Jörg-Anselm Asseyer - Gedenkseite: Unterschied zwischen den Versionen
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+ | Anfang der 1990er Jahre war mir Jörg als ausgezeichneter Lektor empfohlen worden und da ich nicht weit von der Neuköllner Lenaustraße entfernt wohnte, in der er über Jahrzehnte gelebt hat, kamen wir bald zusammen. Rein geschäftsmäßiges hat uns jedoch nie verbunden, sondern die Sympathie und gemeinsame Interessen. Im Gegensatz zum Typ Wichtigtuer, der gern als ach so kultivierter Intellektueller posiert, war Jörg ein wahrhaft kultivierter Mensch und intellektuell bis in die Zehenspitzen, aber ohne jeden Dünkel. Er war diversen Verästelungen der anarchistischen Philosophie nachgegangen, den Beziehungen zwischen Constantin Brunner und Gustav Landauer etwa, der Authentizität der Anarchismus-Bezüge von Ernst Jünger, der libertären Dimension im Denken Karl Korschs, dem »paulinischen« Marxismus Matticks usw.; daneben widmete er sich seiner ungeheuren CD-Sammlung mit klassischer Musik, verfügte über ein Jahrzehnte währendes Konzert-Abo und eine ausgesuchte Bibliothek. An seine Mitarbeit bei den Zeitschriften ›Die Soziale Revolution ist keine Parteisache‹ und ›Schwarze Protokolle‹ in den 1970er Jahren schloss sich sein Engagement beim libertären Verlag ›Büchse der Pandora‹ (Wetzlar) und im Berliner Buchladenkollektiv am Savignyplatz. | ||
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+ | In zahllosen gemeinsamen Konzertbesuchen und Kneipendiskussionsrunden habe ich seine Gesellschaft und Hilfsbereitschaft genossen. Da er nicht viel Aufhebens darum machte, konnte man ihn leicht unterschätzen, ihm war jede Form von Selbstvermarktung zuwider und so wurde ihm nichts geschenkt. Seine Anstellung als Lektor, Übersetzer usw. bei der ›Büchse der Pandora‹ dauerte leider nur wenige Monate und als der Buchladen am Savignyplatz in wirtschaftliche Schieflage geriet, musste er das Kollektiv verlassen – die finanziellen Probleme des Ladens resultierten übrigens seinen Worten zufolge aus dem verbreiteten Ladendiebstahl, der vom Buchladenkollektiv nicht angezeigt wurde; dabei seien überwiegend »Linke« in Uni-Jobs in flagranti erwischt worden, die durch einen gefahrlosen Buchklau wohl ihre revolutionäre Militanz auszudrücken glaubten. Zum Schaden von Jörg, der sich arbeitslos nun gegen Bürokraten zur Wehr setzen musste. | ||
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+ | Wenn ein Gradmesser für die Güte einer Gesellschaft darin besteht, alle Kompetenzen ihrer Mitglieder »abzuholen«, sie zu ermutigen und ihnen Raum zu geben, so hat die real-existierende Bürokratie an Jörg wieder einmal ihre Niedertracht bewiesen – sie hat ihm prekäre ABM-Jobs »geboten«, die ihn kaum aus dem Dispo holten, und verpflichtete ihn zu einer Tätigkeit in der Berliner Tourismusinformation, wo sich schon mal US-Touristen erwartungsfroh erkundigten, ob es während ihres geplanten Besuchs im KZ Oranienburg auch Hinrichtungen gebe ... Ende 2006 konnten wir endlich auf seinen »Arbeitslosenvorruhestand« anstoßen; seine Bescheidenheit blieb aber so ausgeprägt, dass alle Anregungen ins Leere liefen, seine weitgespannten Interessen und Kompetenzen weiter auszuarbeiten, zu vertiefen, zu veröffentlichen. | ||
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+ | In den letzten Jahren wurden seine Kreise immer kleiner: Als er es nicht mehr zum Griechen schaffte, nahmen wir unsere Biere in seiner Bude ein, im Pflegeheim schließlich war er zeitweise schrecklich abgemagert und kaum noch mobil – scherzte aber mit den Pflegern und spendete großherzig viele seiner Bücher der ›Bibliothek der Freien‹. Andere Bücher packte er beiseite, die er zu seiner unverzichtbaren Handbibliothek erklärte oder noch studieren oder wiederlesen wollte. Aus all dem wurde er durch den plötzlichen Schlaganfall mit Hirnblutung grässlich herausgerissen – zugleich haben wir damit einen raren Feingeist verloren. Da ein Großteil seiner Studien unveröffentlicht blieb, werden sich seine Geschwister hoffentlich um einen guten Aufbewahrungsort für seine Papiere kümmern. Seine veröffentlichten Beiträge und Artikel, die einmal gesammelt erscheinen sollten, haben jedenfalls weder ihre Inspirationskraft noch ihre analytische Klarheit verloren – seine Freunde und alle Interessierten an der Materie werden ihm weiterhin Dank dafür wissen. | ||
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+ | Wolfgang Eckhardt | ||
Version vom 1. Februar 2017, 21:03 Uhr
Jörg-Anselm Asseyer ist tot
Am 7. Januar 2017 ist unser Freund und Weggefährte Jörg-Anselm Asseyer im Alter von 68 Jahren an einer Hirnblutung gestorben. Asseyer, geb. am 30. März 1948 in Berlin, hat seit Ende der 1960er Jahren als Autor, Übersetzer, Lektor und Buchhändler zahlreiche Projekte der neuen anarchistischen bzw. antiautoritären linken Bewegung unterstützt.
Sein Tod macht uns traurig.
Wer seine Erinnerungen an Jörg-Anselm Asseyer mit uns teilen möchte, kann sie auf der Diskussions-Seite veröffentlichen. Wir übernehmen dann die Texte hier auf die Jörg-Anselm Asseyer-Gedenkseite.
Falls jemand Probleme mit dem Schreiben auf der Diskussions-Seite haben sollte, der kann uns seinen Text und gerne auch Fotos zur Veröffentlichung auf der Gedenkseite per E-Mail schicken an: redaktion@dadaweb.de.
Jochen Schmück
Redaktion DadAWeb.de
Erinnerungen an Jörg-Anselm Asseyer. Von Jochen Schmück
Dieser Tage habe ich erfahren, dass am 7. Januar 2017 Jörg-Anselm Asseyer gestorben ist. Er war niemand, der sich in den Vordergrund gedrängt hat, aber er hat seit Ende der 1960er Jahren als Autor, Übersetzer, Lektor und Buchhändler zahlreiche Projekte der neuen anarchistischen bzw. antiautoritären linken Bewegung unterstützt.
Geboren wurde Jörg-Anselm Asseyer in Berlin am 30. März 1948 als zweites von neun Kindern der protestantischen Pfarrersfamilie von Klaus und Marianne Asseyer. Nach dem Abschluss seines Abiturs 1967 auf einem altsprachlichen Gymnasium studierte er an der Freien Universität Berlin Geschichte und Politik.
Sein Studium fiel in die Zeit als die antiautoritäre Studentenrevolte in West-Berlin ihren Höhepunkt erlebte. Jörg-Anselm schloss zwar 1973 das Studium mit dem 1. Staatsexamen und einem anschließendem einjährigem Studienreferat ab, jedoch Lehrer wollte er nicht werden. Stattdessen war er ab Mitte der 1970er Jahre bis 1982 in Westberlin in verschiedenen linken Projekten aktiv, so in der Buchhandlung "Buchladenkollektiv" am Savignyplatz, die zu der Zeit eine der wenigen linken Buchhandlungen in der Westberliner Innenstadt gewesen ist. Als Übersetzer, Lektor und Autor unterstützte er einige libertäre Verlage, so den Karin Kramer Verlag, den Verlag der Mackay-Gesellschaft und auch den Verlag Büchse der Pandora. Doch einen Lebensunterhalt konnte er mit diesen Tätigkeiten schlecht bestreiten. Deshalb war er ab Mitte der 1980er Jahre – zumeist im Rahmen von zeitlich befristeten ABM-Jobs – u.a. als Archivar, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter in kommunalen oder auch kirchlichen Einrichtungen tätig.
Ich habe Jörg-Anselm Asseyer Ende der 1970er Jahre im Umfeld des Karin Kramer Verlages kennengelernt als ich mit meinem Freund Rolf Raasch und meinen beiden Brüdern Christian und Thomas den Libertad Verlag aufgebaut habe. Er hat uns damals als Buchhändler beim Vertrieb unserer ersten Verlagspublikationen sehr unterstützt. Aber auch persönlich hat er mich als gewissenhafter Korrektor meiner 1986 an der FU Berlin im Fachbereich Kommunikationswissenschaften/Publizistik eingereichten Magisterarbeit über den deutschsprachigen Anarchismus und seine Presse unterstützt, welche den Grundstock für das später entstandene Projekt „Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus (DadA)“ bildete.
Wir haben uns dann allmählich aus den Augen verloren. Nur einmal noch habe ich ihn - ich meine entweder kurz vor oder nach der Jahrtausendwende - getroffen, als ich ihn mit meiner Lebensgefährtin Angelika besucht habe, um einige Kisten mit undogmatisch linken bzw. anarchistischen Zeitschriften bei ihm abzuholen, die er dem Archiv des DadA-Projektes schenken wollte. Er lebte damals in einer kleinen Parterrewohnung in einer Seitenstraße des Hermannplatzes in Berlin-Neukölln und er bereitete sich auf das Rentenalter vor. Wir haben von den alten Zeiten geredet als wir noch jung und voller Hoffnung gewesen waren. Er erzählte uns auch von seinem Stress mit dem Arbeitsamt und wie er sich sein Leben als Rentner vorstellte, aber auch von seiner Leidenschaft für klassische Musik und wie sehr er seine regelmäßigen Besuche von Konzerten klassischer Musik genoss.
Danach habe ich ihn nicht mehr getroffen. Dass er noch lebte und auch noch in libertären Kreisen aktiv war, habe ich nur noch dadurch gesehen, dass ich gelegentlich über seinen Namen als Übersetzer in libertären Veröffentlichungen (wie z.B. in den von Wolfgang Eckhardt herausgegebenen „Ausgewählten Schriften“ von Michail Bakunin) gestolpert bin.
Nach Auskunft seiner Geschwister verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Jörg-Anselm seit 2011 schrittweise. Er musste sich mehreren Krankenhausaufenthalten und Reha-Maßnahmen unterziehen. In den letzten zwei Jahren reichte die häusliche Pflege nicht mehr aus, er musste in ein Pflegeheim umziehen. Die Aufgabe seiner kleinen Wohnung sowie die Trennung von seinen geliebten Klassikschallplatten und einem beträchtlichen Teil seiner umfangreichen Bibliothek schmerzten ihn sehr. Die Unselbständigkeit und Hilflosigkeit im Heim waren für ihn schwer zu ertragen. Gestorben ist er am 7. Januar 2017 im Alter von 68 Jahren an einer Gehirnblutung.
Ich habe Jörg-Anselm Asseyer als einen überaus liebenswerten, sensiblen und hilfsbereiten Menschen erlebt, und ich bin traurig zu erfahren, dass er von uns gegangen ist.
Jochen Schmück
Potsdam, den 28. Januar 2017
Ein rarer Feingeist. Von Wolfgang Eckhardt
Anfang der 1990er Jahre war mir Jörg als ausgezeichneter Lektor empfohlen worden und da ich nicht weit von der Neuköllner Lenaustraße entfernt wohnte, in der er über Jahrzehnte gelebt hat, kamen wir bald zusammen. Rein geschäftsmäßiges hat uns jedoch nie verbunden, sondern die Sympathie und gemeinsame Interessen. Im Gegensatz zum Typ Wichtigtuer, der gern als ach so kultivierter Intellektueller posiert, war Jörg ein wahrhaft kultivierter Mensch und intellektuell bis in die Zehenspitzen, aber ohne jeden Dünkel. Er war diversen Verästelungen der anarchistischen Philosophie nachgegangen, den Beziehungen zwischen Constantin Brunner und Gustav Landauer etwa, der Authentizität der Anarchismus-Bezüge von Ernst Jünger, der libertären Dimension im Denken Karl Korschs, dem »paulinischen« Marxismus Matticks usw.; daneben widmete er sich seiner ungeheuren CD-Sammlung mit klassischer Musik, verfügte über ein Jahrzehnte währendes Konzert-Abo und eine ausgesuchte Bibliothek. An seine Mitarbeit bei den Zeitschriften ›Die Soziale Revolution ist keine Parteisache‹ und ›Schwarze Protokolle‹ in den 1970er Jahren schloss sich sein Engagement beim libertären Verlag ›Büchse der Pandora‹ (Wetzlar) und im Berliner Buchladenkollektiv am Savignyplatz.
In zahllosen gemeinsamen Konzertbesuchen und Kneipendiskussionsrunden habe ich seine Gesellschaft und Hilfsbereitschaft genossen. Da er nicht viel Aufhebens darum machte, konnte man ihn leicht unterschätzen, ihm war jede Form von Selbstvermarktung zuwider und so wurde ihm nichts geschenkt. Seine Anstellung als Lektor, Übersetzer usw. bei der ›Büchse der Pandora‹ dauerte leider nur wenige Monate und als der Buchladen am Savignyplatz in wirtschaftliche Schieflage geriet, musste er das Kollektiv verlassen – die finanziellen Probleme des Ladens resultierten übrigens seinen Worten zufolge aus dem verbreiteten Ladendiebstahl, der vom Buchladenkollektiv nicht angezeigt wurde; dabei seien überwiegend »Linke« in Uni-Jobs in flagranti erwischt worden, die durch einen gefahrlosen Buchklau wohl ihre revolutionäre Militanz auszudrücken glaubten. Zum Schaden von Jörg, der sich arbeitslos nun gegen Bürokraten zur Wehr setzen musste.
Wenn ein Gradmesser für die Güte einer Gesellschaft darin besteht, alle Kompetenzen ihrer Mitglieder »abzuholen«, sie zu ermutigen und ihnen Raum zu geben, so hat die real-existierende Bürokratie an Jörg wieder einmal ihre Niedertracht bewiesen – sie hat ihm prekäre ABM-Jobs »geboten«, die ihn kaum aus dem Dispo holten, und verpflichtete ihn zu einer Tätigkeit in der Berliner Tourismusinformation, wo sich schon mal US-Touristen erwartungsfroh erkundigten, ob es während ihres geplanten Besuchs im KZ Oranienburg auch Hinrichtungen gebe ... Ende 2006 konnten wir endlich auf seinen »Arbeitslosenvorruhestand« anstoßen; seine Bescheidenheit blieb aber so ausgeprägt, dass alle Anregungen ins Leere liefen, seine weitgespannten Interessen und Kompetenzen weiter auszuarbeiten, zu vertiefen, zu veröffentlichen.
In den letzten Jahren wurden seine Kreise immer kleiner: Als er es nicht mehr zum Griechen schaffte, nahmen wir unsere Biere in seiner Bude ein, im Pflegeheim schließlich war er zeitweise schrecklich abgemagert und kaum noch mobil – scherzte aber mit den Pflegern und spendete großherzig viele seiner Bücher der ›Bibliothek der Freien‹. Andere Bücher packte er beiseite, die er zu seiner unverzichtbaren Handbibliothek erklärte oder noch studieren oder wiederlesen wollte. Aus all dem wurde er durch den plötzlichen Schlaganfall mit Hirnblutung grässlich herausgerissen – zugleich haben wir damit einen raren Feingeist verloren. Da ein Großteil seiner Studien unveröffentlicht blieb, werden sich seine Geschwister hoffentlich um einen guten Aufbewahrungsort für seine Papiere kümmern. Seine veröffentlichten Beiträge und Artikel, die einmal gesammelt erscheinen sollten, haben jedenfalls weder ihre Inspirationskraft noch ihre analytische Klarheit verloren – seine Freunde und alle Interessierten an der Materie werden ihm weiterhin Dank dafür wissen.
Wolfgang Eckhardt
Weblinks
- Jörg Asseyer: Jenseits von Grund und Ordnung (Nachwort zu: Gustav Landauer: Skepsis und Mystik, Wetzlar 1978)