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Version vom 4. Mai 2020, 19:42 Uhr

Vorabveröffentlichung aus espero - Libertäre Zeitschrift; Nr. 2 (Dezember 2020) | s.a. Call for Papers: Die Corona-Krise und die Anarchie

Der niederländische Schriftsteller Roel van Duijn, der in den 1960er Jahren zu den Mitbegründern der anarchistischen PROVO-Bewegung gehörte. Foto aus dem Jahr 2020, Quelle: PA Roel van Duijn, Amsterdam 2020.

Bedeutet die Corona-Krise den Stillstand der Geschichte?

Ich sitze in einem Kreis mit dem Radius von eineinhalb Metern. Eintritt hat nur ein Kater mit drei Beinen.

Noch ein Jahr? Noch zwei Jahre?

Albtraumhafte Bilder kommen hoch. Es werden Vergleiche mit der Spanischen Grippe gezogen, die mehr Opfer gefordert hat als der Erste Weltkrieg. In Panik greifen wir nach Büchern über die mittelalterliche Pest. Oder – was das Schlimmste zu sein scheint – wir sehen eine neue Wirtschaftskrise auf uns zu kommen.


Wir wurden gewarnt

Unvorbereitet waren wir nicht.

Ich erinnere mich, dass ich 1970, vor einem halben Jahrhundert, ein Buch gelesen und diskutiert habe, in dem eine dringende Warnung ausgesprochen wurde. „Bevölkerung, Ressourcen, Umwelt“ von Paul R. Ehrlich und seiner Frau Anne H. Ehrlich.[1] Er war Professor für Biologie und Ökologie an der Stanford University.

Das Buch wurde in dem Land veröffentlicht, in dem heute die meisten Todesopfer jener Pandemie zu beklagen sind, die beide Autoren kommen sahen: „Die Möglichkeit einer globalen Epidemie war noch nie größer, aber das menschliche Bewusstsein für diese Bedrohung war wahrscheinlich noch nie geringer“.

Paul R. und Anne H. Ehrlich wissen bereits, dass die Menschen, weil sie noch nie so mobil waren, innerhalb weniger Stunden von einem Kontinent zum anderen hüpfen. Das spontane Auftauchen tödlicher Viren und ihr Angriff auf die Menschheit sind extrem gefährlich, warnen die beiden. Und das 1970, also mehr als 30 Jahre vor dem Ausbruch von SARS im Jahr 2003.

Sie weisen darauf hin, dass der massive Zustrom von Menschen in die Großstädte die Entwicklung von Virusepidemien verstärken kann.

„Wenn ein besonders virulenter Stamm eines Grippevirus auftaucht, ist es höchst zweifelhaft, ob die Vereinigten Staaten und andere entwickelte Länder in der Lage sein werden, schnell genug Impfstoff herzustellen, um die meisten Menschen zu retten.“

Damit hatten die Autoren schon direkt zwei Hauptursachen für die epidemische Ausbreitung von Virusangriffen identifiziert: Einerseits die außer Kontrolle geratene Mobilität von Menschen über den ganzen Erdball, andererseits die Einsperrung von Menschen in monströs großen Städten.

Gab es zu dieser Zeit keine Erfahrungen mit Grippeepidemien?

1967 hatte es in Amerika eine Grippeepidemie gegeben. Und als die Epidemie im darauffolgenden Jahr erneut auftrat, forderte sie mehr als viermal so viele Todesopfer. Gelernt hatte man aus der vorangegangenen Epidemie nichts.

Auch den unachtsamen Umgang mit eingesperrten Tieren nennen Paul R. und Anne H. Ehrlich als Ursache. 1967 war in der Bundesrepublik Deutschland, in einem Marburger Labor, eine unbekannte Viruskrankheit unter Samtaffen ausgebrochen. Die Krankheit verbreitete sich unter den Laboranten, sieben Mitarbeiter starben. Den Autoren zufolge hatten wir Glück, dass das Virus in einem Labor ausbrach, in dem die Ursache schnell lokalisiert werden konnte.

Die vorausschauenden Autoren stellen eine weitere überraschend aktuelle Frage: „Was würde passieren, wenn die USA [wo inzwischen unzählige Corona-Tote zu beklagen sind; Roel van Duijn] einer Virusepidemie ausgesetzt sein würden, die massenhaft krankgewordene Arbeitnehmer von ihrer Arbeit abhalten und die Nicht-Infizierten zwingen würde, zu Hause zu bleiben oder aus den Städten zu fliehen?“ Wenn wesentliche Funktionen der Daseinsvorsorge zum Erliegen kommen, wären Hungersnot und Frieren die Folge.

Und dann setzen sie bereits die wahrscheinlich grundlegende Ursache auf die Tagesordnung: Den Klimawandel. „Der Klimawandel würde unweigerlich die Krankheitsmuster verändern, denn die Dauer der Ansteckung mit Viren hängt zum Teil mit der Luftfeuchtigkeit zusammen.“

Weder Amerika noch Europa haben darauf reagiert. Alle genannten Ursachen einer viralen Pandemie sind sogar noch gefördert worden. Größere Mobilität, noch größere Städte, intensivere Viehhaltung und Klimawandel. Wirtschaftswachstum blieb unerbittliche Priorität.

Als in China unlängst die Corona-Epidemie ausbrach, war Taiwan vorbereitet. Und Taiwan blieb unversehrt. Hier war die Botschaft von Paul R. und Anne H. Ehrlich durchgekommen.

Unsere Regierungen hatten die Warnung der Ehrlichs an sich vorbeiziehen lassen, selbst nachdem 2003 in Asien eine SARS-Epidemie ausgebrochen war. Und danach sind die Warnungen von Experten viele Male wiederholt worden.


Haie unter dem Virus

Aber schaut, was in der Betäubung durch die Panik passiert.

Diktatoren wittern ihre Chance. Orban, der oberste Hai Ungarns, hat mit dem Herunterfahren des Parlaments die Macht auf unbestimmte Zeit an sich gerissen. Sein Deckmantel: Das ist nötig, um Corona zu bekämpfen! Wie Putin hat er sich selbst die Macht verliehen, Journalisten, die nicht „korrekt“ berichten, streng zu bestrafen. Europa greift nicht ein. Der Europäische Gerichtshof könnte diese ungarische Gesetzgebung aussetzen, aber das ist Theorie. Er müsste zunächst von der Europäischen Kommission dazu gedrängt werden, aber ihre Präsidentin, Van der Leyen, wurde mit der Unterstützung Ungarns und Polens gewählt und will offenbar einen direkten Konflikt mit diesen beiden Ländern vermeiden. Polen und Ungarn unterstützen sich gegenseitig bei der Zerschlagung der Rechtsstaatlichkeit, und angesichts der in der EU geltenden Einstimmigkeitsregeln für die Mitgliedsstaaten hat eine solche Intervention in Ungarn wenig Chancen. Und was sehen wir bei der Verteilung der Corona-Gelder, die jetzt an die Mitgliedsstaaten verteilt werden? In der Tat erhält Ungarn von Van der Leyen mehr als doppelt so viel wie Italien. 5,6 Milliarden Euro gegenüber 2,3 Milliarden Euro, trotz der Tatsache, dass Ungarn kaum von der Pandemie betroffen ist.

Hai Trump nutzt seine Chance. Bei Ausbruch der Seuche betont er zuerst die Verantwortung der Gouverneure der Bundesstaaten, und dann, wenn er sich in den Kopf gesetzt hat, dass es besser läuft, versucht er, sie aus dem Spiel zu nehmen. Weil wir doch ohne zu zögern die Wirtschaft wieder auf Hochtouren bringen wollen!

Die Nationalisten in Europa gewinnen an Boden. Sie beschimpfen die EU, dass sie nichts gegen Corona unternimmt, aber ignorieren die Tatsache, dass die EU keine Befugnisse im Bereich der Gesundheit oder in den inneren Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten hat.

Trump ergreift die Gelegenheit, den großen Unternehmen seines Landes ungeheure Geldsummen zuzuschustern. Dasselbe geschieht in Europa. Die niederländische Fluggesellschaft KLM erhält enorme Staatsunterstützung, während sie gleichzeitig einer unserer größten Umweltverschmutzer und Klimaverpester ist. Die Lufthansa wird diesem Beispiel wohl folgen.

Und was für ein Spiel spielen China und Russland hinter der Nebelwand? Die Diktaturen verbergen ihr eigenes Versagen bei der Corona-Bekämpfung, versuchen aber, die Pandemie propagandistisch zu nutzen.

Aus Russland kamen Fake-News, die USA hätten das Virus als biologische Waffe nach China geschmuggelt. Oder dass das Virus durch eine Verschwörung westlicher Pharmakonzerne verbreitet wurde, die sich auf diese Weise ihre Taschen vollstopfen wollen.

Auch China führt uns in einen Irrgarten. Der Entdecker des Virus, Dr. Li Wenliang, ist von Präsident Xi Jinping als „Gerüchteverbreiter“ zum Schweigen gebracht worden, und die chinesischen Zahlen der Toten und Infizierten stellen die Realität im Land schöner dar als sie ist. Unterdessen tun beide Länder was sie können, um durch propagandistische Hilfe für gefährdete Länder ihren Einfluss in der Welt auszubauen. China „hilft“ Serbien. Aber im Osten schlägt es zu, verhaftet die Führer der Demokratiebewegung in Hongkong und tritt aggressiv im Südchinesischen Meer auf.

Russland „hilft“ Italien und springt sogar Amerika mit Materialien bei. Das tut Russland, um die Sanktionen loszuwerden. Sanktionen, die zu Recht wegen des Ukraine-Krieges verhängt wurden.

In Asien hat Taiwan gezeigt, wie eine demokratische Gesellschaft der Epidemie einen Schritt voraus sein kann. Unmittelbar nach den ersten Berichten über den chinesischen Brandherd in Wuhan hat das Land wachsam reagiert, es führte sofort Kontrollen ein und untersuchte an der Grenze die von China nach Taiwan reisenden Massen auf 26 Viren. Und auf Fieber.

So reagierte das Land auf die herannahende Gefahr früher als China selbst und mit großem Erfolg. Sie standen bereit, mit dem Thermometer in der Hand. Mit Kontrollapparaten, mit Mundkappen und Testmaterial. In dem Augenblick, da ich dies schreibe, sind in Taiwan nur sechs Menschen gestorben. D.h.: Schnell und transparent zu reagieren ist eine große Hilfe. Deswegen macht Deutschland es auch besser als die anderen europäischen Länder. Was Taiwan und übrigens auch Hongkong, Südkorea und Singapur geholfen hat, war die schnelle Einführung des Mundschutzes, der eine Ausbreitung verhindert und auch ein wenig Schutz bietet.

Nein, es gibt sicherlich keinen Stillstand in der Geschichte. Die Haie schlagen zu, um die Verwirrung auszunutzen. Und wir sind langsam und naiv gewesen. Hätten wir nur die Ursachen angepackt und hätten wir sofort die Reisenden aus China, Italien, Österreich und New York getestet.

Hätten wir nur auf Taiwan geschaut!

Amsterdam, im April 2020


Die Übersetzung aus dem Niederländischen wurde von Ulrike Henning-Hellmich und Markus Henning vorgenommen.


Anmerkungen

  1. Paul R. Ehrlich / Anne H. Ehrlich: Population, Ressources, Enviroments. Issues in Human Ecology. W. H. Freeman & Co., San Francisco 1970.

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