Bakunin, Michail Aleksandrovič: Unterschied zwischen den Versionen
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* Michail Bakunin: Frühschriften. Hrsg. von Rainer Beer. Verlag Jakob Hegner, Köln 1973. | * Michail Bakunin: Frühschriften. Hrsg. von Rainer Beer. Verlag Jakob Hegner, Köln 1973. | ||
− | * Michael Bakunin: Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Wolfgang Eckhardt. Band 1: Gott und der Staat (1871). Einleitung Paul Avrich. Karin Kramer Verlag, Berlin 1995 (2. durchgesehene und aktualisierte Aufl. 2005). Band 2: ›Barrikadenwetter‹ und ›Revolutionshimmel‹ (1849). Artikel in der ›Dresdner Zeitung‹. Einleitung Boris Nikolaevskij. Karin Kramer Verlag, Berlin 1995. Band 3: Russische Zustände (1849). Einleitung Boris Nikolaevskij. Karin Kramer Verlag, Berlin 1996. Band 4: Staatlichkeit und Anarchie. Einleitung Wolfgang Eckhardt. Karin Kramer Verlag, Berlin 1999 (2. durchgesehene, aktualisierte und erweiterte Aufl. 2007). Band 5: Konflikt mit Marx. Teil 1: Texte und Briefe bis 1870. Einleitung Wolfgang Eckhardt. Karin Kramer Verlag, Berlin 2004. [weitere Bände in Vorbereitung] | + | * Michael Bakunin: Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Wolfgang Eckhardt. Band 1: Gott und der Staat (1871). Einleitung Paul Avrich. Karin Kramer Verlag, Berlin 1995 (2. durchgesehene und aktualisierte Aufl. 2005). Band 2: ›Barrikadenwetter‹ und ›Revolutionshimmel‹ (1849). Artikel in der ›Dresdner Zeitung‹. Einleitung Boris Nikolaevskij. Karin Kramer Verlag, Berlin 1995. Band 3: Russische Zustände (1849). Einleitung Boris Nikolaevskij. Karin Kramer Verlag, Berlin 1996. Band 4: Staatlichkeit und Anarchie. Einleitung Wolfgang Eckhardt. Karin Kramer Verlag, Berlin 1999 (2. durchgesehene, aktualisierte und erweiterte Aufl. 2007). Band 5: Konflikt mit Marx. Teil 1: Texte und Briefe bis 1870. Einleitung Wolfgang Eckhardt. Karin Kramer Verlag, Berlin 2004. [weitere Bände in Vorbereitung] [http://www.bibliothekderfreien.de/bakunin/schriften/index.html (Internet-Präsentation der ›Ausgewählte Schriften‹ Bakunins)] |
* Michael Bakunin: Die revolutionäre Frage. Föderalismus, Sozialismus, Antitheologismus. Hrsg. von Wolfgang Eckhardt. Übersetzung von Michael Halfbrodt. (Klassiker der Sozialrevolte; 6). Unrast-Verlag, Münster 2000 (2. Auflage: 2005). | * Michael Bakunin: Die revolutionäre Frage. Föderalismus, Sozialismus, Antitheologismus. Hrsg. von Wolfgang Eckhardt. Übersetzung von Michael Halfbrodt. (Klassiker der Sozialrevolte; 6). Unrast-Verlag, Münster 2000 (2. Auflage: 2005). |
Version vom 9. Dezember 2007, 11:41 Uhr
Lexikon der Anarchie: Personen
Michail Aleksandrovič Bakunin (russisch: Михаил Александрович Бакунин, geb. 30. Mai 1814 in Prjamuchino, Gouvernement Tver’; gest. 1. Juli 1876 in Bern), russischer Revolutionär und Mitbegründer des herrschaftslosen Sozialismus.
Inhaltsverzeichnis
Biographie und politische Entwicklung
Bakunin entstammt einer alten russischen Adelsfamilie. Sein Vater Aleksandr Michajlovič Bakunin — er war mit neun Jahren ins Ausland geschickt worden, hatte in Padua promoviert und 1789 in Paris den Ausbruch der Französischen Revolution miterlebt — war ein aufgeklärter Adliger und Oberhaupt des Familiengutes Prjamuchino (Gouvernement Tver’, nordwestlich von Moskau) mit mindestens 500 Leibeigenen. Das Haus der Bakunins stand den gebildeten und fortschrittlichen Persönlichkeiten ihrer Zeit offen, wodurch das Familienleben (1810 Heirat mit Varvara Aleksandrovna Murav’eva) ein ungewöhnliches geistiges und kulturelles Niveau erhielt, das sich auch auf die elf Kinder, die aus der Ehe hervorgingen, positiv auswirkte.
Nach zwei Töchtern kommt Bakunin am 30. Mai (nach julianischem Kalender: 18. Mai) 1814 als drittes Kind in der ländlichen Idylle zur Welt und verlebt eine glückliche und geborgene Kindheit, ohne mit der von Despotismus und Leibeigenschaft geprägten russischen Wirklichkeit konfrontiert zu werden. Er ist elf Jahre alt, als russische Adlige 1825 im sog. Dekabristenaufstand vergeblich gegen den Zarismus rebellieren. Bakunins Vater, der Freunde und Verwandte unter den Verschwörern besitzt und einer in den Aufstand verwickelten Gruppe angehört hat, setzt von nun an auf unbedingte Loyalität gegenüber dem Zaren und schickt seinen ältesten Sohn Michail im Dezember 1828 auf die Petersburger Artillerieschule: Bakunin soll die standesgemäße Militärlaufbahn einschlagen.
Seinem bisherigen kultivierten Milieu entrissen, kann Bakunin gegenüber dem Stumpfsinn und sturen Drill des Militärs nur äußersten Abscheu empfinden. Im Januar 1833 wird er Offizier und nutzt die endlich gewonnene Bewegungsfreiheit, um sich ins gesellschaftliche Leben St. Petersburgs zu stürzen — ohne allerdings darin Befriedigung zu finden. Die Vernachlässigung seiner Kurse an der Artillerieschule bringt ihm im Februar 1834 einen Verweis und die Strafversetzung nach Weißrußland und Litauen ein. Vom Dienst in der trostlosen Provinz angeödet, versucht er seinem Dasein durch die Lektüre wissenschaftlicher Werke in der Freizeit einen neuen Sinn zu geben und knüpft darüber erste Kontakte zur Philosophie. Als ihn jedoch ein dienstlicher Auftrag in die Nähe des Familiengutes in Prjamuchino führt, kehrt er nicht wieder zu seinem Regiment zurück — der Festnahme wegen Desertion entgeht er dabei nur knapp durch die Fürsprache einflußreicher Verwandter. Im Dezember 1835 wird er schließlich auf eigenen Wunsch aus der Armee entlassen.
Nachdem Bakunin die Forderung seines Vaters, nun wenigstens einen Posten im Staatsdienst anzunehmen, ebenfalls abgelehnt hat, verläßt er im Februar 1836 abrupt das Elternhaus und zieht nach Moskau; notfalls will er sich als Mathematiklehrer durchschlagen. In Moskau schließt sich Bakunin dem Kreis um Nikolaj Vladimirovič Stankevič an, dem auch der später berühmt gewordene Literaturkritiker Vissarion Grigorevič Belinskij angehört. Stankevič hat Bakunin bereits im Jahr zuvor kennengelernt und ihn in die damals richtungweisende deutsche Philosophie eingeführt. Nach der Lektüre von Kant wendet sich Bakunin in Moskau unter der Anleitung von Stankevič jetzt Fichte zu. Begeistert von dessen romantischem Idealismus übersetzt er im März 1836 vier der insgesamt fünf ›Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten‹ von Fichte und veröffentlicht sie in der Zeitschrift ›Teleskop‹. Noch stärker aber zieht Hegel Bakunin in seinen Bann, dessen Philosophie er sich in intensiven Studien erfolgreich aneignet: Nach der Abreise von Stankevič ins Ausland (1837) gilt er bereits als bester Hegelkenner Rußlands und als Wortführer des Moskauer Kreises. 1838 erscheint in Belinskijs Zeitschrift ›Moskovskij Nabljudatel’‹ der erste authentische Hegeltext in russischer Sprache: die ›Gymnasialreden‹ — von Bakunin übersetzt und mit einer charakteristischen Einleitung versehen, die als Programm des Kreises gelten kann. Im Frühjahr 1840 veröffentlicht er einen weiteren aufsehenerregenden Artikel (›Über die Philosophie‹ in der Zeitschrift ›Otečestvennyje Zapiski‹), verläßt dann aber mit finanzieller Unterstützung von Aleksandr Ivanovič Gercen (Alexander Herzen), mit dem ihn eine lebenslange kontroverse Freundschaft verbindet, im Juli 1840 Rußland, um seine Studien in Berlin fortzusetzen. Sein Ziel ist, sich auf eine Professur in Moskau vorzubereiten. Bakunin besucht ab Oktober 1840 die Berliner Universität, wendet sich jedoch unter dem Einfluß des Linkshegelianismus ab 1841 zunehmend politischen Themen zu. Nach dem Wintersemester 1841/42 verläßt er die Universität und zieht nach Dresden, wo er mit dem radikalen Linkshegelianer Arnold Ruge verkehrt und den revolutionären Dichter Georg Herwegh kennenlernt. Seinen Plan einer Universitätskarriere in Moskau hat er inzwischen aufgegeben: Am 9. Oktober 1842 teilt er seinem Bruder Nikolaj mit, er werde nicht mehr nach Rußland zurückkehren. Zwei Wochen später erscheint in Ruges ›Deutschen Jahrbüchern für Wissenschaft und Kunst‹ unter dem Pseudonym Jules Elysard Bakunins epochemachender Artikel ›Die Reaction in Deutschland‹, in dem er — noch in hegelianischem Jargon — den Übergang von der Philosophie zur direkten Diskussion der revolutionären Frage vollzieht und den bestehenden Zuständen ihren Untergang voraussagt. Als sich die russische Gesandtschaft in Dresden aufgrund seiner politischen Beziehungen mit ihm zu befassen beginnt, setzt er sich im Januar 1843 mit Herwegh nach Zürich ab, wo er den Frühkommunisten Wilhelm Weitling kennenlernt. Nach der plötzlichen Verhaftung von Weitling und der Veröffentlichung der bei ihm gefundenen Papiere wird die russische Gesandtschaft in Bern auf Bakunin aufmerksam; als er deren Aufforderung zur Rückkehr nach Rußland nicht Folge leistet, wird er im Juni 1844 vom russischen Staatsrat in Abwesenheit zum Verlust der Adelsrechte und zur Deportation nach Sibirien verurteilt. Dessenungeachtet fährt Bakunin über Brüssel nach Paris, wo er im Januar 1845 in der Zeitschrift ›La Réforme‹ als erster russischer Revolutionär gegen den Zarismus protestiert. Bakunins Ideen nehmen nun ihre bekannte Richtung. Am 29. März 1845 schreibt er seinem Bruder Pavel: »Ich bin derselbe wie früher — ein erklärter Feind der bestehenden Wirklichkeit, mit dem alleinigen Unterschied, daß ich kein Theoretiker mehr bin, daß ich endlich Metaphysik und Philosophie in mir besiegt und mich mit Leib und Seele in die praktische Welt gestürzt habe [...]. Alles, was die Menschen befreit, was sie zu sich selbst kommen läßt, ihnen den Sinn ihres eigenen Lebens bewußt macht, sie zu eigenständigem und wirklich unabhängigem Handeln anhält, alles, das ihnen die Kraft gibt, sie selbst zu sein — ist wahr; — alles übrige ist falsch, freiheitstötend, absurd. — Den Menschen befreien, das ist die einzige legitime und wohltuende Einflußnahme.« In Paris gewinnt er die Freundschaft Pierre-Joseph Proudhons und lernt Karl Marx und die zahlreichen französischen Sozialisten kennen. Dennoch bleibt er mit seinen Ideen isoliert — außer zu Proudhon unterhält Bakunin keine intensiveren politischen Beziehungen.
Ein politisches Wirkungsfeld ergibt sich für Bakunin erst, als er nach einem Artikel über Polen und Weißrußland (in ›Le Constitutionnel‹, März 1846) in näheren Kontakt zur polnischen Emigration in Paris tritt. Auf deren Einladung hält er am 29. November 1847 zum 17. Jahrestag des polnischen Aufstandes von 1830 eine Rede, in der er die Polen zu einem revolutionären Bündnis mit den russischen Demokraten auffordert, um gemeinsam den Sturz des Zarismus herbeizuführen. Diese Rede macht Bakunin in ganz Europa bekannt, hat aber zur Folge, daß er auf Verlangen des russischen Botschafters aus Frankreich ausgewiesen wird. Bakunin begibt sich daraufhin nach Brüssel und hält eine weitere Rede in einer polnischen Versammlung. Bereits nach zwei Monaten führt ihn die Pariser Februarrevolution 1848 wieder nach Paris zurück, Ende März 1848 macht er sich jedoch auf den Weg Richtung Polen, wo er sich dem gerade von General Ludwik Mierosławski aufgestellten revolutionären Bauernheer anschließen und an einem geplanten Vorstoß gegen das Russische Reich teilnehmen will. Auf seinem Weg durchreist Bakunin das revolutionäre Deutschland, kommt aber nur bis Breslau, da die polnische Bewegung inzwischen von preußischen Truppen unterdrückt worden ist. Im Juni 1848 beteiligt er sich am Slawenkongreß und dem anschließenden Pfingstaufstand in Prag, der jedoch durch österreichisches Militär niedergeschlagen wird. Zurück in Breslau fällt Bakunin die am 6. Juli 1848 von Marx’ ›Neuer Rheinischer Zeitung‹ verbreitete Falschmeldung — nach der französischen Schriftstellerin George Sand vorliegenden Papieren sei Bakunin ein Agent Rußlands — »wie ein Dachziegel auf den Kopf«. George Sand, die Bakunin in Paris kennengelernt hat, weiß aber gar nichts davon — als Bakunin ihr die Meldung übermittelt, antwortet sie mit einer entschiedenen Gegendarstellung. Nach der überraschenden Ausweisung aus Preußen und Sachsen (Oktober 1848) bleibt Bakunin den Winter über in Anhalt, wo er sein verschiedentlich angefeindetes Konzept einer engen Verbindung zwischen deutschen und slawischen Demokraten in der Broschüre ›Aufruf an die Slaven‹ zusammenfaßt. Seiner Überzeugung entsprechend unterhält Bakunin neben seinen im Vordergrund stehenden slawischen Aktivitäten auch vielfältige Kontakte zur deutschen Revolutionsbewegung. Im Mai 1849 übernimmt er die militärische Führung im Rahmen einer revolutionären Regierung in Dresden, die den sächsischen König zur Flucht gezwungen hat und sich bald mit dem Einmarsch preußischer Truppen konfrontiert sieht. Seine Mitstreiter, darunter z.B. Richard Wagner, anerkennen später seine ruhige Entschlossenheit und sein beachtliches Organisationstalent. Auf dem Rückzug in Chemnitz wird er jedoch verhaftet.
In Sachsen wird er zum Tode verurteilt, dann aber begnadigt und im Juni 1850 an Österreich ausgeliefert, wo er wegen seiner Beteiligung am Prager Pfingstaufstand zum Tod durch Erhängen und schließlich zu lebenslänglicher Kerkerhaft verurteilt wird. Im Mai 1851 liefern ihn die österreichischen Behörden schließlich an Rußland aus, wo er ohne weiteren Prozeß in mehreren Festungsgefängnissen in Haft gehalten wird. Hier schreibt er auf Verlangen des Zaren Nikolaus I. die sogenannte ›Beichte‹, deren Inhalt er später als »Dichtung und Wahrheit« bezeichnet. Tatsächlich ist Bakunin nicht, wie manchmal behauptet wird, in der ›Beichte‹ moralisch zusammengebrochen: Seiner Schwester Tat’jana vertraut er im Februar 1854 in einem an den Gendarmen vorbeigeschmuggelten Brief an, er hege auf jeden Fall »die Hoffnung aufs neue zu beginnen, wo ich aufhören mußte, weshalb man mich hierher geführt hat, nur mit größerer Zähigkeit, vielleicht mit größerer Umsicht«. Entsprechend verrät Bakunin nichts, was nicht schon in den vorangegangenen Prozessen in Dresden und Prag durch andere Beweise bekanntgeworden war, versucht aber durch eine farbige Schilderung seiner Tätigkeit mit Erfolg eine wirkliche Untersuchung gegen sich abzuwenden. Dem Ziel, durch Zugeständnisse in der äußeren Form des Berichtes seine verzweifelte Lage zu verbessern, kommt er damals nicht näher. Erst nach weiteren sechs Jahren und einem nochmaligen Bittgesuch an den neuen Zaren Alexander II. wird die Kerkerhaft im März 1857 in Verbannung nach Sibirien umgewandelt. Dort findet er eine Anstellung in einer Handelsgesellschaft (den Eintritt in den Staatsdienst hat er abgelehnt) und heiratet im Oktober 1858 die Polin Antonija Kwiatkowska. Im Juni 1861 reist er »geschäftlich« ins Amur-Gebiet im Osten Sibiriens, von wo ihm dann die Flucht über Japan und Amerika nach Europa glückt. Antonija kann später legal über Moskau ausreisen; im April 1863 sehen sich beide wieder. Nach seiner Ankunft in London (27. Dezember 1861) arbeitet Bakunin zunächst mit Herzen und Nikolaj Platonovič Ogarev bei der Herausgabe des russischen Oppositionsblattes ›Kolokol‹ zusammen. Gleichzeitig versucht er zu Oppositionsgruppen in Rußland Kontakt aufzunehmen und beteiligt sich im März 1863 an einer bewaffneten Schiffsexpedition zur Unterstützung polnischer Revolutionäre. Das Fiasko dieser Unternehmung und deren unerfreuliche Begleitumstände lassen Bakunin seine seit 1847 vor allem auf die slawische Revolution gerichtete Tätigkeit neu überdenken.
Im Anschluß an eine Rundreise, die ihn nach Schweden, England, Belgien und Frankreich führt, läßt er sich 1864 in Italien nieder, wo er eine internationale Geheimgesellschaft unter dem Namen ›Fraternité internationale‹ (Internationale Bruderschaft) gründet. Die Programme, die Bakunin für diese und spätere Organisationen verfaßt, geben ihm Gelegenheit zur ausführlichen Erörterung theoretischer und organisatorischer Fragen der revolutionären Bewegung. Die darin zum Ausdruck gebrachte Darstellung des Aufbaus geheimer revolutionärer Gruppen (eine strikt vertikale Organisationsstruktur mit verschiedenen Graden von Mitgliedern) besteht allerdings größtenteils nur auf dem Papier. In Wirklichkeit bilden überwiegend Freunde und Bekannte Bakunins, z.B. Elisée Reclus, den er im Jahre 1864 kennenlernt, diese Gruppen, für deren Zusammenhalt keine geheimen Hierarchien sorgen, sondern die persönliche Übereinstimmung ihrer Mitglieder. Dagegen besitzen die in den Programmen geäußerten revolutionstheoretischen Überlegungen einen großen Stellenwert für Bakunins politische Entwicklung. Sein neuer Ausgangspunkt ist die Vision einer internationalen Revolution, die weltweit mit allen staatlichen Institutionen und sozialen Zwangsverhältnissen Schluß machen soll. Dieser historische Umbruch dürfe aber keinesfalls das Werk einer Führerclique oder Avantgarde sein. Die Revolution müsse sich vielmehr durch einen möglichst lebendigen Aufbruch von unten, aus dem Volk vollziehen und zu neuen freiheitlichen Formen der gesellschaftlichen Organisation führen: die Verwaltung des öffentlichen Lebens durch Delegierten-Komitees, die Bildung von unabhängigen Kommunen (Gemeinden und Kreisen), eine groß angelegte Föderierung aller Initiativen, mit einem Wort: die Anarchie. Nur eine solche Gesellschaftsordnung schaffe nach Bakunin die Freiheit, nicht ein angeblich vorübergehender revolutionärer Staat. Ebensowenig werde ein reformierter bürgerlicher Staat die ganze Freiheit verwirklichen, da er durch »die sogenannten praktischen Tagesnotwendigkeiten« der Realpolitik die Einlösung der revolutionären Forderungen nur hinauszögere. Bakunin knüpft hierbei an jene sozialrevolutionäre Ideentradition an, nach der nicht die Beteiligung an bestehenden oder künftigen Herrschaftsverhältnissen die Menschen befreien werde, sondern die Verweigerung der Beteiligung, die Überwindung der Herrschaftsverhältnisse und der Aufbau neuer Gemeinschaftsformen. Die solidarisch verbundenen Mitglieder der ›Fraternité‹ hätten daher auf eine Revolution hinzuarbeiten, in der ihnen zunächst eine negative Aufgabe zufalle: Sie sollten nicht die Macht an sich reißen, sondern das Entstehen jeder neuen Macht, die dem Volk immer entgegengesetzt sein werde, verhindern. Mit diesen Programmentwürfen, die ab 1864 in verschiedenen Versionen erhalten geblieben sind, legt Bakunin den Grundstein für seine anarchistische Weltanschauung, für die er ab jetzt ausschließlich tätig ist; am 8. September 1867 bezeichnet sich Bakunin in der Zeitschrift ›Libertà e Giustizia‹ erstmals als »Anarchist«.
In Italien gelingt es Bakunin in den Jahren 1864-1867, verschiedene Personen dauerhaft für diese Ideen zu gewinnen. Im August 1867 reist er nach Genf, um am Gründungskongreß der ›Internationalen Friedens- und Freiheitsliga‹ teilzunehmen, zu dem Demokraten und Radikale aus ganz Europa eingeladen worden sind, um ein gemeinsames Programm auszuarbeiten. In seiner Rede vor dem Kongreß (10. September 1867) erklärt Bakunin einen dauerhaften Frieden zwischen den bestehenden Militärstaaten für unmöglich und fordert daher die Auflösung der auf Despotismus und Eroberung beruhenden Zentralstaaten. Er wird ins Komitee der Liga gewählt, für die er eine Zusammenfassung seiner Ideen schreibt, deren definitiver Titel wohl ›Die revolutionäre Frage. Föderalismus, Sozialismus und Antitheologismus‹ gewesen wäre, die aber zu seinen Lebzeiten nicht mehr erschienen ist. Auf dem zweiten Kongreß der Liga (September 1868 in Bern), bei dem die unterschiedlichen Auffassungen ihrer Mitglieder zu einer Entscheidung drängen, werden Bakunins Ansichten jedoch mehrheitlich abgelehnt, so daß er sich unter Verlesung einer Austrittserklärung zusammen mit weiteren 17 Mitgliedern des Kongresses von der Liga trennt. Bakunin, der seit Juni / Juli 1868 Mitglied der knapp vier Jahre zuvor gegründeten Internationalen Arbeiterassoziation (Ersten Internationale) ist, schlägt den Austretenden in Bern vor, der Internationale beizutreten und ihre persönliche Verbindung lediglich intern unter der Bezeichnung ›Alliance internationale de la Démocratie Socialiste‹ fortzusetzen. Am Ende wird jedoch beschlossen (Oktober 1868), daß sich die Alliance darüber hinaus auch öffentlich als eigenständige Organisation in und neben der Internationale konstituieren soll, obwohl, wie Bakunin kritisiert, »eine solche neue internationale Organisation ein ziemlich unerwünschter Rivale« der Internationale werden würde. Tatsächlich wird die Genfer Alliance-Gruppe schließlich nur unter Wegfall der Dachorganisation in die Internationale aufgenommen.
Auf Bakunins Initiative unternimmt Giuseppe Fanelli, einer seiner Freunde aus der Alliance, im November 1868 eine Agitationsreise nach Spanien, woraufhin die ersten spanischen Sektionen der Internationale gegründet werden. Bakunin selbst arbeitet aktiv in den Genfer Sektionen der Internationale und wird Redakteur der ›Égalité‹, des Organs der Romanischen Föderation der Internationale in der Schweiz. Im Februar und Mai 1869 unternimmt er Vortragsreisen in den Jura, wo er unter den dortigen Aktivisten persönliche Freunde gewinnt, unter anderem James Guillaume. Nach seiner Teilnahme am 4. Kongreß der Internationale (September 1869 in Basel) verläßt Bakunin jedoch aus familiären Gründen Genf und zieht im November 1869 nach Locarno.
Bereits im März 1869 ist Bakunin mit Sergej Gennadievič Nečaev bekannt geworden, einem skrupellosen Revolutionär, der sich als Beauftragter eines geheimen Moskauer Aktionskomitees ausgibt und Bakunin durch seine leidenschaftliche Energie vorübergehend für sich einnehmen kann. Als im Juni 1870 offenbar wird, daß Nečaev mit rigorosen Methoden seine Umgebung zu dominieren versucht, kommt es zwischen ihm und Bakunin zum Bruch. Bakunin ist aus dieser Episode viel Schaden entstanden, unter anderem sind verschiedene Flugschriften Nečaevs (ebenso dessen ›Revolutionärer Katechismus‹) fälschlich Bakunin zugeschrieben und gegen ihn benutzt worden.
Die Nachrichten über den im Juli 1870 ausgebrochenen deutsch-französischen Krieg verfolgt Bakunin mit gespannter Aufmerksamkeit. Nach seiner Einschätzung werde der Krieg in einer instabilen Situation enden, in der durch bewaffnete Aufstände in der Provinz ein allgemeines revolutionäres Signal gegeben werden könne. Zu diesem Zweck begibt er sich im September 1870 nach Lyon, wo der von ihm und seinen Freunden unternommene revolutionäre Versuch allerdings ohne entscheidende Unterstützung bleibt und fehlschlägt. Er ist schließlich im Oktober 1870 gezwungen, das Land über Marseille heimlich zu verlassen.
Zurück in Locarno macht sich Bakunin ab Oktober 1870 daran, nach den jüngsten Erfahrungen seinen Ideen in einem umfangreichen Buch eine abschließende Form zu geben. Aus der großen Menge von Manuskriptfragmenten erscheint zu seinen Lebzeiten jedoch nur ›Das knutogermanische Kaiserreich und die soziale Revolution. Erste Lieferung‹ (April 1871), während weitere Teile des Manuskripts nach Bakunins Tod von Elisée Reclus herausgegeben werden, unter anderem ein Fragment, das Reclus unter dem Titel ›Gott und der Staat‹ veröffentlicht und das seitdem (1882) zu Bakunins bekanntesten Werken und zu den am weitesten verbreiteten Schriften der libertären Literatur überhaupt gehört. Von ganzem Herzen begrüßt er im März 1871 die Erhebung der Pariser Kommune und fährt im April zu seinen Freunden in den Jura, die eine Hilfsaktion vorbereiten. Als im Juli 1871 der italienische Republikaner Giuseppe Mazzini in verschiedenen Artikeln die Pariser Kommune und die Internationale angreift, reagiert Bakunin mit seinem glänzenden Artikel ›Antwort eines Mitglieds der Internationale an Mazzini‹ (August 1871), dem sich wieder längere Manuskriptfragmente anschließen, von denen der wesentliche Teil im Dezember 1871 unter dem Titel ›Die politische Theologie Mazzinis und die Internationale. Erster Teil‹ erscheint. Die Polemik erregt großes Aufsehen und führt zu einem ersten großen Aufschwung der Internationale in Italien, der u.a. Errico Malatesta in Bakunins engeren Kreis führt. Nachdem Bakunin bereits zur Gründung der Internationale in Spanien den Anstoß gegeben hat, entwickelt sich auf diese Weise auch die Bewegung in Italien aufgrund seiner Einwirkung.
Von Marx, der im Londoner Generalrat der Internationale die tonangebende Figur ist, wird Bakunins Tätigkeit jedoch seit seinem Eintritt in die Internationale und der Auseinandersetzung um die Zulassung der Alliance mit ungewöhnlichem Mißtrauen und Haß verfolgt. So ist in Marx’ Briefwechsel ab 1868 von Bakunin nur noch als »dem Intriganten«, »Vieh« oder »diesem verdammten Moskowiter« die Rede. »Er soll sich in Acht nehmen«, kündigt Marx unheilsschwanger Friedrich Engels bereits im Juli 1869 an. »Sonst wird er offiziell exkommuniziert«. Noch heute verblüfft der unsachliche Stil, mit dem Marx seine erbitterte Polemik gegen Bakunin zu einem Zeitpunkt beginnt, an dem sich die historische Differenz zwischen Marxismus und Anarchismus abzeichnet und eine inhaltlich bestimmte Auseinandersetzung wichtig gewesen wäre. Der Gegensatz entzündet sich vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen dem Generalrat der Internationale, repräsentiert durch Marx, und den ihre programmatische und organisatorische Autonomie verteidigenden Föderationen der Internationale, repräsentiert durch Bakunin. Der Konflikt erreicht im Jahre 1872 seinen Höhepunkt, als Marx auf dem in seiner Zusammensetzung manipulierten Haager Kongreß der Internationale Bakunin und James Guillaume ausschließen läßt und gleichzeitig seine staatssozialistische Doktrin — Konstituierung des Proletariats als politische Partei, Eroberung der politischen Macht — anstelle des bisherigen Meinungspluralismus in den Statuten der Internationale festschreiben läßt. Diese Beschlüsse werden im Folgenden von Sektionen und Föderationen der Internationale in Italien, Spanien, dem Schweizer Jura, Frankreich, Belgien, England, Holland und Amerika für null und nichtig erklärt. Auf diese Weise verkehrt sich Marx’ Sieg in Den Haag relativ schnell in eine Niederlage: In den kommenden Jahren geht die übergroße Mehrheit der Internationale ihren Weg ohne Marx und ohne Generalrat.
Für Bakunin, der die Gegenaktion der Sektionen und Föderationen nach Kräften unterstützt hat, stehen in seinen letzten Lebensjahren vor allem russische und italienische Verbindungen im Vordergrund. Im Sommer 1872 besucht er die Kolonie russischer Studenten/-innen in Zürich und knüpft dort zahlreiche Kontakte. Mit einzelnen Mitgliedern der Kolonie gründet er 1873 eine Druckerei, in der sein umfangreichstes zu Lebzeiten erschienenes Werk gedruckt wird: ›Staatlichkeit und Anarchie‹. Das Buch wird in großer Stückzahl nach Rußland geschmuggelt und sorgt dafür, daß Bakunins Ideen auch in seiner Heimat große Verbreitung finden. In ›Staatlichkeit und Anarchie‹ formuliert Bakunin unter anderem seine grundlegende Kritik am Konzept der »Diktatur des Proletariats« und ihren marxistischen Vertretern: »Sie versichern, daß allein die Diktatur, natürlich die ihre, die Freiheit des Volkes schaffen kann; wir dagegen behaupten, daß eine Diktatur kein anderes Ziel haben kann als nur das eine, sich zu verewigen, und daß sie in dem Volk, das sie erträgt, nur Sklaverei zeugen und nähren kann«. Ein weiterer Unterschied wird in der Frage des Subjekts der revolutionären Veränderung offenbar: Statt auf eine straffe Organisation der Industriearbeiterschaft (als »Partei der Arbeiterklasse«) setzt Bakunin auf die spontane und fortgesetzte Aktion des Proletariats des Landes und der Städte, einschließlich »jenes bettelarmen Proletariats, von dem Marx und Engels, und mit ihnen die ganze Schule der deutschen Sozialdemokraten mit tiefster Verachtung als vom Lumpenproletariat sprechen«.
Bakunin beteiligt sich noch im August 1874 an dem Aufstandsversuch seiner italienischen Freunde in Bologna, zieht sich aber danach zu Tode erschöpft von der Bewegung zurück. Er stirbt mit 62 Jahren am 1. Juli 1876 in Bern.
Bakunins Stellenwert innerhalb des libertären Spektrums
Bakunin gehört zu den zentralen Figuren des libertären Sozialismus und kann als dessen Mitbegründer und erster Organisator gelten. Mit Bakunin entwickelt sich der Anarchismus erstmals zur revolutionären Massenbewegung, in Spanien und Italien hält der Sozialismus sogar insgesamt zuerst in Gestalt von Bakunins Anarchismus Einzug. In Rußland wirkt Bakunin auf die gesamte Generation der 1870er Jahre: Selbst Plechanov war zu Beginn seiner Karriere »Bakunist«. Als Stammvater des Anarcho-Syndikalismus erstreckt sich sein Einfluß ferner auf Länder wie Frankreich (Syndikalismus vor dem Ersten Weltkrieg) und Deutschland (Anarcho-Syndikalismus in der Weimarer Republik). Zum Teil erklärt sich diese Breitenwirkung durch die Pionierrolle, die Bakunin vor dem Hintergrund der Auffächerung des Sozialismus in Sozialdemokratie, Kommunismus und Anarchismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zugefallen ist. Während sich Kommunismus und Sozialdemokratie von Marx und Engels herleiten und in ihnen beide staatssozialistischen Ansätze tatsächlich lautstarke Begründer fanden, wäre die herrschaftskritische Spielart des Sozialismus ohne Bakunin vielleicht von vornherein massenmäßig überrollt worden. Durch seine Ideen und seine mitreißende Tätigkeit hat aber Bakunin der libertären Bewegung einen Platz gesichert und ihr den Weg geebnet.
In diesem Sinne gehören Bakunins Ideen strömungsübergreifend dem gesamten herrschaftslosen Sozialismus an, sie bilden sozusagen das Urgestein antiautoritären Gedankengutes. So haben sich entgegen ihrer sonstigen Differenzen so unterschiedliche Libertäre wie z.B. der Individual-Anarchist Benjamin R. Tucker und Petr Kropotkin, der gewaltfreie Anarchist Ferdinand Domela-Niewenhuis und Johann Most, ebenso Gustav Landauer, Erich Mühsam, Emma Goldman und viele andere auf Bakunin bezogen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Bakunin erst in den 1960er Jahren im Zuge der Studentenbewegung für größere Kreise interessant geworden, wenn auch zunächst häufig nur als legendäre Gestalt und revolutionäre Symbolfigur.
Überhaupt sind Bakunins Beiträge zur anarchistischen Theorieentwicklung lange Zeit unterschätzt worden — vielleicht auch aufgrund des unsystematischen Stils seiner Schriften, die zwar gespickt sind mit außergewöhnlichen Ideen und Einsichten, aber zum Teil die richtigen Proportionen vermissen lassen. Bakunin hat keines seiner Werke als abstrakte Gedankenkonstruktion verfaßt, sondern in der intensiven Auseinandersetzung mit seiner Zeit und im Zusammenhang mit seiner revolutionären Tätigkeit. Die Kenntnis seiner Biographie, die in großem Umfang durch Max Nettlau (1865-1944) aufgearbeitet und dokumentiert wurde, ist daher zum Verständnis seines Werkes von großer, aber oft vernachlässigter Bedeutung. Eine diesen Umstand beispielhaft berücksichtigende Ausgabe seiner späten Schriften und Briefe in den Originalsprachen erschien in den Jahren 1961-1981 in Holland (Archives Bakounine, 7 Bände, herausgegeben von Arthur Lehning). Die erste vollständige — aber unkommentierte — Werkedition (auf CD-ROM) wurde im Jahre 2000 vom Amsterdamer IISG besorgt.
Zur Kennzeichnung seiner Ideen hat sich Bakunin eine Zeitlang auf den Begriff Kollektivismus bezogen, mit dem er die Vorstellung einer basisorientierten und auf dem Kollektiveigentum beruhenden Gesellschaftsorganisation verband, deren ökonomischer Ausdruck das Vorwiegen assoziierter Arbeit und ein Aufweichen der Trennung von Hand- und Kopfarbeit sei. Größere Bedeutung als seine ökonomische Konzeption haben aber vielleicht für heute seine von Proudhon inspirierten föderalistischen Freiheitsideen, die ein fester Bestandteil seiner anarchistischen Konzeption geworden sind. So hat Bakunin zum Ende seines Lebens die Anarchie definiert als »selbständige und freiheitliche Organisation aller Einheiten oder Elemente, die die Gemeinden bilden, und [...] deren freie Föderation von unten nach oben — nicht auf Befehl irgendeiner Obrigkeit, und sei es einer gewählten, und nicht nach den Richtlinien irgendeiner gelehrten Theorie, sondern infolge einer völlig natürlichen Entwicklung von Bedürfnissen aller Art, die sich aus dem Leben selbst ergeben.« Bakunins Vision war die weitestgehende Verwirklichung gesellschaftlicher Freiheit, die er für das einzige Milieu hielt, »in welchem die Intelligenz, die Würde und das Glück der Menschen sich entwickeln und wachsen können«.
Bakunin hat dem emanzipatorischen Gehalt des Anarchismus mit unvergleichlicher Intensität Ausdruck verliehen. Sein Eintreten für freiheitliche Gemeinschaftsformen geht dabei mit einer eingehenden Kritik autoritärer Gesellschaftskonzepte einher, ob sie vom Prinzip des Zentralismus oder etwa von Rousseaus Lehre vom ›Gesellschaftsvertrag‹ ausgehen. Aber auch mit seiner Kritik am aristokratischen, parlamentarischen oder sogar prophetisch am parteikommunistischen Herrschaftssystem hat er wichtige antiautoritäre Fundamente freigelegt. Ebenso hat er gegen die Kirche als institutionalisierte Religion, die den Menschen mit einer übermächtigen Gottesvorstellung erdrückt, Position bezogen, oder aber eine Wissenschaft, die sich unkontrollierbar von der Gesellschaft entfernt, schärfstens kritisiert, in der Überzeugung, daß aus einem religiös oder selbst wissenschaftlich begründeten Führungsanspruch schon immer generelle Machtansprüche gegenüber der Gesellschaft abgeleitet worden sind. Die Beteiligung an der Herrschaft von Menschen über Menschen kann nach Bakunin nur verheerende Folgen haben, da »Macht ebenso zersetzend auf den wirkt, der sie hat, wie auf den, der ihr gehorchen muß.« Gegenüber den oft noch heute wirksamen Legitimationsversuchen von Herrschaft erweisen sich Bakunins sozialrevolutionäre Emanzipations-Ideen von ungebrochener Aktualität.
Schriften und Briefe Bakunins (grundlegende Ausgaben)
In deutscher Sprache:
- Michail Bakunins Sozial-politischer Briefwechsel mit Alexander Iw. Herzen und Ogarjow. Hrsg. von Michail Dragomanow. Übersetzung von Boris Minzès. (Bibliothek Russischer Denkwürdigkeiten; 6). Verlag der I. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart 1895. [erweiterter Reprint: Karin Kramer Verlag, Berlin 1977]
- Michael Bakunin: Gesammelte Werke. Band 1: Vorwort, Schlußbemerkung und Anmerkungen von Erwin Rholfs. Band 2 und 3: Vorwort, Erläuterungen und Anmerkungen von Max Nettlau. Verlag ›Der Syndikalist‹, Berlin 1921, 1923 und 1924. [erweiterter Reprint: Karin Kramer Verlag, Berlin 1975]
- Michael Bakunins Beichte aus der Peter-Pauls-Festung an Zar Nikolaus I. Gefunden im Geheimschrank des Chefs der III. Abteilung der Kanzlei der früheren Zaren zu Leningrad. Hrsg. von Kurt Kersten. Übersetzung von L. Keneth. Vorwort Vjačeslav Polonski. Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte, Berlin 1926. [erweiterter Reprint: Karin Kramer Verlag, Berlin 1988]
- Michail Bakunin: Frühschriften. Hrsg. von Rainer Beer. Verlag Jakob Hegner, Köln 1973.
- Michael Bakunin: Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Wolfgang Eckhardt. Band 1: Gott und der Staat (1871). Einleitung Paul Avrich. Karin Kramer Verlag, Berlin 1995 (2. durchgesehene und aktualisierte Aufl. 2005). Band 2: ›Barrikadenwetter‹ und ›Revolutionshimmel‹ (1849). Artikel in der ›Dresdner Zeitung‹. Einleitung Boris Nikolaevskij. Karin Kramer Verlag, Berlin 1995. Band 3: Russische Zustände (1849). Einleitung Boris Nikolaevskij. Karin Kramer Verlag, Berlin 1996. Band 4: Staatlichkeit und Anarchie. Einleitung Wolfgang Eckhardt. Karin Kramer Verlag, Berlin 1999 (2. durchgesehene, aktualisierte und erweiterte Aufl. 2007). Band 5: Konflikt mit Marx. Teil 1: Texte und Briefe bis 1870. Einleitung Wolfgang Eckhardt. Karin Kramer Verlag, Berlin 2004. [weitere Bände in Vorbereitung] (Internet-Präsentation der ›Ausgewählte Schriften‹ Bakunins)
- Michael Bakunin: Die revolutionäre Frage. Föderalismus, Sozialismus, Antitheologismus. Hrsg. von Wolfgang Eckhardt. Übersetzung von Michael Halfbrodt. (Klassiker der Sozialrevolte; 6). Unrast-Verlag, Münster 2000 (2. Auflage: 2005).
International:
- Michel Bakounine: Œuvres. Band 1: [Hrsg. von Max Nettlau.] Band 2-6: Hrsg. von James Guillaume. (Bibliothèque sociologique; 4, 38, 39, 42, 43, 47). P.-V. Stock, Éditeur, Paris 1895, 1907, 1908, 1910, 1911 und 1913.
- Aleksandr A. Kornilov: Molodye gody Michaila Bakunina. Iz istorii russkago romantizma. Izdanie M. i S. Sabašnikovych, Moskau 1915. Aleksandr A. Kornilov: Gody stranstvij Michaila Bakunina. Gosudarstvennoe izdatel’stvo, Leningrad, Moskau 1925.
- Materialy dlja biografii M. Bakunina. Hrsg. von Vjačeslav Polonskij. Band 1: Po archivnym delam B.b. III. otdelenija i morskogo ministerstva. Gosudarstvennoe izdatel’stvo, Moskau, Petrograd 1923. Band 2: Po delam gosudarstvennych archivov Moskvy, Pragi, Drezdena, Veny. Gosudarstvennoe social’no-ekonomičeskoe izdatel’stvo, Moskau, Leningrad 1933. Band 3: Bakunin v Pervom Internacionale. Gosudarstvennoe izdatel’stvo, Moskau, Leningrad 1928.
- Michail Aleksandrovič Bakunin: Sobranie sočinenij i pisem 1828-1876. Hrsg. von Jurij M. Steklov. Band 1: Dogegelianskij period. 1828-1837. Izdatel’stvo vsesojuznogo obščestva politkatoržan i ssylno-poselentcev, Moskau 1934. Band 2: Gegelianskij period. 1837-1840. Izdatel’stvo vsesojuznogo obščestva politkatoržan i ssylno-poselentcev, Moskau 1934. Band 3: Period pervogo prebyvanija za granicej 1840-1849. Izdatel’stvo vsesojuznogo obščestva politkatoržan i ssylno-poselentcev, Moskau 1935. Band 4: V tjur’mach i ssylke. 1849-1861. Izdatel’stvo vsesojuznogo obščestva politkatoržan i ssylno-poselentcev, Moskau 1935. [Reprint: Brücken-Verlag und Europe-Printing, Düsseldorf und Vaduz 1970]
- Miguel Bakunin: Obras. Hrsg. von Max Nettlau. Übersetzung von Diego Abad de Santillán (Band 5: Übersetzung von Aleksandr Šapiro und Diego Abad de Santillán). 6 Bände. (Biblioteca universal de estudios sociales; 1-6). Editorial Tierra y Libertad, Barcelona 1938 (Band 1, 2, 3, 4, 6) und 1939 (Band 5). [Band 1-5 sind ein Nachdruck der Ausgabe: Obras completas. Editorial La Protesta, Buenos Aires 1924-1929]
- Michele Bakunin: Scritti editi e inediti. Hrsg. von Pier Carlo Masini. Band 1: La teologia politica di Mazzini e l'Internazionale (1871). Novecento grafico, Bergamo 1960. Band 2: Ritratto dell'Italia borghese (1866-1871). Novecento grafico, Bergamo 1961. Band 3: Scritti napoletani (1865-1867). Novecento grafico, Bergamo 1963.
- Archives Bakounine. Hrsg. von Arthur Lehning (Band 1-2: hrsg. von Arthur Lehning, A. J. C. Rüter und Peter Scheibert). Band 1: Michel Bakounine et l’Italie (1871-1872). Teil 1: La polémique avec Mazzini. Écrits et matériaux. E. J. Brill, Leiden 1961. Teil 2: La Première Internationale en Italie et le conflit avec Marx. Écrits et matériaux. E. J. Brill, Leiden 1963. Band 2: Michel Bakounine et les conflits dans l'Internationale (1872). La question germano-slave. Le communisme d’état. Écrits et matériaux. E. J. Brill, Leiden 1965. Band 3: Michel Bakounine: Gosudarstvennost’ i Anarchija. Étatisme et Anarchie (1873). Übersetzung von Marcel Body. E. J. Brill, Leiden 1967. Band 4: Michel Bakounine et ses relations avec Sergej Nečaev (1870-1872). Écrits et matériaux. E. J. Brill, Leiden 1971. Band 5: Michel Bakounine et ses relations slaves (1870-1875). E. J. Brill, Leiden 1974. Band 6: Michel Bakounine sur la guerre franco-allemande et la révolution social en France (1870-1871). Écrits et matériaux. E. J. Brill, Leiden 1977. Band 7: Michel Bakounine: L'Empire knouto-germanique et la révolution sociale (1870-1871). E. J. Brill, Leiden 1981. [Nachdruck in acht Bänden: Œuvres complètes de Bakounine. Éditions Champ Libre, Paris 1973-1982. Italienische Ausgabe von Band 1-6 in sieben Bänden: Opere complete di Bakunin. Einleitung Alfredo M. Bonanno. (Classici dell'anarchismo; 4, 5, 6, 8, 10, 18, 19). Edizioni della Rivista ›Anarchismo‹, Catania 1976-1993]
- Bakounine: Oeuvres complètes [sur CD-ROM]. Textes préparés à l’Institut international d’Histoire sociale. Edita-KNAW, Amsterdam 2000.
Über Bakunin (Auswahl selbständiger Veröffentlichungen)
In deutscher Sprache:
- Max Nettlau: The Life of Michael Bakounine. Michael Bakunin. Eine Biographie. Privately printed (reproduced by the Autocopyist) by the author, London 1896-1900. [Reprint: Feltrinelli Editore, Mailand 1971]
- Unser Bakunin. Illustrierte Erinnerungsblätter zum 50. Todestag von Michael Bakunin, geb. 30. Mai 1814, gest. 1. Juli 1876. [Hrsg. von Max Nettlau.] (Beiträge zur Geschichte des Sozialismus, Syndikalismus, Anarchismus; 2). Verlag Der Syndikalist, Fritz Kater, Berlin 1926. [Reprint: Schwarze Presse, o.O. 1972]
- Josef Pfitzner: Bakuninstudien. Verlag der Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften und Künste für die Tschechoslowakische Republik, Prag 1932. [Erweiterter Reprint: Karin Kramer Verlag, Berlin 1977]
- Unterhaltungen mit Bakunin. Hrsg. von Arthur Lehning. (Die Andere Bibliothek; 30). Franz Greno, Nördlingen 1987. [Zuerst französisch: Bakounine et les autres. Esquisses et portraits contemporains d’un révolutionnaire. Hrsg. von Arthur Lehning. Union Générale d'Éditions, Paris 1976]
- Wolfgang Eckhardt: Michail A. Bakunin (1814-1876). Bibliographie der Primär- und Sekundärliteratur in deutscher Sprache. Nachwort Bernd Kramer. (Archiv für Sozial- und Kulturgeschichte; 4). Libertad Verlag, Berlin, Köln 1994.
- Bernd Kramer: ›Laßt uns die Schwerter ziehen, damit die Kette bricht ... ‹. Michael Bakunin, Richard Wagner und andere während der Dresdner Mai-Revolution 1849. Karin Kramer Verlag, Berlin 1999.
- Wolfgang Eckhardt: Von der Dresdner Mairevolution zur Ersten Internationale. Untersuchungen zu Leben und Werk Michail Bakunins. Verlag Edition AV, Lich (Hessen) 2005. (Inhaltsverzeichnis)
- Bakunin Almanach. Band 1. Hrsg. von Bernd Kramer und Wolfgang Eckhardt. Karin Kramer Verlag, Berlin 2007. (Inhaltsverzeichnis)
International:
- James Guillaume: L’Internationale. Documents et Souvenirs. 4 Bände. Société nouvelle de librairie et d’édition (Band 1-2) und P.-V. Stock, Éditeur (Band 3-4), Paris 1905, 1907, 1909 und 1910. [Erweiterter Reprint in zwei Bänden: Éditions Gérard Lebovici, Paris 1985]
- Jurij M. Steklov: Michail Aleksandrovič Bakunin. Ego žizn i dejatel’nost’. Izdatel’stvo kommunističeskoj akademii, Moskau 1926 (Band 1, 2. verbesserte Auflage), Gosudarstvennoe izdatel’stvo, Moskau, Leningrad 1927 (Band 2-4).
- Václav Čejchan: Bakunin v Čechách. Příspĕvek k revolučnímu hnutí českému v letech 1848-1849. Nákladem Vojenského archivu RČS, Prag 1928.
- Max Nettlau: Bakunin e l’Internazionale in Italia dal 1864 al 1872. Vorwort Errico Malatesta. Edizione del Risveglio, Genf 1928.
- Edward H. Carr: Michael Bakunin. Macmillan and Co., London 1937. [Nachdruck: Vintage Books, New York 1961]
- Franco Damiani: Bakunin nell’Italia post-unitaria 1864-1867. Anticlericalismo, democrazia, questione operaia e contadina negli anni del soggiorno italiano di Bakunin. (di fronte e attraverso; 17). Jaca Book, Mailand 1977.
- Stephen T. Cochrane: The Collaboration of Nečaev, Ogarev and Bakunin in 1869. Nečaev’s Early Years. (Marburger Abhandlungen zur Geschichte und Kultur Osteuropas; 18). Wilhelm Schmitz Verlag, Giessen 1977.
- Bakounine. Combats et débats. (Collection historique de l’Institut d’Études slaves; 26). Institut d’Études slaves, Paris 1979.
- Miklós Kun: Útban az anarchizmus felé. Mihail Bakunyin politikai pályaképe és eszmei fejlödése az 1860-as évek közepén. Akadémiai Kiadó, Budapest 1982.
- Pierre Péchoux: Diffusion d’un œuvre: Bakounine. Publications dans la langue originale et en traduction. Thése présentée devant l’Université de Paris I, 1986.
- Tachat R. Ravindranathan: Bakunin and the Italians. McGill-Queen’s University Press, Kingston, Montreal 1988.
- Natal’ja M. Pirumova: Social’naja doktrina M. A. Bakunina. Nauka, Moskau 1990.
- Jurij A. Borisenok: Michail Bakunin i ›pol’skaja intriga‹. 1840-e gody. ROSSPEN, Moskau 2001.
- Paul McLaughlin: Mikhail Bakunin. The Philosophical Basis of His Anarchism. Algora Publishing, New York 2002.
- Vladimir Sysoev: Bakuniny. Izdatel’stvo ›Sozvezdie‹, Tver’ 2002.
- Antoni A. Kamiński: Apostoł prawdy i miłości. Filozoficzna młodość Michaiła Bakunina. Wydawnictwo Akademii Ekonomicznej im. Oskara Langego, Wrocław 2004.
Autor: Wolfgang Eckhardt
Quelle: Dieser Artikel erschien erstmals in: Lexikon der Anarchie: Encyclopaedia of Anarchy. Lexique de l'anarchie. - Hrsg. von Hans Jürgen Degen. - Bösdorf: Verlag Schwarzer Nachtschatten, 1993-1996 (5 Lieferungen). - Loseblattsammlung in 2 Ringbuchordnern (alph. sortiert, jeder Beitrag mit separater Paginierung). Für die vorliegende Ausgabe wurde er überarbeitet.
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Ergänzender Quellenhinweis:
Eine durchgesehene und aktualisierte Fassung dieses Artikels erschien in Wolfgang Eckhardt: Von der Dresdner Mairevolution zur Ersten Internationale. Untersuchungen zu Leben und Werk Michail Bakunins. Lich (Hessen): Verlag Edition AV, 2005, S. 7-17 (Quellennachweise auf S. 210). Die letztgenannte Version wurde für die vorliegende Publikation im Internet nochmals überarbeitet und um Literaturangaben ergänzt.