Die Epoche der Vagabunden
Die DadA-Buchempfehlung
Buchcover: | |
Autor/en: | Hrsg. von Walter Fähnders und Henning Zimpel |
Titel: | Die Epoche der Vagabunden |
Untertitel: | Texte und Bilder 1900-1945 |
Verlag: | KLARTEXT-Verlag (= Schriften des Fritz-Hüser-Instituts; 19). |
Erscheinungsort: | Essen |
Erscheinungsjahr: | 2009 |
Umfang, Aufmachung: | Originalausgabe. Broschur. 317 S., zahlr. Abb. |
ISBN: | (ISBN-13:) 978-3-89861-655-3 |
Preis: | 29,90 EUR |
Direktkauf: | bei aLibro, der DadAWeb-Autorenbuchhandlung |
Beschreibung
Der von Walter Fähnders und Henning Zimpel herausgegebene Sammelband dokumentiert im O-Ton die Kultur der Vagabunden in Deutschland. Die von den Herausgebern für das Buch zusammengetragenen Aufrufe, Manifeste, Gedichte, Erzählungen, Reportagen, Reiseskizzen, Bilder und Zeichnungen machen deutlich, dass die Vagabunden-Bewegung nicht nur über eine enorme Produktivität verfügte, sondern auch einen einzigartigen kulturellen Reichtum geschaffen hat.
Seit der Reichsgründung von 1871 wurde in Deutschland immer wieder über die sog. "Vagabondenfrage" und damit über verschärfte Gesetze debattiert. Eine neue Virulenz gewinnt das Thema um 1900 im Zusammenhang mit den zeitgenössischen Debatten über Vagabondage, Anarchismus und Boheme. Es ist die Zeit einer äußerst vitalen Boheme, die erst in und um Berlin, später in München ihre Kreise zieht und alternative Lebensgemeinschaften – wie die auf dem Monte Verità bei Ascona – entwickelt hat. Für diese Subkultur der Vagabunden stehen so bedeutende Namen wie Erich Mühsam, Hans Ostwald oder auch Peter Hille, der bereits den Zeitgenossen als „Erzvagant“ galt.
Mit dem Ersten Weltkrieg und der Novemberrevolution politisiert sich die Szene der Vagabunden. Am deutlichsten kommt die Politisierung der Vagabunden zum Ausdruck durch die Gründung der "Bruderschaft der Vagabunden" sowie durch die Herausgabe der Zeitschrift „Der Kunde“ (1927-1930) und nachfolgend „Der Vagabund“ (1931). Sowohl die Bruderschaft als auch die Zeitschrift sind eng mit dem Namen Gregor Gog verbunden und sie verleihen der Vagabunden-Bewegung und ihrer Kultur – verstärkt durch verschiedene Vagabunden-Treffen und Ausstellungen von Vagabunden-Kunst – ein kulturell und politisch markantes Profil. Ihren Höhepunkt erlebt die Vagabunden-Kultur mit dem Stuttgarter Vagabunden-Kongress zu Pfingsten 1929. Die in seinem Umfeld entstandenen Bilder, Ansprachen und literarischen Texte bilden einen Markstein in der Geschichte der Vagabondage und ihrer Kunst und Literatur. Zu dieser Zeit traten auch Vagabundinnen oder „Tippelschicksen“, so Anni Geiger-Gog und Jo Mihaly, in Schrift und Bild an die Öffentlichkeit. Für die schreibenden und malenden Vagabunden war die Zeitschrift „Der Kunde“ bzw. „Der Vagabund“ die wohl wichtigste Plattform. Die im Anhang des Buches veröffentlichte Zeitschriften-Bibliographie von Henning Zimpel zeigt nicht nur die Vielfalt und den Reichtum der in der Vagabunden-Bewegung geschaffenen Literatur und Kunst auf, sondern sie macht auch die Vernetzung der zahlreichen Einzelaktivitäten sichtbar.
Die Zäsur von 1933 bedeutet für die deutsche Vagabunden-Bewegung das Ende ihrer öffentlich manifestierten Kultur. Die Landstraßen wurden „gesäubert“, die Vagabunden verfolgt und ins KZ gesteckt bzw. in die Emigration getrieben. Doch auch im Exil gab es weiterhin vagabundische Aktivitäten und entsprechende Publikationen bzw. Publikationsvorhaben, so Gregor Gogs im sowjetischen Exil entstandene und erst postum veröffentlichte Dokumentation "Die internationale Bruderschaft der Vagabunden" oder vereinzelte, in Exilverlagen erschienene Publikationen wie Hugo Sonnenscheins Lyrikband „Der Bruder wandert nach Kalkutta“, der 1937 in Prag herauskam. Für die „klassische“ Vagabondage bot jedoch die von den traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges geprägte Nachkriegszeit keinen Raum mehr. Die „Epoche der Vagabunden“ hatte ihr Ende gefunden.
Es war eine Außenseiterperspektive, mit der die Vagabunden auf die sozialen Realitäten ihrer Zeit blickten und Alternativen zu ihnen entwickelten. Gerade weil die Vagabunden ständig mit „Grenzen“ konfrontiert wurden, suchten sie die Grenzüberschreitung und erhoben die permanente Grenzverletzung zum Programm. Charakteristisch für die Kultur der Vagabunden ist das Pendeln zwischen Reflexion und Widerstand, Arbeitslosigkeit und Arbeitsverweigerung, zwischen Entwurzelung und Aufbruch, Isolation und Freiheit, das bis zur Übernahme anarchistischer Positionen reicht. So wird die Vagabondage als eine Gegenkultur innerhalb der Moderne in ihrer geschichtlichen Einzigartigkeit verständlich.
Jochen Schmück
Inhalt
Walter Fahnders: Die Epoche der Vagabunden. Einleitung
AUFTAKT
- Artur Streiter: Traum eines Vagabunden [27]
- Artur Streiter: Landkarte [29]
VAGABUND, VAGABUNDIN
- Oskar Maria Graf: Vagabunden [33]
- Theodor Kramer: Vagabund [37]
- Else Lasker-Schüler: Vagabunden [39]
- Hans Tombrock: Vagabund mit Kreuz [40]
- Gertrud Kolmar: Die Landstreicherin [41]
- Theodor Kramer: Die Landstreicherin
- Um die Ziegelwerke [42]
- Tod [43]
- Hugo Sonnenschein: Vagabunden [44]
- Hans Reiser: Vagabund [45]
- Sepp Mahler: Vagabund im Heu [46]
- Kurt Huhn: Im Vagabundenwald [47]
- Arnold Waldwagner: Landstreicherlied [48]
- Jesse Thoor: Lumpencredo [49]
UNTERWEGS
- Jo Mihaly: Bekenntnis [53]
- Jesse Thoor: 1. Ruf [54]
- John Uhl: Landschaft [55]
- Hans Ostwald: Ausmarsch [56]
- KarlSchnog: Tippelbrüder [60]
- Friedrich Wobst: Tippelbrüder [61]
- Jo Mihaly: Bettel-Song [62]
- Jesse Thoor: Rede von den fahrenden Freunden [64]
- Gerhart Bettermann: Planenwagen [65]
- Mitgeteilt von Artur Streiter: Die zünftigen Gesellen [66]
- Mitgeteilt von Gustav Brügel: Morgenrot [67]
- Sepp Mahler: Am Straßengraben [68]
- Anni Geiger-Gog: Heimzu [69]
- Hans Tombrock: Wanderer [72]
- Karl Roltsch: Von unterwegs - Sozialpolitische Erfahrungen eines akademischen Tippelfreiwilligen [73]
- Jesse Thoor: Wolfsonett (- im Februar 1944) [86]
- Emil Szittya: Arme Sehnsüchtler [87]
- Albert Daudistel: Via arena Nr. 34, das Logierhaus der Globetrotter in Mailand [89]
- Hans Tombrock: Vagabund mit Gepäck [93]
- Heinz Kuttner: Paris [94]
- Desertus: Montparnasse [99]
- Emil Szittya: Wien, Mailand, Brüssel [101]
- Von früheren Orientkunden mitgeteilt: Die Orientkunden [103]
- Willi Hammelrath: Sturm in der Wüste [107]
- Bill Cermak/Wildulf: Von unterwegs [112]
- Max Renner: "Wer einen weiten Weg gehen muß, kennt keine Grenze" [113]
LEBENSLÄUFE, TYPEN, PROFILE
- Hugo Sonnenschein: Curriculum Vitae [117]
- Jesse Thoor: Im Winde [118]
- Artur Streiter: Wanderer im Herbst [119]
- Emil Szittya: Ich [120]
- Hugo Sonnenschein: Wie oft wurde ich [122]
- Artur Streiter: Republikanisches Stilleben [123]
- Desertus: Wie ich Mensch wurde [124]
- Heinrich Lersch: Drei aus der 100000-Armee [130]
- Hans Tombrock: Zug der Heimatlosen [135]
- Artur Streiter: Schicksal [136]
- Joachim Rügheimer: Als Landstreicher durch Deutschland [138]
- Jo Mihaly: Gesicht am Wege [140]
- A. Schneble: Momente aus dem weiblichen Vagantenleben [145]
- Hans Kreutzberger: Heimatlose Liebe [149]
- Hans Ostwald: Beschreibung der berühmtesten Orientkunden und Erklärung der Spitznamen [150]
- Heinz Elmann: Der Vagabund Villon [155]
REFLEXION UND WIDERSTAND
- Erich Mühsam: Ich bin ein Pilger [159]
- Jakob Haringer: Schwermut [160]
- Artur Streiter: Selbstporträt [161]
- Hugo Sonnenschein: Mir gehört [162]
- Peter Hille: Der Höhenstrolch [163]
- Jakob Haringer: die Sonne schimmert rötlich Dir durchs Haar [164]
- Artur Streiter: Kunde, hab acht [165]
- Hugo Sonnenschein: Gegen alle Hunde [166]
- Hans Tombrock: Der ewige Bruder [167]
- Erich Mühsam: Im Bruch [168]
- Erich Mühsam: Boheme [169]
- Emil Szittya: Zwischen heruntergekommenen Menschen [174]
- Artur Streiter: Der Vagabund. Versuch einer Psychologie seines Seins [175]
- Fix: Ohne Titel [178]
- Hans Tombrock: Kunden - ich möchte Euch was sagen! [179]
- Sonka: Terrhan oder Der Traum von meiner Erde [185]
- Jakob Haringer: macht nichts [189]
- Jakob Haringer: Der tote Kalender [190]
- Hans Kreutzberger: Müde [192]
- Hugo Sonnenschein: Dithyramb der Distanzen [193]
- Hugo Sonnenschein: Lied der Hammer [195]
- Hans Reiser: Ihr! [196]
- Karl Heinz Bodensiek: Nacht in der Zelle [198]
- Alfons Paquet: Liebe Kumpels! [199]
- Georg Glaser: Die deutschen "Verwahrlosten" [201]
BRUDERSCHAFT DER VAGABUNDEN
- Polizeipräsidium Stuttgart/Landeskriminalamt: Das Vagabundentreffen in Stuttgart [207]
- Jo Mihaly: Uferbank [213]
- Jo Mihaly: Im Winkel [214]
- Was will die Brüderschaft der Vagabunden? [215]
- Gregor Gog: Was will die Bruderschaft der Vagabunden? [217]
- Hans Tombrock: Landstraße - Kunden - Vagabunden [225]
- Rudolf Geist: Der Kunde als revolutionärer Agitator [230]
- Sonka: Ein "Weltbund der Vagabunden" [239]
- Gregor Gog: Die Landstraße auf dem Weg der Organisation [241]
- Hans Bönnighausen: Landstraße [248]
- Alexander Sagorski: Wir fordern [204]
- Maxim Gorki: An die Vagabunden Deutschlands und der anderen Länder [249]
- Hans Bönnighausen: Linolschnitt [252]
RÜCKBLICK
- Emil Szittya: Ich bitte um ein Eintrittsbillet oder Haben Sie schon einmal Hunger gehabt? [ 255]
ANHANG
- Henning Zimpel: Bibliographie der Zeitschrift "Der Kunde" und "Der Vagabund" (1927-1931) [273]
- Kommentar zu den Texten und Bildern [293]
- Nachweise [317]