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Lutz Schulenburg - Gedenkseite

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Der Verleger Lutz Schulenburg (1953-2013) auf der Frankfurter Buchmesse 2011. Foto von Ute Schendel.

Lutz Schulenburg ist tot

Am 1. Mai 2013 ist Lutz Schulenburg (geb. 21. April 1953), der Verleger der Edition Nautilus, im Alter von 60 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Die Autorinnen und Autoren des DadAWeb sowie des Lexikons der Anarchie trauern um einen Verleger, der sich mit seiner Arbeit große Verdienste um die libertäre Publizistik im deutschen Sprachraum erworben hat.

Wer seine Erinnerungen an Lutz Schulenburg mit uns teilen möchte, kann sie auf der Diskussions-Seite veröffentlichen. Wir übernehmen dann die Texte hier auf die Lutz-Schulenburg-Gedenkseite.

Falls jemand Probleme mit dem Schreiben auf der Diskussions-Seite haben sollte, der kann uns seinen Text und gerne auch Fotos zur Veröffentlichung auf der Gedenkseite per E-Mail schicken an: redaktion@dadaweb.de.

Jochen Schmück
Redaktion DadAWeb.de



Edition Nautilus trauert um Verleger Lutz Schulenburg

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freundinnen und Freunde der Edition Nautilus,

heute haben wir die traurige Nachricht zu überbringen, dass unser Verleger Lutz Schulenburg gestern, am 1. Mai 2013, nach kurzer schwerer Krankheit verstorben ist. Seit nahezu vierzig Jahren war Lutz Schulenburg als Verleger der Edition Nautilus eine feste, wenn auch subversive Größe in der Verlagswelt. Er wird fehlen.

Am 21. April 1953 in der Hamburger Vorstadt Bergedorf als zweites von drei Kindern geboren und in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, war er bereits mit 14 Jahren aktiv in der örtlichen sozialistischen Schüler- und APO-Gruppe. Die Schule brach er ab, ebenso eine Lehre als Dekorateur – doch seit der Lehrzeit ist er aktiv in der anarchistischen Bewegung, was ihm sogar einen Ausschluss aus der Gewerkschaft eintrug und ihn in der nach-68er-Zeit mit Pierre Gallissaires zusammenbrachte, mit dem er 1971 die anarchistische Theorie-Zeitschrift MAD (später umbenannt in Revolte!) gründete. Es folgte eine zweite, inoffizielle Lehrzeit, diesmal in Sachen Verlagsbuchhandel, beim Spartacus Buchvertrieb im Keller unter dem Abaton-Kino in Hamburg. 1972 begann das Trio Schulenburg, Gallissaires und Hanna Mittelstädt mit der Buchproduktion, am 1. April 1974 wurde ein Gewerbeschein beantragt für den MAD-Verlag, der 1976 aus juristischen Gründen in Edition Nautilus umbenannt wurde. Als Verleger bewies er immer wieder das richtige Gespür für Perlen im Büchermeer.

Traurig grüßt die Crew der Edition Nautilus

Hamburg, am 2. Mai 2013
Katharina Thiel
Presse und Öffentlichkeitsarbeit


Lutz Schulenburg - Ein Nachruf von Bernd Drücke

Der Hamburger Verleger und Anarchist Lutz Schulenburg ist am 1. Mai 2013 in der Reha gestorben, zehn Tage nach seinem 60. Geburtstag und sechs Wochen nachdem er während der Leipziger Buchmesse eine Hirnblutung erlitten hat. Die Nachricht von seinem Tod hat mich wie ein Blitz getroffen und traurig gemacht.


Lutz Schulenburg (geboren am 21. April 1953 - gestorben am 1. Mai 2013)

Lutz Schulenburg, Frankfurter Buchmesse, Oktober 2004. Foto: Bernd Drücke

Lutz war eine herausragende Persönlichkeit des Anarchismus in Deutschland.

Er wuchs als Arbeiterkind in Hamburg-Bergedorf auf. Als Jugendlicher brach er die Schule ab, ging auf Trebe, radikalisierte sich in der 68er-Bewegung und schloss sich als 15-Jähriger einer Anarchozelle in Hamburg an. Kurz darauf kam Hanna Mittelstädt dazu. Zwischen den beiden entwickelte sich eine große Liebe, die schließlich das ganze Leben hielt.

Diese Liebe gab Lutz Kraft und war mitverantwortlich für seine beeindruckende Produktivität. Bis heute haben die zahlreichen, von ihm verantworteten Publikationen nicht nur die kleine Minderheit der AnarchistInnen im deutschsprachigen Raum inspiriert. Ähnlich wie bei den anarchistischen Verleger-Liebespaaren Helga Weber und Wolfgang Zucht vom gewaltfrei-anarchistischen Verlag „Weber, Zucht und Co.“ und bei Bernd und Karin Kramer vom Berliner Karin Kramer Verlag , entstand aus der Liebesbeziehung des Hamburger Paares eine Vielzahl liebevoll gemachter und mitreißender Werke.

„Es fing sehr lustig an. Wir hatten Sehnsüchte und Fragen. Die mussten wir beantworten. Dazu, dachten wir, helfen uns auch bestimmte, ausgewählte internationale Texte, die wir verbreiten wollten. Wir hatten auch eigene Texte, wir wollten eingreifen. So hat alles angefangen. Eigentlich in gewisser Weise als Selbsthilfeprojekt. Da wir als Libertäre immer eine extreme Minderheitenposition innerhalb der Linken vertreten haben, war das nicht einfach“, so Lutz in einem Interview, das ich mit ihm und Hanna 2004 in Leipzig geführt habe.1

Ich gehöre zu den glücklichen Menschen, die alle Ausgaben der von Lutz herausgegebenen Anarchozeitungen gelesen haben. Anfang der 1990er Jahre hat er mir alle mir noch fehlenden Ausgaben von MAD, Revolte und Die Aktion in zwei Riesenpaketen geschickt, so dass ich sie im Rahmen meiner Dissertation über „Libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland“ analysieren konnte.2

Ab September 1971 hat Lutz die anarchistische MAD zunächst mit dem Untertitel „Materialien, Analysen, Dokumente“ herausgebracht, bis 1973 die gleichnamige MAD gerichtlich gegen MAD vorging.

Lutz: „Man konnte das natürlich auch als ‚Määd‘ aussprechen, also wie die satirische Zeitschrift. Es war ein sachlicher Titel und hatte Untertitel wie ‚Anarchistische Hefte‘. Mit diesem Zeitungsprojekt haben wir angefangen, und daraus hat sich dann der Verlag entwickelt. Eines Tages haben wir das verbotene Bommi-Baumann-Buch ‚Wie alles anfing‘ neu herausgegeben, gemeinsam mit 150 Verlagen, Buchhandlungen und namhaften Persönlichkeiten. Damals hat Otto Schily das noch verteidigt. Wir hatten mit unterschrieben. Dann hatte wahrscheinlich ein Geschäftspartner dieser ‚lustigen Zeitschrift‘ gesagt: ‚Ihr seid auch dafür, dass das Buch von Bommi Baumann wieder erscheint?‘ Dann sagten die: ‚Nein, nein, nein!‘ Die haben sofort eine einstweilige Verfügung gegen uns erwirkt, wegen Namensgleichheit und pipapo.“

Daraufhin ging der MAD-Verlag 1974 endgültig in der Edition Nautilus auf. Die Zeitschrift MAD wurde bereits 1973 in Revolte umbenannt.

1981 gründete Lutz Die Aktion als bis zuletzt unregelmäßig erscheinende „Zeitschrift für Politik, Literatur, Kunst“.

Lutz: „Wir sind mit den Produktionsmitteln gewachsen, mussten sie uns erobern. Das erste Heft der MAD, da war nur der Umschlag Offset, das andere haben wir noch abgenudelt. Wir haben also alle diese Stadien der Aneignung der Produktionsmittel und der Fähigkeiten durchgemacht, bis hin zur Umstellung auf Computer. Insofern sind wir mit den Mitteln gewachsen. Vieles hat sich dadurch verquickt. Deswegen sind wir leidenschaftliche Anhänger der Selbstorganisation. (...) Die erste Broschüre in der Reihe ‚Flugschriften‘ war eine Sammlung über den Betriebskampf mit vielen Stimmen aus Frankreich, England ... Das war eine Zusammenstellung, mit internationalem Blick, weil der Schwerpunkt der autonomen und radikalen Klassenkämpfe nicht in Deutschland lag. Sie hieß ‚Dranbleiben, einmal klappt’s bestimmt‘. Das sollte auch ein Beispiel dafür sein, welche Formen auf einer internationalen Ebene schon von der Klasse eingesetzt werden. Und das stand konfrontativ zu den Leuten, die sich heute in Regierung oder sonst wo rumtummeln, die doch eine andere Meinung hatten, wie der Arbeiterkampf, der Kampf der Jugend, oder anderer sozialer Schichten zu führen wären. Deswegen waren wir zwar nach allen Seiten hin offen, aber eingekesselt. Diesen Kessel Buntes gab es immer schon. (…) Da waren die Libertären immer ein störender Faktor. Im Rückblick muss man sagen, dass wir leider nicht fähig waren, eine dauerhafte Vermittlung unserer Vorstellungen zu organisieren. Wir dachten alle mehr oder weniger, es geht nur voran. Dass es auch zurück geht, hatten wir im Überschwang unserer Leidenschaften nicht beachtet. Es sind dann viele gegangen, und das hatte auch viel damit zu tun, dass die Erwartung vom stetigen Vorwärts stark verbreitet war. Da haben wir, als MAD-Kollektiv, einen vorsichtigeren, mittleren Kurs gefahren: Theorie ist wichtig, das Denken, das Wissen, die Erfahrungen müssen bewahrt und eingebracht werden.“

Mit Zeitschriften und Büchern wollte Lutz die Welt verändern. Und das ist ihm geglückt. Dabei war er erfrischend undogmatisch und verlegte keineswegs nur libertär-sozialistische Agitprop-Bücher.

Die eher „unpolitischen“ Nautilus-Bestseller „Tannöd“ und „Kalteis“ erreichten 2006 und 2007 Millionenauflagen und ermöglichten es der Edition Nautilus, ein eigenes, wunderschönes Verlagshaus in Hamburg zu kaufen. Dass diese beiden Krimis vom Fernseh- und Zeitungs-Feuilleton so gefeiert wurden, ist vielleicht eher Zufall. Meines Erachtens sind die Bücher von Andrea Maria Schenkel keineswegs die interessantesten aus dem Hause Edition Nautilus. Aber wie der 1985 erstmals erschienene Nautilus-Bestseller „Dinner for one“ haben sie geholfen die Existenz des Verlags zu sichern und andere Bücher gegenzufinanzieren.

Für mich gibt es wichtigere Nautilus-Bücher, auch wenn sie sich weit schlechter verkaufen. Um nur einige zu nennen: der Durruti-Wälzer von Abel Paz, Emma Goldmans „Gelebtes Leben“, Louis Mercier Vegas Erzählung „Reisende ohne Namen“ und David Graebers Standardwerk „Direkte Aktion“.

Glücklich bin ich, dass ich meinen Freund Horst Stowasser dazu bewegen konnte, sein lange vergriffenes „Freiheit pur“ zu aktualisieren, es zu ergänzen und dann als 500-Seiten-Wälzer 2006 in der Edition Nautilus zu veröffentlichen. „Anarchie“ ist nicht nur für mich eine der wichtigsten Schriften des 21. Jahrhunderts.

Zu den herausragenden Büchern der Edition Nautilus gehört auch „Das Leben ändern, die Welt verändern!“ Diese 480-seitige Sammlung von Dokumenten und Berichten zur 1968er-Revolte hat Lutz persönlich zusammengestellt und herausgegeben. Auf Einladung unserer „Bankrott“-Infoladengruppe hat er dieses Werk 1998 ebenso in der Baracke Münster vorgestellt wie die ebenfalls bei Nautilus erschienenen zapatistischen „Botschaften aus dem lakandonischen Urwald“ von Subcomandante Marcos.

Wenn ich in Hamburg auf Einladung von GenossInnen Vorträge gehalten habe oder auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt war, dann traf ich dort immer auch Lutz. Und das war eine besondere Freude. Denn viel öfter, als wir uns gesehen haben, haben wir telefoniert, in der Regel alle zwei, drei Wochen, seitdem ich im November 1998 meine Stelle als Koordinationsredakteur der Graswurzelrevolution angetreten habe.


„Was suchst du Ruhe, wenn du zur Unruhe geboren bist.“ (Thomas von Kempen, 1379-1471)

Lutz war ein begnadeter Verleger. Wenn er der Meinung war, dass Nautilus-Bücher in der GWR besprochen werden sollten, dann rief er mich an und brauchte nur wenige Sekunden, bis er mich so weit hatte, eine Besprechung für die GWR zu organisieren oder persönlich eine zu schreiben.

Letzteres war mit einem gewissen Risiko behaftet. Im Oktober 2001 hatte ich in den Libertären Buchseiten der GWR 262 das Nautilus-Buch „Die libertäre Revolution“ von Heleno Sana zerrissen. Das schmierte mir Lutz jahrelang bei jeder Gelegenheit aufs Butterbrot. Der Ärger über eine einzelne, kritische Rezension konnte ihn fast schon mehr wurmen, als ihn die unzähligen positiven Rezensionen von Nautilus-Büchern in der Graswurzelrevolution begeistern konnten.

Lutz war ein warmherziger und neugieriger Mensch mit Sinn für Ironie, Selbstironie und schwarz-roten Humor. Aber eben auch ein hanseatischer Sturkopf, ein Ruheloser, ein Getriebener. Unsere oft langen Telefongespräche vermisse ich. Sie waren in der Regel ein anregender Spaß, den wir uns immer wieder gerne gönnten.

Das anarchistische Prinzip der Gegenseitigen Hilfe war für Lutz keine Phrase. Er lebte und handelte solidarisch und verlor das Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft nie aus den Augen. Lutz war ein Visionär. Als ich ihm sagte, dass die Graswurzelrevolution nach der Pleite der CARO-Druckerei am 1. Januar und dem Tod von Sigrid Brodrecht (GWR-Vertrieb) 5 am 10. Februar 2013 in eine finanzielle Krise zu rutschen droht, sagte er mir nicht nur zu, dass Nautilus fortan mehr Anzeigen in der GWR schalten wird.

Ihn hat immer gewurmt, dass seine Aktion trotz Vierfarbdruck, schöner Aufmachung und spannenden Inhalten nie die 1000er-Auflagen-Hürde übersprungen hat. Was liegt also näher, als „sein Kind“ der vergleichsweise auflagenstarken Graswurzelrevolution beizulegen? Anfang 2013 vereinbarten wir, dass Die Aktion ab der nächsten Ausgabe als bezahlte Beilage in der GWR liegen sollte.

Zur Verwirklichung dieses Vorhabens kam es dann aber nicht mehr, weil Lutz nach seiner Hirnblutung keine Aktion mehr machen konnte.


Das Grab von Lutz Schulenburg auf dem Hamburger Friedhof Diebsteich.

Lutz’ Beerdigung

Am 17. Mai 2013 wurde Lutz auf dem Friedhof in Hamburg-Diebstreich beerdigt. Es war eine bewegende Trauerfeier, die von Hanna und Lutz‘ Hamburger FreundInnen und GenossInnen organisiert wurde. Etwa 200 Menschen verabschiedeten sich von einem Lebensgefährten, Bruder, Freund, Verleger, Anarchisten und Perlentaucher.

Vielleicht hätte das große Holzkreuz im Trauersaal mit einer schwarz-roten Fahne verdeckt werden sollen? Andererseits hätte Lutz sich wahrscheinlich in einem Anflug von Sarkasmus über den Anblick des langjährigen Weggefährten Karl Heinz Roth amüsiert, der als Trauerredner vor dem Holzkreuz wirkte wie ein syndikalistischer Pfarrer.

Lutz hätte sicher große Freude an dieser würdevollen Trauerfeier gehabt, die bei schönem Wetter ihren Ausklang mit einer Zusammenkunft im Verlag hatte. Hier kamen sich auch viele FreundInnen und GenossInnen von Lutz nahe, die sich bisher nur vom Sehen oder Hörensagen kannten. Lutz verbindet über den Tod hinaus. Sein schwarz-roter Faden wird aufgenommen und auch nach seinem Tod wird weiter an der Idee eines libertären Sozialismus gestrickt.

Als Hanna, Lutz und ich am 7. September 2009 nach der Beerdigung von Horst Stowasser gemeinsam die Rückreise von Neustadt antraten, habe ich den beiden auch von Martin S. erzählt. Wir waren uns einig, dass es wichtig ist, eine libertäre Trauerkultur, wie sie bei der bewegenden Beerdigung von Horst vorgelebt wurde, weiter zu etablieren.

Die Beerdigung von Lutz war ganz in diesem Sinne.

Die von Cornelia Schramm im Rahmen der Trauerfeier für Lutz vorgelesenen Auszüge aus Beileidsbriefen und die ergreifenden Trauerreden, die am Sarg unter anderem von Lutz’ Arzt Hans Schulz, von den DadaistInnen Michael Erlhoff und Uta Brandes, vom Deutschlandfunk-Redakteur Hajo Steinert und den anarchistischen Weggefährten KP Flügel und Robert Brack gehalten wurden, sollen zum großen Teil in der nächsten Ausgabe der Aktion erscheinen. Und die wird im September voraussichtlich der GWR 381 beigelegt. Deshalb werde ich darauf hier nicht näher eingehen.


Nur soviel:

Am meisten geheult habe ich bei der ergreifenden Rede von Corinna Sievers. Als sie erzählte, hatte ich den Eindruck, Lutz, dieser große Menschenfreund, stehe mitten im Saal:

„Zwei Menschen, die verschiedener nicht sein können, Lutz Schulenburg und ich. Er: Anarchist, Atheist, glühender Verehrer des Surrealismus. Ich: bürgerliche Katholikin im Herzen, Verehrerin des Barock. Und doch hat er mich mit offenen Armen in seinem Verlag aufgenommen.“

Corinna Sievers, die Kieferorthopädin, die seit 2011 Nautilus-Autorin ist, erzählte anrührend, wie sie Lutz kennen gelernt hat: „Es war wie immer, Autorin schickt unverlangt Manuskript an Verlag. Wochenlang nichts. Dann eine Mail. Man wünscht mich in Hamburg zu sehen. Ja natürlich, ich komme. Ob wir zusammen zu Abend essen werden, schreibt der Verleger. Noch sind wir uns nicht begegnet. ‚Mit Vergnügen‘, antworte ich, ‚ich wohne im Hotel ‚Vier Jahreszeiten‘“.

Dort gebe es dieses köstliche Essen „Vier Jahreszeiten-Ente vom Grill“. Für Freitagabend könne sie dort einen Tisch reservieren. Hannas Antwort habe einen ganzen Tag benötigt:

„Sie habe den Verleger gefragt. Wenn es denn unbedingt sein müsse, esse Lutz auch ‚Ente vom Grill‘. Es müsse aber nicht unbedingt sein. ‚Wir essen lieber zu Hause Eintopf in unserem Wohnzimmer, der auch Verlag ist. Jedenfalls finde ich nichts persönlicher.‘“

Warum sie das Manuskript ausgerechnet ihm geschickt habe, habe Lutz sie gefragt. Darauf habe sie geantwortet, dass sie gerne in einem Verlag mit Jochen Schimmang und Anna Rheinsberg sein möchte. „Aha.“ Wie politisch dieser Mensch sei, habe sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gewusst.

„Ich weiß gar nicht, wie viele von den Anwesenden das Glück hatten, von Lutz auf die Wange geküsst zu werden.“ Sie jedenfalls habe dieses Glück gehabt. „Es waren die nassesten Wangenküsse und die längsten: 180 Sekunden. Ich habe Hanna davon erzählt. Sie sagte, sie wisse das. ‚Ich habe Lutz tausendmal gesagt, er soll sich die Lippen abtrocknen.‘ Lieber Lutz, ich bin sehr froh, dass Du mich geküsst hast. Und ich würde alles dafür geben, noch einmal von Dir geküsst zu werden.“

Lieber Lutz, wir vermissen Dich und werden Dich nicht vergessen.

Bernd Drücke

Quelle: Graswurzelrevolution, Nr. 380, Sommer 2013, www.graswurzel.net


Anmerkungen

1) Subversive Kopffüßler? Ein Interview mit Hanna Mittelstädt und Lutz Schulenburg zum dreißigsten Geburtstag der Edition Nautilus, in: B. Drücke (Hg.), ja! Anarchismus, a.a.O., Kurzfassung auf: www.graswurzel.net/292/nautilus.shtml

2) Zur Geschichte u.a. von MAD, Revolte und Die Aktion siehe: B. Drücke, Zwischen Schreibtisch und Straßenschlacht? Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland, Verlag Klemm & Oelschläger, Ulm 1998

3) Siehe: Trauerrede für Sigi. Sigrid Brodrecht (geb. am 17.12.1941; gest. am 10.2.2013), in: GWR 378, April 2013, S. 2


Erinnerungen an Lutz Schulenburg von Stephan Krall

Erst 2009 mein Freund Horst Stowasser, auf dessen Beerdigung Lutz noch sehr schön gesprochen hat, dann 2010 mein enger Freund Günther Freitag, Nachkriegsanarcho der ersten Stunde, im letzten Jahr, 2012, dann meine eigene Frau Conny und jetzt, 2013, Lutz Schulenburg. Es kann einem Angst und Bange werden, und man kommt von einer Trauer in die nächste.

Lutz war einer der ersten Anarchos, die ich kennen gelernt habe. Ich bin ab meinem 10. Lebensjahr ebenfalls in Hamburg-Bergedorf aufgewachsen. Über meinen Bruder, der fast sechs Jahre älter ist, bin ich früh mit der APO in Bergedorf in Berührung gekommen, vielleicht so um 1969 oder 1970, und war dann auch in Bergedorf bei der APO-Schülerorganisation AUSS (Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Sozialistischer Schüler), bei der auch Lutz aktiv war, kann mich aber nicht erinnern, ihn dort schon getroffen zu haben. Ist aber auch lange her, und es gab verschiedene Arbeitskreise. Irgendwann um 1971 bin ich dann in der APO auf die Anarchisten mit ihren schwarzen Fahnen gestoßen, und ich glaube es war Günther Meyer, ein Schulkamerad, der mich mit Lutz bekannt gemacht hat. Da ich mich für das Thema Freie Liebe interessierte, was für einen 17jährigen nicht unbedingt ungewöhnlich ist, machte mich Lutz auf Nane Jürgensen aufmerksam, der in der Nähe von Hamburg lebte, und der ein glühender Wilhelm Reich Anhänger war. Wir gaben dann jahrelang eine Wilhelm-Reich-Zeitung (Sex-Pol-Info) heraus, und ich zog mit Nane Ende 1973 in eine WG in Harburg, und konzentrierte meine Anarcho-Aktivitäten auf andere Gruppen in anderen Stadtteilen. Dadurch hatte ich dann kaum noch Kontakt mit Lutz, der meines Wissens auch nicht in der Anarcho-Gruppe in Bergedorf aktiv war, bei der ich vorher kurz mitmachte.

Ich habe es immer bewundert, mit welcher Leidenschaft Lutz seine Zeitungen, aber auch den Verlag betrieben hat, und ihn als unabhängigen Geist sehr geschätzt. Vor ein paar Jahren habe ich ihn noch mal auf der Buchmesse in Frankfurt getroffen, und eben 2009 auf der Beerdigung von Horst Stowasser. Lutz, es ist so traurig, dass Du diese Welt schon so früh verlassen musstest!

Stephan Krall


Gisela & Bernd: Nachruf ist ja irgendwie nicht das richtige Wort ...

... Worte zum Gedenken an Lutz paßt da schon eher

Als wir 1973 den Laubfroschvertrieb für freiheitliche Literatur in Karlsruhe aufgebaut haben, machten wir natürlich auch Büchertisch an der Uni, auf Flohmärkten und bei Veranstaltungen. Neben den kleinen, rechteckigen und längsformatigen Broschüren aus dem ppz-Verlag / Berlin, natürlich Kramers exzellenten Büchern und den diversen volkspreisheften aus verschiedenen Verlagen sowie die allseits beliebten Zeitungen aus der Scene Agit, 883, Fizz, gab es noch diese merkwürdige Zeitschrift "Materialien-Analysen-Dokumente", kurz: MAD.

Die Zeitschrift MAD kannten wir ja schon als relativ lustiges, kritisches und satirisches Magazin - was hatte das miteinander zu tun?

Weil Materialien-Analysen-Dokumente inhaltlich gut war, hatten wir sie natürlich auf unserem Büchertisch, später, als viel besser passend mit dem Namen "Revolte!" Kampforgan der situationistischen Internationale wie wir sie nannten. Das ein gewisser Cohn-Bendit auch da mitgemischt hatte, machte das Ganze für uns ("Reine" Anarchistinnen und Anarchisten) etwas suspekt. War aber immer gut als Anreiz für inhaltliche leider sehr theoretische Diskussionen.

Um Lutz nochmals Danke zu sagen ist es nun zu spät,
also dann an Hanna in Gedenken an Lutz.

Gisela und Bernd, Elmstein


Wolfram Beyer: Lutz Schulenburg - 1983 im Libertären Forum Berlin

Wir gedenken anlässlich des Todes von Lutz Schulenburg an die gemeinsamen Aktivitäten Anfang der 1980er Jahre. Im Rahmen des >>Libertären Forums<< in West-Berlin wollten die beteiligten Gruppen, die Internationale der Kriegsdienstgegner/innen (IDK), Zeitschrift Graswurzelrevolution (GWR), FAU (Freie Arbeiter/innen Union) und einzelne Individuen „die Einkreisung anarchistischer Phänomäe durch neue Akzentuierung“ vorantreiben. Lutz Schulenburg war am 30.10.1983 ein Gastredner im Nachbarschaftsheim Berlin-Schöneberg mit dem Thema: „Zu einer möglichen Begriffsbestimmung des Situationismus im Rahmen der Vorstellung seiner Zeitschrift Die Aktion“. Lutz referierte seine Arbeit als Herausgeber des Buches über Marius van der Lubbe und den Reichstagsbrand. Interessant waren die historischen Fakten und Phänomene, die unterdrückt oder verfälscht, verstümmelt oder totgeschwiegen wurden. Sein Vortrag reflektierte die Möglichkeit, eine Antigeschichte zu konzipieren, die auch durch rätekommunistische oder situationistische Impulse getragen werden können. Seine Verlagsarbeit war uns wichtig.

Wolfram Beyer (für die IDK e.V.)


Erinnerungen an Lutz Schulenburg von Jörg Auberg

Die Nachricht vom Tod Lutz Schulenburgs traf mich wie ein Schlag, und die Benommenheit wirkt noch nach. Ende der 1980er Jahre, als Student in (West-) Berlin, hatte ich einen Artikel über "intellektuelle Metamorphosen" an die Hamburger Zeitschrift Die Aktion geschickt. Deren Herausgeber, Lutz Schulenburg, ermunterte mich, einen Beitrag über die Wandlungen Hans Magnus Enzensbergers zu schreiben. Kurze Zeit später fiel die Grenze zwischen West und Ost. Die Euphorie über das Ende der DDR konnte ich nicht teilen, denn schon zu Beginn des Jahres 1990 machten sich in Berlin nationalistische und reaktionäre Tendenzen bemerkbar. Lutz war jedoch von einem radikalen Optimismus beseelt, als käme nun unter den Trümmern des "real existierenden Sozialismus" der "wahre Sozialismus" zum Vorschein. Im Januar 1990 brachte er in einer Ausgabe der Aktion unter dem Balken "Sozialismus, Räte, Volkssouveränität" Dokumente der "Vereinigten Linken" heraus, ehe schließlich nahezu alle zu den Agenturen der kapitalistischen Herrschaft überliefen. Im "Kleinen Briefkasten" (Editorial) hieß es: "[...] am Traum von der Roten Republik halten wir fest, Ehrensache; wie auch an der Feindschaft gegen Schwarz-Rot-Gold - den Farben des Betrugs".

Danach verloren wir uns aus den Augen. Später - zwanzig Jahre waren ins Land gezogen - veröffentlichte er wieder einen kurzen Artikel von mir in der Aktion, und wir verabredeten, dass ich einen Artikel über John Dos Passos für seine Zeitschrift schreiben sollte, der jedoch über die ersten Seiten nicht hinauskam. Zum letzten Mal sah ich die auffällige Gestalt mit den langen weißen Haaren am Stand der Edition Nautilus auf der Frankfurter Buchmesse im letzten Jahr, ohne zu wissen, dass es das letzte Mal sein würde. Es ist sehr traurig.

Jörg Auberg


Erinnerungen an Lutz Schulenburg von Uwe Timm

In den siebziger Jahren lernte ich Lutz Schulenburg und seine Partnerin Hanna Mittelstädt in ihrer bescheidenen Wohnung in Hamburg- Bergedorf kennen. Sie lebten da inmitten von Büchern und ihr Traum war es ganz sicher in einem eigenen Verlag die Bücher zu verlegen, mit denen sie sich inhaltlich auch identifizieren konnten. Das ist ihnen auch gelungen und Lutz Schulenburg hat sich hier Verdienste erworben, die bleiben werden und wir dürfen wohl davon ausgehen, Hanna Mittelstädt wird den Nautilus Verlag in seinem Sinne weiterführen.

Engagiert war ich damals in der Mackay Gesellschaft, so hatten wir noch einige Begegnungen, auch lernte ich durch Lutz Schulenburg Pierre Gallisaires kennen, aber wir vertraten auch unterschiedliche Positionen und verloren uns aus den Augen. Verlagliche Aktivitäten von Lutz Schulenburg verfolgte ich jedoch mit einem bleibenden Interesse, doch um es bildlich auszudrücken, Linke verurteilen per se den Grünen Zweig, doch sobald der Grüne Zweig kein Privileg mehr bedeutet, bietet er eine Alternative mit Freiheit und Wohlstand für alle.

Da wir wussten, dass die Existenz von Lutz Schulenburg und seiner Partnerin Hanna Mittelstädt ganz gewiss kein Honigschlecken war, freute mich sehr ihr Erfolg mit einen historischen Roman "Tannöd" von Andrea Maria Schenkes, denn dieser Erfolg spülte Geld in die Kasse und so kamen Lutz und Hanna doch noch einmal in ihrem Leben auf einen kleinen grünen Zweig.

Und eines sei auch nicht verschwiegen, in jenen Jahren lernte ich nicht wenige Studentinnen und Studenten kennen, die sich verschworen die Welt zu verändern, aber sobald Ausbildung und Studium in trockene Tücher waren, verschwanden sie in der Regel ziemlich schnell von der Bildfläche.

Lutz Schulenburg entschloss sich in jungen Jahren sein Leben anarchistisch zu leben, ohne sich von Widrigkeiten davon abbringen zu lassen.

Als ich die Bücherstapel in seiner Wohnung sah, vielleicht etwas kritisch dreinschaute, wie das wohl gehen sollte, meinte er: Das wird schon!

So war er auch ein Opimist in allen Lebenslagen!

Bye-bye, Lutz

Uwe Timm


Weblinks

  • Subversive Kopffüßler? Ein Interview mit Hanna Mittelstädt und Lutz Schulenburg zum dreißigsten Geburtstag der Edition Nautilus (GWR, 2004)

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