Rotaprint 25 (Hrsg.): Agit 883: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Viele haben von ihr gehört, aber die wenigsten haben sie in der Hand gehalten: Die Berliner Zeitung Agit 883. Als Medium der Gegenöffentlichkeit strahlte sie in den Jahren 1969 bis 1972 weit in die Bundesrepublik aus. Agit 883 war das auflagenstärkste Organ des parteiunabhängigen Linksradikalismus jener Tage. | + | Viele haben von ihr gehört, aber die wenigsten haben sie in der Hand gehalten: Die Berliner Zeitung [[883_%28Berlin%2C_West%2C_1969%29|Agit 883]]. Als Medium der Gegenöffentlichkeit strahlte sie in den Jahren 1969 bis 1972 weit in die Bundesrepublik aus. Agit 883 war das auflagenstärkste Organ des parteiunabhängigen Linksradikalismus jener Tage. |
Die Redaktionsräume der Zeitung waren der Ort von Begegnungen und lautstark wie zum Teil handgreiflich ausgetragenen Konfrontationen innerhalb des linken Spektrums: Anarchisten trafen hier auf Maoisten, Antiimperialisten waren mit engagierten Mitgliedern von Basisgruppen konfrontiert, Sozialisten versuchten sich einen Reim auf Hasch- und Wermutrebellen sowie rote Bauarbeiter zu machen. Musiker verfolgten die Redaktionsdebatten genauso wie angehende Journalisten. In den öffentlichen Redaktionstreffen der 883 verdichtete sich, was die Linke jener Tage in Szenelokalitäten, Kommunen und Wohngemeinschaften geredet, nachgedacht und nächtelang diskutiert hatte. | Die Redaktionsräume der Zeitung waren der Ort von Begegnungen und lautstark wie zum Teil handgreiflich ausgetragenen Konfrontationen innerhalb des linken Spektrums: Anarchisten trafen hier auf Maoisten, Antiimperialisten waren mit engagierten Mitgliedern von Basisgruppen konfrontiert, Sozialisten versuchten sich einen Reim auf Hasch- und Wermutrebellen sowie rote Bauarbeiter zu machen. Musiker verfolgten die Redaktionsdebatten genauso wie angehende Journalisten. In den öffentlichen Redaktionstreffen der 883 verdichtete sich, was die Linke jener Tage in Szenelokalitäten, Kommunen und Wohngemeinschaften geredet, nachgedacht und nächtelang diskutiert hatte. | ||
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''"Die Agit 883 war in den Jahren 1969 bis 1971/72 die bedeutendste Publikation der undogmatischen und radikalen Linken in Berlin. (...) Die Zeitung spiegelt einen Zeitabschnitt wider, der in der Forschung bisher kaum wahrgenommen wurde. Die Revolte 1967/68 ist relativ gut ausgeleuchtet und wird als Anstoß zur Liberalisierung und Modernisierung der westdeutschen Gesellschaft inzwischen überwiegend positiv besetzt. Dem entgegengesetzt wird das »Rote Jahrzehnt« der 1970er Jahre – mit seinen maoistischen Parteien und dem bewaffneten Kampf, der zumeist mit der RAF gleichgesetzt wird – oft scharf verurteilt. Die von der bürgerlichen Gesellschaft vielfach honorierte Distanzierung prominenter Ex-Aktivisten von ihrer Geschichte folgt dieser Zweiteilung: Ein positiver Aufbruch wird dogmatischer Erstarrung gegenübergestellt. Doch so einfach waren die Verhältnisse nicht. Wir sehen die Jahre 1969 und 1970 vor allem als Suchbewegung, in denen sich bewaffnete und militante Gruppen, egalitäre kommunistische Basisgruppen und Parteien, Studentenzirkel, Musikbands, autonome Selbsthilfegruppen, Frauengruppen und Subkulturen herausbildeten und verstetigten. Die AktivistInnen der Revolte und neu in die Großstädte strömende Jugendliche versuchten, den antiautoritären Ansprüchen und der politischen Aufbruchstimmung neue Formen zu geben und sich soziale Freiräume zu schaffen. Ihre vielfältigen Diskussionen und Auseinandersetzungen um die Praxisformen fanden in der Agit 883 ein Forum. Als Anzeigen- und Diskussionsblatt einer Berliner Gegenöffentlichkeit konzipiert, werden darin deren unterschiedliche Positionen deutlich. Das zeigt: Die Zweiteilung zwischen einem »guten 1968« und verderblicher Gewalt, verkörpert durch die RAF, ignoriert die unterschiedlichen Ansätze, alternative Gesellschaftsentwürfe zu realisieren.'' | ''"Die Agit 883 war in den Jahren 1969 bis 1971/72 die bedeutendste Publikation der undogmatischen und radikalen Linken in Berlin. (...) Die Zeitung spiegelt einen Zeitabschnitt wider, der in der Forschung bisher kaum wahrgenommen wurde. Die Revolte 1967/68 ist relativ gut ausgeleuchtet und wird als Anstoß zur Liberalisierung und Modernisierung der westdeutschen Gesellschaft inzwischen überwiegend positiv besetzt. Dem entgegengesetzt wird das »Rote Jahrzehnt« der 1970er Jahre – mit seinen maoistischen Parteien und dem bewaffneten Kampf, der zumeist mit der RAF gleichgesetzt wird – oft scharf verurteilt. Die von der bürgerlichen Gesellschaft vielfach honorierte Distanzierung prominenter Ex-Aktivisten von ihrer Geschichte folgt dieser Zweiteilung: Ein positiver Aufbruch wird dogmatischer Erstarrung gegenübergestellt. Doch so einfach waren die Verhältnisse nicht. Wir sehen die Jahre 1969 und 1970 vor allem als Suchbewegung, in denen sich bewaffnete und militante Gruppen, egalitäre kommunistische Basisgruppen und Parteien, Studentenzirkel, Musikbands, autonome Selbsthilfegruppen, Frauengruppen und Subkulturen herausbildeten und verstetigten. Die AktivistInnen der Revolte und neu in die Großstädte strömende Jugendliche versuchten, den antiautoritären Ansprüchen und der politischen Aufbruchstimmung neue Formen zu geben und sich soziale Freiräume zu schaffen. Ihre vielfältigen Diskussionen und Auseinandersetzungen um die Praxisformen fanden in der Agit 883 ein Forum. Als Anzeigen- und Diskussionsblatt einer Berliner Gegenöffentlichkeit konzipiert, werden darin deren unterschiedliche Positionen deutlich. Das zeigt: Die Zweiteilung zwischen einem »guten 1968« und verderblicher Gewalt, verkörpert durch die RAF, ignoriert die unterschiedlichen Ansätze, alternative Gesellschaftsentwürfe zu realisieren.'' | ||
− | [[Bild:883-Buchpräsentation Berlin.jpg|thumb|left|480px| | + | [[Bild:883-Buchpräsentation Berlin.jpg|thumb|left|480px|Buchpräsentation im Berliner Mehringhof am 27.10.2006. Die Herausgeber des Buches "Agit 883" (von links: Hartmut Rübner, Knud Andresen und Markus Mohr. ]] |
''Das Anliegen des Buches ist es, die verschütteten Spuren offenzulegen und gleichzeitig etwas von der Lust an der Revolte zu vermitteln, die sich in der Agit 883 artikulierte. Allerdings enthüllen wir nichts, was bei einer Lektüre dieses spannenden Mediums nicht schon längst hätte bekannt sein können. Entgegen des biografischen Modetrends stehen die sozialen Bewegungen und ihre Praxisformen im Vordergrund. Wir haben das Buch nicht als wissenschaftliche Monographie konzipiert, sondern als thematisch aufgefächertes Lesebuch. Der dokumentarische Charakter wird durch die Verwendung einer Vielzahl von Faksimiles betont. In der für die damalige Zeit typischen ironischen Unbekümmertheit wurden zuvor gewohnte grafische Ordnungen, Seh- und Lesegewohnheiten außer Kraft gesetzt. Das zum Teil durcheinandergewirbelte Layout der Agit 883 zeigt Experimentierfreude; der Aufbruch zu einer anderen Gesellschaft scheint sich hier als ästhetische Subversion zu inszenieren. Ganz augenfällig: Für diese linke Generation stand die Revolution auf der Tagesordnung. Und das in einer Zeit, als die Berliner sich in ihrer Mehrheit noch als »kalte Krieger« aufführten, die den »Studenten« bei mancher Gelegenheit ein hasserfülltes »Geh doch nach drüben« an den Kopf warfen.'' | ''Das Anliegen des Buches ist es, die verschütteten Spuren offenzulegen und gleichzeitig etwas von der Lust an der Revolte zu vermitteln, die sich in der Agit 883 artikulierte. Allerdings enthüllen wir nichts, was bei einer Lektüre dieses spannenden Mediums nicht schon längst hätte bekannt sein können. Entgegen des biografischen Modetrends stehen die sozialen Bewegungen und ihre Praxisformen im Vordergrund. Wir haben das Buch nicht als wissenschaftliche Monographie konzipiert, sondern als thematisch aufgefächertes Lesebuch. Der dokumentarische Charakter wird durch die Verwendung einer Vielzahl von Faksimiles betont. In der für die damalige Zeit typischen ironischen Unbekümmertheit wurden zuvor gewohnte grafische Ordnungen, Seh- und Lesegewohnheiten außer Kraft gesetzt. Das zum Teil durcheinandergewirbelte Layout der Agit 883 zeigt Experimentierfreude; der Aufbruch zu einer anderen Gesellschaft scheint sich hier als ästhetische Subversion zu inszenieren. Ganz augenfällig: Für diese linke Generation stand die Revolution auf der Tagesordnung. Und das in einer Zeit, als die Berliner sich in ihrer Mehrheit noch als »kalte Krieger« aufführten, die den »Studenten« bei mancher Gelegenheit ein hasserfülltes »Geh doch nach drüben« an den Kopf warfen.'' | ||
''Die Dokumentation der Agit-883-Ausgaben und das Lesebuch sollen ein breiteres Publikum für die Zeitung und ihre Zeit interessieren. Die verhandelten Themen sind nicht aus der Welt, denn sie bieten auch heutigen Debatten weiterhin Material zur Reflexion. Es geht also um die Besichtigung einer Revolte, die in fundamentaler Weise wider den Stachel der herrschenden Verhältnisse löckte. (...)"'' | ''Die Dokumentation der Agit-883-Ausgaben und das Lesebuch sollen ein breiteres Publikum für die Zeitung und ihre Zeit interessieren. Die verhandelten Themen sind nicht aus der Welt, denn sie bieten auch heutigen Debatten weiterhin Material zur Reflexion. Es geht also um die Besichtigung einer Revolte, die in fundamentaler Weise wider den Stachel der herrschenden Verhältnisse löckte. (...)"'' | ||
− | Einen besonderen Wert erhält das Buch durch die beigelegte CD-ROM, auf der | + | Einen besonderen Wert erhält das Buch durch die beigelegte CD-ROM, auf der alle jemals erschienen Ausgaben der "Agit 883" als PDF-Dateien gespeichert sind. So kann sich jede/r LeserIn ein eigenes Bild von dieser legendären Zeitschrift machen. Im Internet findet sich eine [http://plakat.nadir.org/883/ Galerie aller Titelseiten der Agit 883]. (js) |
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* Knud Andresen / Markus Mohr / Hartmut Rübner: „Unruhe in der Öffentlichkeit“. Agit 883 zwischen Politik, Subkultur und Staat | * Knud Andresen / Markus Mohr / Hartmut Rübner: „Unruhe in der Öffentlichkeit“. Agit 883 zwischen Politik, Subkultur und Staat | ||
* Gottfried Oy: "Jede neue Nummer ist ein Abenteuer". (Gegen-)Öffentlichkeitskonzepte der "auflagenstärksten und billigsten APO-Zeitung" Berlins | * Gottfried Oy: "Jede neue Nummer ist ein Abenteuer". (Gegen-)Öffentlichkeitskonzepte der "auflagenstärksten und billigsten APO-Zeitung" Berlins | ||
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* Freia Anders: Agit 883 im Fokus der Strafjustiz | * Freia Anders: Agit 883 im Fokus der Strafjustiz | ||
* Markus Mohr: "Wer den Knast kennt, verdammt das Establishment" | * Markus Mohr: "Wer den Knast kennt, verdammt das Establishment" | ||
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Aktuelle Version vom 6. Oktober 2007, 13:03 Uhr
Die DadA-Buchempfehlung
Buchcover: | |
Autor: | rotaprint 25 (Hrsg.) |
Titel: | Agit 883 |
Untertitel: | Bewegung, Revolte, Underground in Westberlin 1969–1972 |
Verlag: | Verlag Assoziation A |
Erscheinungsort: | Berlin & Hamburg |
Erscheinungsjahr: | 2006 |
Editoriales: | Hrsg. von Knud Andresen, Markus Mohr und Hartmut Rübner. |
Umfang, Aufmachung: | 296 Seiten. Beigelegte CD-ROM mit sämtlichen Ausgaben der Agit 883; |
ISBN: | 3-935936-53-2 |
Preis: | 22,00 EUR |
Beschreibung
Viele haben von ihr gehört, aber die wenigsten haben sie in der Hand gehalten: Die Berliner Zeitung Agit 883. Als Medium der Gegenöffentlichkeit strahlte sie in den Jahren 1969 bis 1972 weit in die Bundesrepublik aus. Agit 883 war das auflagenstärkste Organ des parteiunabhängigen Linksradikalismus jener Tage.
Die Redaktionsräume der Zeitung waren der Ort von Begegnungen und lautstark wie zum Teil handgreiflich ausgetragenen Konfrontationen innerhalb des linken Spektrums: Anarchisten trafen hier auf Maoisten, Antiimperialisten waren mit engagierten Mitgliedern von Basisgruppen konfrontiert, Sozialisten versuchten sich einen Reim auf Hasch- und Wermutrebellen sowie rote Bauarbeiter zu machen. Musiker verfolgten die Redaktionsdebatten genauso wie angehende Journalisten. In den öffentlichen Redaktionstreffen der 883 verdichtete sich, was die Linke jener Tage in Szenelokalitäten, Kommunen und Wohngemeinschaften geredet, nachgedacht und nächtelang diskutiert hatte.
Rund 250 politische Gruppen nutzten die Zeitung – sie sprengte die zuvor überwiegend verbandsförmig bestimmte Öffentlichkeit der Studentenbewegung. Agit 883 kann als Spiegelbild eines Neuzusammensetzungs- und Suchprozesses der radikalen Linken in den Jahren 1969/70 gelten. Die Zeitung war nicht nur theoretisches Medium, sondern visualisierte das vibrierende Lebensgefühl der Linken in Berlin. Agit 883 war mit dem durcheinander gewirbelten Layout und in der Sprache in irritierender Weise anders. Es ist augenfällig: Für diese linke Generation stand die Revolution auf der Tagesordnung.
Ihr editoriales Anliegen beschreiben die Herausgeber des Buches wie folgt:
"Die Agit 883 war in den Jahren 1969 bis 1971/72 die bedeutendste Publikation der undogmatischen und radikalen Linken in Berlin. (...) Die Zeitung spiegelt einen Zeitabschnitt wider, der in der Forschung bisher kaum wahrgenommen wurde. Die Revolte 1967/68 ist relativ gut ausgeleuchtet und wird als Anstoß zur Liberalisierung und Modernisierung der westdeutschen Gesellschaft inzwischen überwiegend positiv besetzt. Dem entgegengesetzt wird das »Rote Jahrzehnt« der 1970er Jahre – mit seinen maoistischen Parteien und dem bewaffneten Kampf, der zumeist mit der RAF gleichgesetzt wird – oft scharf verurteilt. Die von der bürgerlichen Gesellschaft vielfach honorierte Distanzierung prominenter Ex-Aktivisten von ihrer Geschichte folgt dieser Zweiteilung: Ein positiver Aufbruch wird dogmatischer Erstarrung gegenübergestellt. Doch so einfach waren die Verhältnisse nicht. Wir sehen die Jahre 1969 und 1970 vor allem als Suchbewegung, in denen sich bewaffnete und militante Gruppen, egalitäre kommunistische Basisgruppen und Parteien, Studentenzirkel, Musikbands, autonome Selbsthilfegruppen, Frauengruppen und Subkulturen herausbildeten und verstetigten. Die AktivistInnen der Revolte und neu in die Großstädte strömende Jugendliche versuchten, den antiautoritären Ansprüchen und der politischen Aufbruchstimmung neue Formen zu geben und sich soziale Freiräume zu schaffen. Ihre vielfältigen Diskussionen und Auseinandersetzungen um die Praxisformen fanden in der Agit 883 ein Forum. Als Anzeigen- und Diskussionsblatt einer Berliner Gegenöffentlichkeit konzipiert, werden darin deren unterschiedliche Positionen deutlich. Das zeigt: Die Zweiteilung zwischen einem »guten 1968« und verderblicher Gewalt, verkörpert durch die RAF, ignoriert die unterschiedlichen Ansätze, alternative Gesellschaftsentwürfe zu realisieren.
Das Anliegen des Buches ist es, die verschütteten Spuren offenzulegen und gleichzeitig etwas von der Lust an der Revolte zu vermitteln, die sich in der Agit 883 artikulierte. Allerdings enthüllen wir nichts, was bei einer Lektüre dieses spannenden Mediums nicht schon längst hätte bekannt sein können. Entgegen des biografischen Modetrends stehen die sozialen Bewegungen und ihre Praxisformen im Vordergrund. Wir haben das Buch nicht als wissenschaftliche Monographie konzipiert, sondern als thematisch aufgefächertes Lesebuch. Der dokumentarische Charakter wird durch die Verwendung einer Vielzahl von Faksimiles betont. In der für die damalige Zeit typischen ironischen Unbekümmertheit wurden zuvor gewohnte grafische Ordnungen, Seh- und Lesegewohnheiten außer Kraft gesetzt. Das zum Teil durcheinandergewirbelte Layout der Agit 883 zeigt Experimentierfreude; der Aufbruch zu einer anderen Gesellschaft scheint sich hier als ästhetische Subversion zu inszenieren. Ganz augenfällig: Für diese linke Generation stand die Revolution auf der Tagesordnung. Und das in einer Zeit, als die Berliner sich in ihrer Mehrheit noch als »kalte Krieger« aufführten, die den »Studenten« bei mancher Gelegenheit ein hasserfülltes »Geh doch nach drüben« an den Kopf warfen.
Die Dokumentation der Agit-883-Ausgaben und das Lesebuch sollen ein breiteres Publikum für die Zeitung und ihre Zeit interessieren. Die verhandelten Themen sind nicht aus der Welt, denn sie bieten auch heutigen Debatten weiterhin Material zur Reflexion. Es geht also um die Besichtigung einer Revolte, die in fundamentaler Weise wider den Stachel der herrschenden Verhältnisse löckte. (...)"
Einen besonderen Wert erhält das Buch durch die beigelegte CD-ROM, auf der alle jemals erschienen Ausgaben der "Agit 883" als PDF-Dateien gespeichert sind. So kann sich jede/r LeserIn ein eigenes Bild von dieser legendären Zeitschrift machen. Im Internet findet sich eine Galerie aller Titelseiten der Agit 883. (js)
Inhaltsverzeichnis
- Knud Andresen / Markus Mohr / Hartmut Rübner: „Unruhe in der Öffentlichkeit“. Agit 883 zwischen Politik, Subkultur und Staat
- Gottfried Oy: "Jede neue Nummer ist ein Abenteuer". (Gegen-)Öffentlichkeitskonzepte der "auflagenstärksten und billigsten APO-Zeitung" Berlins
- Thomas-Dietrich Lehmann: „Erscheint donnerstags mit Kleinanzeigen“. Auf den Spuren einer linken Infrastruktur
- Klaus Weinhauer: Der Westberliner „Underground“. Kneipen, Drogen und Musik
- Massimo Perinelli: Lust, Gewalt, Befreiung – Sexualitätsdiskurse
- Markus Mohr: "Diese Geschichte geht alle Genossen an ..." Zur Gründungsgeschichte der Westberliner Buchladen Kollektive
- Christopher Schmidt: "Mit Bakunin die Flipper schlagen!" Die AnarchistInnen und das Ende des Zeitungsprojekts Agit 883
- Hanno Balz: Militanz, Blues und Stadtguerilla – Konzepte politischer Gegengewalt
- Michael Hahn: Land der Superpigs. Wie die Agit 883 zusammen mit Black Panthers und Weathermen die "zweite Front in den Metropolen" eröffnete
- Knud Andresen: Das "äußerst komplizierte Palästinaproblem". Antizionismus und Antisemitismus in der Agit 883
- Peter Birke: Der Traum von der "kämpfenden Arbeiterklasse". Lohnarbeit und Arbeitskämpfe in der Agit 883
- Dario Azzelini: „Die ausländischen Genossen können unschätzbare Dienste leisten“. Mit dem Internationalismus rund um den Globus
- Sven Steinacker: Die radikale Linke und soziale Randgruppen: Facetten eines ambivalenten Verhältnisses
- Hartmut Rübner: Geister der Vergangenheit: Vom Nationalsozialismus zum neuen Faschismus
- Niels Seibert: "Der schlafenden Flughafenpolizei krachten die Scheiben um die Ohren ..." Ausländergesetz, Arbeitsmigration, Afroamerikaner: Der Kampf gegen Rassismus in Agit 883
- Freia Anders: Agit 883 im Fokus der Strafjustiz
- Markus Mohr: "Wer den Knast kennt, verdammt das Establishment"