Emma Goldman: Gelebtes Leben: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 30. Oktober 2010, 21:31 Uhr
Die DadA-Buchempfehlung
Buchcover: | |
Autor/en: | Emma Goldman |
Titel: | Gelebtes Leben |
Untertitel: | Autobiographie |
Editoriales: | Mit einem Vorwort von Ilija Trojanow, einer Chronologie von Tina Petserson und einem Register von Katja Tiedemann. Aus dem Englischen übersetzt von Marlen Breitinger, Renate Orywa und Sabine Vetter, überarbeitet von Tina Petersen. |
Verlag: | Edition Nautilus im Verlag Lutz Schulenburg |
Erscheinungsort: | Hamburg |
Erscheinungsjahr: | 2010 |
Umfang, Aufmachung: | Originalausgabe. 928 Seiten im Großformat (auf matt gestrichenem Papier mit lesefreundlicher Färbung gedruckt), gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen, illustriert mit 48 Fotografien (auf Hochglanzpapier). |
ISBN: | (ISBN-13:) 978-3894017316 |
Preis: | 34,90 EUR |
Direktkauf: | bei aLibro, der Autorenbuchhandlung des DadAWeb |
Besprechung
Zum 70. Todestag von Emma Goldman (1869–1940) ist in der Edition Nautilus die Autobiographie von Emma Goldman „Gelebtes Leben“ in einer neuen deutschen Ausgabe erschienen. Für J. Edgar Hoover, dem Begründer des FBI, war Emma Goldman „ohne Zweifel eine der gefährlichsten Anarchisten“ in den USA. Zu ihren Lebzeiten war die »rote Emma« eine gleichermaßen verehrte wie gefürchtete Symbolfigur des Anarchismus. Bekannt wurde sie durch ihre Schriften, ihre Reden und ihre engagierten Kampagnen für die Rechte der Arbeiter, für Geburtenkontrolle, gegen die Wehrpflicht und für die Friedensbewegung.
1886 war die damals siebzehnjährige Emma Goldman mit ihren Eltern aus Russland in die USA emigriert. Sie kam zu einer Zeit in die USA, als die gewerkschaftlich organisierte Industriearbeiterschaft mit Hilfe von Streiks und Demonstrationen einen energischen Kampf für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen führte. Seinen Höhepunkt fand dieser Kampf in der Kampagne für die Einführung des Achtstundentages. Regierung und Unternehmerschaft gingen mit äußerster Härte mit Hilfe von Polizei und ihren Pinkerton-Wachen (einer Privatpolizei) gegen die Arbeiterschaft vor. Blutige Straßenschlachten zwischen Streikenden und Polizei waren an der Tagesordnung. In Chicago versuchte die Polizei am 3. Mai 1886 eine Versammlung von Streikenden nahe dem Erntemaschinen-Betrieb McCormick aufzulösen. Dabei wurden sechs Arbeiter getötet und einige weitere verletzt. Am Folgetag wurde auf einer Demonstration der Arbeiter gegen die blutigen Geschehnisse des Vortages von einem Unbekannten eine Bombe geworden, durch die 12 Menschen ums Leben kamen, darunter sieben Polizisten. Die Polizei eröffnete daraufhin das Feuer und tötete und verletzte eine unbekannte Zahl von Demonstranten. Zwar konnte nie ein Beweis erbracht werden, dass die Organisatoren des Streiks für den Bombenwurf verantwortlich waren, dennoch wurden die acht Männer, die den Streik mit organisiert hatten, angeklagt, für schuldig befunden und sieben von ihnen zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Die Hinrichtung der Aufständischen vom Chicagoer Haymarket hatte die junge Emma Goldman politisiert. Durch die Begegnung mit Johann Most, dem sprachgewaltigen Wortführer der anarchistischen Bewegung in den USA, lernte sie den Anarchismus kennen. Sie entdeckte ihr rhetorisches Talent und setzte es bei Vorträgen und Agitationsveranstaltungen ein, in denen sie sich für die verschiedensten Belange der Arbeiter und der Unterdrückten engagierte. Sie wurde mehrere Male zu Gefängnisstrafen verurteilt, so 1893 wegen Anstiftung zum Aufruhr, 1916 wegen öffentlicher Propagierung von Geburtenkontrolle und 1917 wegen Agitation gegen die Wehrpflicht. Gemeinsam mit Alexander Berkman, mit dem sie Zeit ihres Lebens eine enge Freundschaft pflegte, gab Emma Goldman seit 1906 die Zeitschrift „Mother Earth“ heraus. In Folge der nach dem I. Weltkrieg in den USA verstärkt einsetzenden Anarchistenhetze und Kriegsbegeisterung wurden Goldman und Berkman 1917 nach Russland deportiert. Dort wurden sie Zeugen der Russischen Revolution und mussten deren Entartung in ein totalitäres Regime miterleben. Von der diktatorischen Herrschaft der Bolschewiki enttäuscht, verließen Goldman und Berkman zwei Jahre später Sowjetrussland und gingen nach Frankreich ins Exil. Dort verfasste Emma Goldman in den zwanziger Jahren ihre Autobiografie und wurde dabei von Max Nettlau und Rudolf Rocker mit Informationen zur Geschichte des Anarchismus unterstützt. Die Erstveröffentlichung ihrer Memoiren erfolgte 1931 in New York durch den Verlag Alfred A. Knopf, der das Buch in zwei Bänden unter dem Titel „Living my Life“ veröffentlichte.
1936 beging ihr Freund Alexander Berkman Selbstmord, und Emma Goldman stürzte in eine tiefe Depression. Als im Juni 1936 in Spanien der Bürgerkrieg ausbrach und die überwiegend anarchistisch geprägte Arbeiterbewegung Spaniens die Soziale Revolution in Angriff nahm, engagierte sich die 67jährige Goldman noch einmal mit aller Energie für diese Revolution, auf die sie ihr Leben lang hingearbeitet hatte. Sie reiste nach Spanien, um die Revolution vor Ort zu erleben und besuchte dort landwirtschaftliche Kooperativen und Fabriken, die von den Arbeitern in Selbstverwaltung betrieben wurden. Als englischsprachige Sprecherin der anarchosyndikalistischen CNT-FAI organisierte sie in Großbritannien und Frankreich Informations-Veranstaltungen und Solidaritäts-Kundgebungen zur Unterstützung der Spanischen Revolution. Aber sie kam auch in Konflikt mit der Führung der CNT-FAI, die sich unter dem Druck des Bürgerkrieges für eine Beteiligung an der Regierung entschieden hatte. Aufgrund ihrer Erfahrungen, die sie in der russischen Revolution gemacht hatte, lehnte Emma Goldman diesen politischen Kurs der CNT-FAI entschieden ab. Der mit der Regierungsbeteiligung der CNT-FAI einsetzende Niedergang der Sozialen Revolution in Spanien, die in einem Bürgerkrieg im Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Anarchisten endete, hat Emma Goldman tief enttäuscht. Dennoch blieb sie bis zum Ende ihres Lebens unermüdlich als Agitatorin für den Anarchismus aktiv und setzte sich in Wort und Schrift für die Rechte der Frauen, der Arbeiter und aller Unterdrückten dieser Erde ein. Emma Goldman starb am 14. Mai 1940 im Alter von 70 Jahren nach einem Schlaganfall in Toronto, Kanada. Die US-Behörden erlaubten die Überführung ihres Leichnams in die USA, wo sie auf dem Deutschen Waldheim Friedhof (heute Forest Home Cemetary) in Chicago in der Nähe der Gräber der Hingerichteten des Haymarket Aufstandes bestattet wurde.
Obwohl Emma Goldman zu ihren Lebzeiten wie kaum eine andere Person des öffentlichen Lebens in den USA die Gemüter ihrer Zeitgenossen erregt hatte, konnte bereits eine Generation nach ihrem Tod kaum noch jemand etwas mit ihrem Namen anfangen. Doch das sollte nicht lange so bleiben. Schon in den 1960er Jahren wurde Emma Goldman von der rebellierenden Jugend- und Studentenbewegung wieder entdeckt. 1970 erschienen in den USA gleich drei Neuauflagen ihrer Memoiren (ein Reprint der Erstausgabe im Verlag ASM Press [New York], eine Paperback-Ausgabe im Verlag Dover Publication [New York] und eine Ausgabe im Verlag Da Capo Press [New York] ). Auch die radikale Frauenbewegung identifizierte sich mit Emma Goldman und ihrem, bisweilen auch gegen ihre eigenen Genossen, geführten Kampf für die Frauenrechte. Historiker und Schriftsteller setzen sich mit Emma Goldman und ihrem Leben auseinander. Der amerikanische Politikwissenschaftler und Friedensaktivist Howard Zinn schrieb ein Theaterstück über sie. Die Schauspielerin Maureen Stapleton gewann einen Oscar für ihre Rolle als Emma Goldman in dem Film „Reds“. Und eine Reihe von feministischen Institutionen in den USA trägt ihren Namen, so z.B. die renommierte Frauenklinik in Iowa City.
Im Januar 2003 machte der Name Emma Goldman sogar noch einmal Schlagzeilen in den USA, weil die Leitung der Universität von Berkeley, Kalifornien dem in ihr beheimateten Forschungs- und Dokumentationsprojekt „Emma Goldman Papers“ verboten hatte, einen Spendenaufruf mit einem Zitat von Goldman zu veröffentlichen, in dem diese sich gegen den Krieg und für die Redefreiheit aussprach. In einer Zeit, in der die Bush-Administration große Anstrengungen unternahm, um die amerikanische Öffentlichkeit auf den neuen Irak-Krieg vorzubereiten, erschien der Universitätsleitung der Spendenaufruf des Emma Goldman Archivs als politisch zu brisant. Das Verbot führte landesweit zu Protesten, so dass sich die Universitätsleitung schließlich zum Nachgeben gezwungen sah.
Dass Emma Goldman noch lange Zeit nach ihrem Tod politische Kontroversen auslöste, verwundert nicht. Ihr Leben lang war sie eine politische Unruhestifterin. Ihre Memoiren aber zeigen auch, dass sie bei aller Leidenschaft, mit der sie gegen die herrschenden Zustände ankämpfte, niemals ihren Sinn für Zärtlichkeit und ihre Sehnsucht nach Liebe verloren hat. Ein bewegendes Buch über eine starke und leidenschaftliche Frau, die nicht nur in der Geschichte des internationalen Anarchismus ihre bleibenden Spuren hinterlassen hat.
Jochen Schmück,
Potsdam im Oktober 2010
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