbuchversand (ehemals Weber, Zucht & Co.) noch aufzutreiben, oder sogar sorgsam aufbewahrt noch am Lager. Ein praktisches Kleinod. Unverzichtbar, von manchen vielleicht erst richtig registriert, seit es nicht mehr existiert.

In einer politischen Aufbruchszeit der gewaltfreien Bewegung, als dies sehr wichtig und notwendig war, haben Wolfgang und Helga den Informationsdienst für gewaltfreie OrganisatorInnen übernommen, herausgegeben und vertrieben. Viele, auch ich, haben daraus über Jahre wertvolle Nachrichten und Anregungen bezogen, sich gewaltfrei weiter gebildet, am Netzwerk teilgehabt. Nicht extra zu erwähnen braucht es Wolfgangs und beider zuverlässiges Wirken in verschiedenen Lebensader-Funktionen (u. a. der Finanzen) der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen. Wolfgang und Helga haben nicht nur über gewaltfreies Organisieren berichtet, sie waren über viele Jahre selbst diese Organisatoren, stützendes Rückgrat. Den Neustart 1988 zu einem anderen Gesicht und Konzept der Zeitschrift Graswurzelrevolution, die "Thesen zu Staatlichkeit und Anarchie heute", haben beide begrüßt, aktiv mitgetragen und begleitet.

Ohne Wolfgangs und Helgas koordinierende Herausgeberschaft, Zu- und Mitarbeit, wären die von Redaktionen und AutorInnen erarbeiteten Jahrbücher für gewaltfreie und libertäre Aktion, Politik und Kultur wie auch die langjährig erschienenen Graswurzelkalender nicht denkbar gewesen.

Und natürlich gibt es auch die Zeit davor, als ich Wolfgang und Helga in den 80er Jahren bei Treffen der GA-Föderation und dann im GWR-HerausgeberInnenkreis näher kennen lernte, als Wolfgang und Helga einige Jahre lang für die WRI-Koordination in London tätig waren und auch dort lebten. Viele internationale FreundInnen und Kontakte haben sie dadurch gewonnen und geknüpft. Darüber mögen andere besser schreiben und erzählen können. Und nicht vergessen seien unsere gemeinsamen Tage beim Auftakt-Festival im Sommer 1993 in Magdeburg.

In Lateinamerika gibt es einen schönen Brauch, von einem verstorbenen Menschen stets in Respekt und Gedenken so zu reden, als sei er noch unter uns, und so möchte ich diese kurze erinnernde Betrachtung schließen mit den Worten "Wolfgang, presente!"

Elmar Klink, Bremen, 25.9.2015

Quelle: Graswurzelrevolution Nr. 402, Oktober 2015, www.graswurzel.net/402/wolfgang.php








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