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Goodman, Paul

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Lexikon der Anarchie: Personen


Plakat zur Paul-Goodman-Tagung, Wien 11. - 13.11.2011

Äußere Daten

Paul Goodman, geb. 9. September 1911 in New York, gest. 2. August 1972 in New York.

Goodman wuchs, von den Eltern vernachlässigt, unter der Sorge seiner älteren Geschwister Percival und Alice als Straßenkind in New York auf. Schnell lernte er, sich selbst zu versorgen. Dabei war er auch sehr früh stark an geistiger Beschäftigung interessiert. Er erzählte, im Alter von 12 Jahren Sigmund Freud gelesen und seine Theorie (!) als Onaniervorlage benutzt zu haben. In der Schule lernte er Französisch und Latein. Während des Studiums eignete er sich autodidaktisch Griechisch und Deutsch an, um seine intellektuellen Helden Aristoteles, Kant und Kafka im Original lesen zu können.

Goodman studierte zunächst in New York und wechselte dann nach Chicago „ins Exil", wie er es bezeichnete. In Chicago wurde er Schüler des Aristotelikers Richard McKean, einem führenden Vertreter der „Chicago School of Critics". Diese Schule verficht, sich auf Aristoteles stützend, einen literaturwissenschaftlichen Ansatz der formal-strukturellen Analyse. Goodman hörte aber auch bei den mit McKean verfeindeten Neothomisten Chicagos.

Goodmans erstes Interesse galt zwar der Poesie, aber seine „querköpfige" Verbindung von klassischer Philologie und Philosophie mit moderner Psychoanalyse, seine „anti-autoritäre" Erfahrung früher Selbständigkeit und die Weigerung, seinen homosexuellen Neigungen in Verschwiegenheit nachzugehen, brachte ihn schnell in Konflikte mit den Institutionen. Seine „natürlichen" Verbündeten wurden, nachdem er kurz bei den Trotzkisten angeklopft hatte, die Anarchisten, besonders als sie im 2. Weltkrieg die einzigen „Linken" waren, die am konsequenten Antimilitarismus festhielten.

In den 30er und 40er Jahren war Goodman als „enfant terrible" in der literarischen und politischen oppositionellen Szene bekannt. Nicht einmal der von allen Seiten bedrängte Wilhelm Reich freute sich darüber, dass Goodman ihn als einer der ganz wenigen New Yorker Intellektuellen verteidigte.

Ende der 40er Jahre engagierten die aus Deutschland via Südafrika emigrierten Psychoanalytiker Fritz und Lore Perls Goodman, ihnen bei der Formulierung ihres Buchprojekts zu helfen. Goodman nahm an und drückte der aus dieser Zusammenarbeit entstandenen Gestalttherapie seinen Stempel auf: An Aristoteles und Kant ebenso knüpfende wie an S. Freud und W. Reich sollte es eine Methode sein, die die Zuwendung zu dem Leiden des Individuums mit gesellschaftskritischen Perspektiven verbindet.

Der große Durchbruch war für Goodman die Jugend-, Studenten- und Bürgerrevolte der 60er Jahre, die er so beharrlich vorbereitet hatte. In der Anfangsphase der Revolte war er nicht nur das unumstrittene intellektuelle Haupt, sondern wurde auch zunehmend von den etablierten Kräften ernst genommen, gehört und als scharfsinniger Analytiker geschätzt. Hauptaktivitäten von Goodman waren die Unterstützung des Protests gegen den Vietnamkrieg und der Bewegung gegen die Staatsschule.

Durch den Schicksalsschlag des Todes seines Sohnes (1968) schwer getroffen und durch den Verfall der Protestbewegung in einen reformistisch-etatistischen und einen marxistisch-etatistischen Flügel tief enttäuscht, starb Goodman in dem Jahr (1972), in welchem sich als Erbe der antiautoritären Tendenzen die Bewegung der „libertarians" formierte.


Positionen

Goodman beschäftigte sich weniger „mit" dem Anarchismus, als er vielmehr als Anarchist dachte, analysierte, schrieb. Seine grundlegende These lautet: Unsere gegenwärtige Schwierigkeiten im gesellschaftlichen Leben rühren von einem Zuviel an Zentralisierung, Organisierung, Verplanung her, das wesentlich durch die staatlichen Strukturen hervorgerufen oder wenigstens verstärkt wird. In der „organized Society" bekommen einige wenige eine übergroße Bürde an Einfluss und Verantwortung, der sie durch Routine, bürokratische Absicherung und Irrsinn entledigen, während die Masse der Menschen nicht einmal mehr Einfluss auf ihre eigenen Angelegenheiten hat.

Mit dieser These widersprach Goodman der herrschenden Auffassung, dass unsere Gesellschaft durch „Individualismus" und „Eigenverantwortlichkeit" gekennzeichnet sei, die die Menschen angeblich „überforderten". Diese herrschende Auffassung ist Goodman zufolge nur eine Ideologie zur Verschleierung der wahren Probleme und zur Rechtfertigung der weiteren Zentralisation und Verstaatlichung.

In seinen Schriften versucht Goodman, die Einsicht in die zerstörerische Struktur des Zentralismus mit der Erfahrung des alltäglichen Horrors zu verbinden und gleichzeitig aufzuzeigen, wie „einfach" die Alternative sei: Mach' deine eigene Sache gut und verzichte darauf, deinen Mitmenschen vorschreiben zu wollen, was sie zu machen haben. Oder ganz konkret am Beispiel der Pädagogik: Mach' deine eigene Schule auf, in der du deine erzieherische Überzeugung ausprobieren kannst, aber enthalte dich der Pläne, wie alle Kinder unter allen Umständen unterrichtet werden sollten.

Als Psychotherapeut wusste Goodman, dass er, indem er den Ausweg als „einfach" darstellte, Schuldgefühle produzierte. Genau dies schien ihm jedoch die einzige mögliche Therapie im sozialen Zusammenhang zu sein: Den Menschen das Gefühl zu vermitteln, Schuld an den Verhältnissen zu sein. Sie sollten aufhören, sich mit den Verhältnissen zu entschuldigen, sondern anfangen, die Verhältnisse zu verändern.


Stellenwert Goodmans innerhalb der libertären Bewegung

Zusammen mit Murray Rothbard gehört Goodman zu den Begründern eines modernen Anarchismus, der auf den Ideen der Vorläufer im 19. Jahrhundert (besonders Benjamin Tucker resp. Peter Kropotkin basiert, aber sich fast ausschließlich mit den Problemen der Gegenwart befaßt. Goodman war daran interessiert, Lösungen zu finden, und benutzt dazu Gedanken aus der anarchistischen Tradition; ihm war es völlig gleichgültig, welchen Begriff des Anarchismus der gute Gedanke enthielt, oder zu welcher anarchistischen „Schulrichtung" er gehören mochte. Auf diese Weise hat Goodman die soziologische und psychologische Fundierung des Anarchismus erneuert und ausgebaut.


Literatur und Quellen

Die wichtigen Werke

  • Collected Poems(1932 - 72), New York 1972;
  • Collected Stories (vier Bände, 1932 - 1960), Santa Barbara 1978 ff;
  • Natur heilt: Psychologische Essays (1938- 1969), Köln 1989;
  • Creator Spirit, Come! The Literary Essays of Paul Goodman(1942 - 1972), New York 1977;
  • Drawing the Line: The Political Writings of Paul Goodman(1945 - 1972), New York 1977;
  • The Empire City(1942 - 1959), New York 1959;
  • Don Juan, or: The Museum of the Libido (1942), Santa Barbara 1978;
  • Kafka's Prayer, New York 1947;
  • Communitas (1947), New York 1960;
  • Parents' Day, New York 1951;
  • Gestalt Therapy, o. O. 1951 u. ö.;
  • The Structure of Literature. Chicago 1954;
  • Growing Up Absurd: Problems of Youth in the Organized Society, New York 1960;
  • Das Verhängnis der Schule (1964), Frankfurt/M. 1975;
  • People or Personnel, New York 1965;
  • New Reformation: Notes of a Neolithic Conservative, New York 1970;
  • Speaking and Language: Defence of Poetry, New York 1971;
  • Stoßgebete und anderes über mich (1972), Köln 1993.

Quellen

  • S. Blankertz: Der kritische Pragmatismus Paul Goodmans, Köln 1988;
  • Ders.: Gestaltkritik: Paul Goodmans Sozialpathologie in Therapie und Schule, Köln 1990;
  • T. Nicely: Adam and His Works; A Bibliograpy of Sourdes by and about Paul Goodman, Metuchen/London 1979;
  • P. Parisi (Hg): Artist of the Actual: Essays on Paul Goodman, Metuchen/London 1986;
  • D. Ray (Hg.): New Leiters, Vol. 42,2-3, 1976;
  • B. Vincent: Paul Goodman et la reconquête du présent, Paris 1976.


Autor: Stefan Blankertz



Quelle: Dieser Artikel erschien erstmals in: Lexikon der Anarchie: Encyclopaedia of Anarchy. Lexique de l'anarchie. - Hrsg. von Hans Jürgen Degen. - Bösdorf: Verlag Schwarzer Nachtschatten, 1993-1996 (5 Lieferungen). - Loseblattsammlung in 2 Ringbuchordnern (alph. sortiert, jeder Beitrag mit separater Paginierung). Für die vorliegende Ausgabe wurde er überarbeitet.

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