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Diskussion:Ilse Schwipper - Gedenkseite: Unterschied zwischen den Versionen

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==<Überschrift>==
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==<wir treffen uns...>==
  
<Text des Eintrags>
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Verpasst. Wir wollten mal zusammen uns zum Essen treffen. Mal hatten wir Dich eingeladen („aber lass uns noch mal telefonieren...“), oder Du hastest geladen („allerdings nur Brote...“ Klasse, dachte ich, wie früher bei uns zu Hause: Abends gibt es belegte Brote. „Aber lass uns vorher noch mal telefonieren...“ Tja, und so wurde leider nix daraus.
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Meistens trafen wir uns auf den verschiedenen Veranstaltungen im Mehringhof, im Buchladen „Schwarze Risse“ oder in der „Bibliothek der Freien“. Deine Herzlichkeit war oft überwältigend. Es gab immer Gesprächsthemen. Wo andere vielleicht abwinkten: Wen interessiert das denn noch? Warst Du immer begeisterungsfähig, interessiert, neugierig. „Knobi, dass musst Du lesen, das ist sehr interessant ... darüber müssen wir reden...“ Und hierbei ging es nicht immer „nur“ um Folter und Isolationshaft – was „natürlich“ Dein Thema war, schließlich hat Du das am eigenen Leib erfahren. Die Staatsräson hat Dich lebensgefährlich bedroht, aber nicht gebrochen.
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Aber auch GenossInnenschelte hast Du mir anvertraut. Es ging nicht um Klatsch und Tratsch, nein, über jene Aufgeregtheiten, die sich halt ergeben, wenn miteinander diskutiert wird, wenn unterschiedliche Meinungen bestehen, aber die nicht immer ausgetragen und/oder von gegenseitigen Respekt stehen gelassen wurden. Die Szene (die so nicht existiert, aber doch irgendwie vorhanden ist) war auch immer bereit hinterrücks zu mauscheln, zu tratschen, oder sogar bösartig zu sein. Und obwohl Du ja wusstest wo ich mich engagierte, vertrautest Du mir Deine Meinung an. Mitunter fragte ich mich, womit ich eigentlich Dein Vertrauen verdient hatte?
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Über Deine Schwierigkeiten etwa mit der „Graswurzelrevolution“ haben wir auch geredet. Das Lob für die älteste anarchistische Zeitung, schloss die Kritik an selbiger mit ein. Und Dein „Starrsinn“ das Stadtguerilla-Konzept nicht zu verwerfen, schon weil es ein Teil Deines Lebens war, der nicht einfach in Bausch und Bogen verworfen werden kann, brachte Dich in einen Zwiespalt zu den „gewaltfreien“ AnarchistInnen.
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Ich glaube nicht, dass Menschen per se Gewalt toll finden. Deine Generation hatte viel Wut und viel Trauer durchzustehen. Es war der Staat, der zuerst geschossen hat (am 2. Juni 1967) – und es war der Staat, der den bewaffneten Widerstand als erstes bewaffnete. Gut, das kam natürlich erst später heraus, dass die ersten Brandflaschen gegen die Medienhetzter des Springerverlages 1967 von einem Spitzel angeschleppt worden sind, auch dass die ersten Waffen für die „Tupamaros West-Berlin“ ebenfalls vom Verfassungsschutz kamen.
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Die Geschichte (auch die verbale) ist kompliziert, und wir sind Rädchen da drin. Ich glaube, dass Ende der 1960er Jahre sich viele Leute keine Entscheidungsfreiheit hatte: Zu sehr waren Elternhäuser, Gerichte, Ärzte, Politiker noch im Nazigestrüpp verwoben, zu sehr wurde die aufbegehrende Jugend nicht erst genommen, sondern niedergeknüppelt. Staatsräson war alles.
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Ich verstehe es gut, wenn Du Dich darüber aufgeregt hast, als jetzt der Medienrummel um die vorzeitigen Entlassungen von RAF-Leuten hochgeschaukelt wurde – vor allem mit dem Tenor: alle reden von den TerroristInnen und niemand von den Opfern. Aber wer redete von unseren Opfern? Wo waren die Stimmen der Angehörigen von Benno Ohnesorg, von Petra Schelm, Georg von Rauch u.a. ganz zu schweigen von den Napalm-Opfern in Vietnam, dem Elend dem der Contergan-Skandal verursachte, die Toten von Londonderry, oder im seinerzeit faschistischen Spanien. Der Staat hat sehr viele Opfer hinterlassen, niemand wurde dafür zur Rechenschaft gezogen. Es war diese Abwesenheit von Gerechtigkeit, die einige von uns Blind vor Zorn machte.
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Es gibt kein Grund sich beim Staat zu entschuldigen! Sicherlich gab es Aktionen die weder heute noch damals zu rechtfertigen sind – das hast Du auch so gesehen, und Schuldige wie Unschuldige mussten dafür die Konsequenzen tragen (andere wurden förmlich weich in der Birne, wie etwa der RAF-Chef-Ideologe Horst Mahler, der von der RAF über die FDP heute zur NPD sich durchideologisierte). Menschen, die immer groß im Reden, immer mit der großen Klappe voraus rannten, waren uns immer suspekt.
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Wir alle versuchen aufrichtig durch leben zu gehen, und jeder muss sich vor sich selbst rechtfertigen, für das was er und sie mit und aus seinem Leben gemacht hat. Du hast Dir nichts einfach gemacht, und Widersprüche werden uns immer antreiben unser Handel ständig zu überdenken. Und allein darum wirst Du uns fehlen.
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Man, hätte ich mich auf Deine belegten Brote gefreut...
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Ich grüße Dich, und bin mir sicher, dass wir uns noch mal treffen – wo auch immer...
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[Knobi. Spontan geschrieben am unsäglichen 3. Oktober 2007]

Version vom 3. Oktober 2007, 17:35 Uhr

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<wir treffen uns...>

Verpasst. Wir wollten mal zusammen uns zum Essen treffen. Mal hatten wir Dich eingeladen („aber lass uns noch mal telefonieren...“), oder Du hastest geladen („allerdings nur Brote...“ Klasse, dachte ich, wie früher bei uns zu Hause: Abends gibt es belegte Brote. „Aber lass uns vorher noch mal telefonieren...“ Tja, und so wurde leider nix daraus. Meistens trafen wir uns auf den verschiedenen Veranstaltungen im Mehringhof, im Buchladen „Schwarze Risse“ oder in der „Bibliothek der Freien“. Deine Herzlichkeit war oft überwältigend. Es gab immer Gesprächsthemen. Wo andere vielleicht abwinkten: Wen interessiert das denn noch? Warst Du immer begeisterungsfähig, interessiert, neugierig. „Knobi, dass musst Du lesen, das ist sehr interessant ... darüber müssen wir reden...“ Und hierbei ging es nicht immer „nur“ um Folter und Isolationshaft – was „natürlich“ Dein Thema war, schließlich hat Du das am eigenen Leib erfahren. Die Staatsräson hat Dich lebensgefährlich bedroht, aber nicht gebrochen. Aber auch GenossInnenschelte hast Du mir anvertraut. Es ging nicht um Klatsch und Tratsch, nein, über jene Aufgeregtheiten, die sich halt ergeben, wenn miteinander diskutiert wird, wenn unterschiedliche Meinungen bestehen, aber die nicht immer ausgetragen und/oder von gegenseitigen Respekt stehen gelassen wurden. Die Szene (die so nicht existiert, aber doch irgendwie vorhanden ist) war auch immer bereit hinterrücks zu mauscheln, zu tratschen, oder sogar bösartig zu sein. Und obwohl Du ja wusstest wo ich mich engagierte, vertrautest Du mir Deine Meinung an. Mitunter fragte ich mich, womit ich eigentlich Dein Vertrauen verdient hatte? Über Deine Schwierigkeiten etwa mit der „Graswurzelrevolution“ haben wir auch geredet. Das Lob für die älteste anarchistische Zeitung, schloss die Kritik an selbiger mit ein. Und Dein „Starrsinn“ das Stadtguerilla-Konzept nicht zu verwerfen, schon weil es ein Teil Deines Lebens war, der nicht einfach in Bausch und Bogen verworfen werden kann, brachte Dich in einen Zwiespalt zu den „gewaltfreien“ AnarchistInnen. Ich glaube nicht, dass Menschen per se Gewalt toll finden. Deine Generation hatte viel Wut und viel Trauer durchzustehen. Es war der Staat, der zuerst geschossen hat (am 2. Juni 1967) – und es war der Staat, der den bewaffneten Widerstand als erstes bewaffnete. Gut, das kam natürlich erst später heraus, dass die ersten Brandflaschen gegen die Medienhetzter des Springerverlages 1967 von einem Spitzel angeschleppt worden sind, auch dass die ersten Waffen für die „Tupamaros West-Berlin“ ebenfalls vom Verfassungsschutz kamen. Die Geschichte (auch die verbale) ist kompliziert, und wir sind Rädchen da drin. Ich glaube, dass Ende der 1960er Jahre sich viele Leute keine Entscheidungsfreiheit hatte: Zu sehr waren Elternhäuser, Gerichte, Ärzte, Politiker noch im Nazigestrüpp verwoben, zu sehr wurde die aufbegehrende Jugend nicht erst genommen, sondern niedergeknüppelt. Staatsräson war alles. Ich verstehe es gut, wenn Du Dich darüber aufgeregt hast, als jetzt der Medienrummel um die vorzeitigen Entlassungen von RAF-Leuten hochgeschaukelt wurde – vor allem mit dem Tenor: alle reden von den TerroristInnen und niemand von den Opfern. Aber wer redete von unseren Opfern? Wo waren die Stimmen der Angehörigen von Benno Ohnesorg, von Petra Schelm, Georg von Rauch u.a. ganz zu schweigen von den Napalm-Opfern in Vietnam, dem Elend dem der Contergan-Skandal verursachte, die Toten von Londonderry, oder im seinerzeit faschistischen Spanien. Der Staat hat sehr viele Opfer hinterlassen, niemand wurde dafür zur Rechenschaft gezogen. Es war diese Abwesenheit von Gerechtigkeit, die einige von uns Blind vor Zorn machte. Es gibt kein Grund sich beim Staat zu entschuldigen! Sicherlich gab es Aktionen die weder heute noch damals zu rechtfertigen sind – das hast Du auch so gesehen, und Schuldige wie Unschuldige mussten dafür die Konsequenzen tragen (andere wurden förmlich weich in der Birne, wie etwa der RAF-Chef-Ideologe Horst Mahler, der von der RAF über die FDP heute zur NPD sich durchideologisierte). Menschen, die immer groß im Reden, immer mit der großen Klappe voraus rannten, waren uns immer suspekt. Wir alle versuchen aufrichtig durch leben zu gehen, und jeder muss sich vor sich selbst rechtfertigen, für das was er und sie mit und aus seinem Leben gemacht hat. Du hast Dir nichts einfach gemacht, und Widersprüche werden uns immer antreiben unser Handel ständig zu überdenken. Und allein darum wirst Du uns fehlen. Man, hätte ich mich auf Deine belegten Brote gefreut... Ich grüße Dich, und bin mir sicher, dass wir uns noch mal treffen – wo auch immer...

[Knobi. Spontan geschrieben am unsäglichen 3. Oktober 2007]